Konflikt in Syrien: Armee beginnt mit Abzug aus Suwaida
17. Juli 2025
Syriens Armee hat nach Angaben der Regierung mit ihrem Abzug aus der Stadt Suwaida begonnen. Mitglieder der Regierungstruppen sagten der Nachrichtenagentur AFP, sie hätten den Befehl zum Rückzug um kurz vor Mitternacht erhalten. Im Morgengrauen hätten sie den Rückzug abgeschlossen.
Der Abzug aus der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz sei Teil einer Waffenruhe-Vereinbarung, die am Mittwoch geschlossen wurde, heißt es von der Regierung in Damaskus. Laut dem vom syrischen Innenministerium veröffentlichten Text der Waffenruhe-Vereinbarung wurde eine "vollständige und sofortige Einstellung aller Militäreinsätze" zugesagt.
Syriens Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa sagte in einer Fernsehansprache, die Verantwortung für die Sicherheit sei an örtliche Vertreter übergeben worden. Ein Ausschuss aus Regierungsvertretern und religiösen Anführern der Drusen soll demnach die Umsetzung der Vereinbarung überwachen. Die südsyrische Provinz wird vorwiegend von Drusen bewohnt.
Offenbar mehr als 350 Todesopfer
In Suwaida war es seit dem Wochenende zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Volksgruppen und der Armee gekommen. Dabei wurden nach Angaben der in Großbritannien ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mehr als 350 Menschen getötet.
Die Nichtregierungsorganisation bezieht ihre Informationen von einem Netzwerk von Aktivisten vor Ort. Ihre Angaben können oft nicht unabhängig überprüft werden, haben sich in der Vergangenheit aber oftmals als zutreffend gezeigt.
Auch die Beobachtungsstelle meldet den Abzug der syrischen Soldaten aus Suwaida. "Die syrischen Behörden haben ihre Streitkräfte aus der Stadt Suwaida und der gesamten Provinz abgezogen", sagte der Direktor der Nichtregierungsorganisation, Rami Abdel Rahman, der Nachrichtenagentur AFP.
Nachdem am Sonntag Kämpfe zwischen der religiösen Minderheit der Drusen und sunnitischen Beduinen begonnen hatten, schickte die islamistische Regierung in Damaskus am Montag Soldaten in die Provinz Suwaida - mit dem Ziel, die Kämpfe zwischen den Volksgruppen zu beenden, hieß es aus Damaskus. Am Dienstagmorgen rückten die Regierungstruppen in die Provinzhauptstadt vor. Diese gerieten dann selbst in Gefechte mit den Drusen-Milizen und die Gewalt eskalierte.
Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte töteten syrische Regierungskräfte nicht nur drusische Kämpfer, sondern auch zu der Minderheit gehörende Zivilisten. Demnach wurden seit dem Beginn der Kämpfe am Sonntag 79 drusische Kämpfer und 55 Zivilisten getötet. Außerdem seien 189 Angehörige des Verteidigungs- und Innenministeriums sowie 18 beduinische Kämpfer getötet worden.
Drusen-Schutzmacht Israel greift ein
In den Konflikt griff auch das Nachbarland Israel ein, das als Schutzmacht der Drusen auftritt. Damit weitete sich der Konflikt sogar bis Damaskus aus. Die israelische Armee griff am Mittwoch ein "militärisches Ziel" in der Zone des Präsidentenpalastes in Syriens Hauptstadt an.
Auch das Hauptquartier der syrischen Armee in der Region Damaskus geriet unter israelischen Beschuss. Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge wurden 15 Angehörige des syrischen Verteidigungs- und Innenministeriums bei den israelischen Luftangriffen getötet. Israel verlangt den Abzug der syrischen Regierungstruppen aus der Drusen-Region nahe der Grenze zu Israel.
Der syrische Übergangspräsident kritisierte in seiner Fernsehansprache Israels Angriffe "auf zivile und staatliche Einrichtungen". Diese hätten zu einer "erheblichen Komplikation" geführt und die Dinge in Richtung einer "massiven Eskalation" getrieben.
Gleichzeitig lobte Al-Scharaa die Vermittlung der USA, der arabischen Staaten und der Türkei in dem Konflikt. Sie habe dazu geführt, dass die Region vor einem "unbekannten Schicksal" bewahrt werden konnte, sagte der Übergangspräsident.
Widersprüchliche Aussagen von Drusen-Führern
Zuvor hatte Scheich Jusuf al-Dscharbu, einer der drei wichtigsten religiösen Anführer der syrischen Drusen, die zehn Punkte der Waffenruhe-Vereinbarung im Staatsfernsehen verlesen. Demnach ist "die vollständige Integration der Provinz" Suwaida in "den syrischen Staat" vorgesehen.
Ein anderer Anführer der Drusen, Scheich Hikmat al-Hidschri, lehnte die Vereinbarung mit der islamistischen Regierung allerdings ab. Er rief Kämpfer dazu auf, weiterhin Widerstand gegen "kriminelle Gangs" zu leisten, die in Suwaida Tod und Zerstörung anrichteten.
Suwaida müsse "bedingungslos" von diesen Kräften befreit werden. Es gebe keine Verhandlungen und auch keine Einigung mit "bewaffneten Gangs, die sich selbst als Regierung bezeichnen". Schon am Dienstag war eine Waffenruhe in Syrien verkündet worden, der al-Hidschri aber widersprochen hatte. Bald darauf war es zu neuen Kämpfen gekommen.
Doch auch US-Außenminister Marco Rubio ließ verlauten, man habe sich auf konkrete Schritte verständigt, die "diese besorgniserregende und erschreckende Situation" beenden. Nun müssten alle Parteien "die Zusagen einlösen, die sie gemacht haben". Mit Blick auf das Eingreifen Israels sprach Rubio von "einem Missverständnis zwischen der israelischen und der syrischen Seite".
Die von al-Schaara angeführte islamistische HTS-Miliz und mit ihr verbündete Gruppierungen hatten im Dezember den langjährigen syrischen Machthaber Baschar al-Assad gestürzt. Die HTS ist ein früherer Zweig von Al-Kaida, hatte sich jedoch vor Jahren von dem Terrornetzwerk losgesagt. Der frühere Dschihadist al-Schaara bemüht sich seit seinem Amtsantritt um ein moderateres Image.
Die Drusen sind eine aus dem ismailitisch-schiitischen Islam hervorgegangene Glaubensrichtung. Al-Schaara sagte in seiner Fernsehansprache am Mittwoch, dass die für die Gewalt gegen die verantwortlichen Akteure zur Rechenschaft gezogen würden. Die neue syrische Führung hat wiederholt versichert, die Minderheiten im Land schützen zu wollen.
AR/se (afp, dpa, rtr)
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