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Kongo-Krise: drastischer Anstieg an sexualisierter Gewalt

Martina Schwikowski
30. Juni 2025

Aus dem bewaffneten Konflikt im Ostkongo melden Hilfsorganisationen viele Fälle von sexualisierter Gewalt. Medizinische Hilfe bleibt oft ganz aus - auch infolge der Finanzkürzungen der US-Regierung.

Eine Mutter mit zwei kleinen Kindern ist durch die M23-Rebellen aus Goma vertrieben worden
Der bewaffnete Konflikt in Ostkongo treibt viele Menschen in die Flucht: Die sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen steigt drastisch anBild: MICHEL LUNANGA/AFP/Getty Images

Der Vormarsch der M23-Rebellen auf die Stadt Bukavu im Osten der Demokratischen Republik Kongo machte mehrere Dörfer entlang des Kivusees zwischen Januar und Februar zum Kriegsschauplatz. Ein von den USA vermitteltes Friedensabkommen zwischen den Regierungen des Kongo und des kleinen Nachbarlands Ruanda nährt zwar die Hoffnung auf ruhigere Zeiten, doch die Erinnerungen an die Gräuel sind noch frisch: Zahlreiche Frauen und Kinder in den Dörfern im Norden der Provinz Südkivu erlitten Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt durch bewaffnete Männer.

Zivilgesellschaftliche Gruppen und Aktivisten machen das kongolesische Militär und Wazalendo-Kämpfer (Milizen aus der Provinz Nordkivu) für die Taten verantwortlich. Diese arbeiten mit den kongolesischen Streitkräften gegen die militante Rebellenbewegung M23 zusammen.

Opfer erfahren keine Gerechtigkeit

Zu den Betroffenen gehört Riziki, die sich der DW anvertraute - die Redaktion hat ihren Namen zu ihrem Schutz geändert. "Drei Soldaten drangen in mein Haus ein, um zu plündern. Einer von ihnen kam in mein Schlafzimmer, um mich zu vergewaltigen, aber ich wehrte mich", berichtet sie.

Bukavu im Februar 2025: Frauen leiden unter der sexuellen Gewalt bewaffneter Männer in der KonfliktregionBild: AMANI ALIMASI/AFP

"Die anderen riefen ihm zu, dass sie wieder gehen sollten, aber er weigerte sich und sagte, er würde mich gern vergewaltigen", fügt sie hinzu. "Zum Glück kam mir mein Sohn zu Hilfe und sie gingen wieder, nachdem sie alles verwüstet hatten."

Die Tat ereignete sich im Februar dieses Jahres im Dorf Kavumu, etwa 30 km nördlich von Bukavu. Seither hat Riziki, Mutter von fünf Kindern, in Bukavu Zuflucht gefunden.

Sie hoffte, ihr werde in Bukavu bei einem geplanten Schauprozess Gerechtigkeit widerfahren. Aber dann kam ein Ereignis, das alles veränderte: Die M23 nahm Bukavu ein. Richter, Anwälte, Angeklagte, Verurteilte und auch manche Opfer - alle flohen aus der Stadt.

"Ich habe angefangen, Handel zu treiben. Leider sind wieder bewaffnete Männer in das Viertel gekommen, in das ich mit meinen Kindern geflohen war, sie haben zwei Nachbarn getötet. Wir sind erneut geflohen, ich bin erst vor kurzem zurückgekommen."

Keine Anzeige aus Angst und Scham

Unter den neuen Besatzern wurde die Lage nicht merklich besser: Augenzeugen berichten, dass es in den von der M23 besetzten Städten Bukavu und Goma zu zahlreichen Vergewaltigungen und sexueller Gewalt gekommen sei - vor allem an verheirateten Frauen und Mädchen -, und dass Frauen im Austausch für verschiedene Dienste zu sexuellen Handlungen gezwungen würden.

Soldaten und Rebellen (hier die M23 im Januar nach dem Überfall auf Goma) sind verantwortlich für Vergewaltigungen als KriegswaffeBild: Brian Inganga/AP/dpa/picture alliance

In zahlreichen Fällen erstatteten die Opfer aus Angst und Scham keine Anzeige. So auch eine junge Frau, die von einer Nachbarin zu Unrecht eines Vergehens beschuldigt wurde und für einige Zeit in ein Gefängnis des Geheimdienstes gesperrt wurde.

Dort machte die Frau, die anonym bleiben möchte, traumatische Erfahrungen: "In der Nacht kam einer der Soldaten, die Wache hielten, auf mich zu und drohte, mich zu vergewaltigen. Als ich ihn wegschob, schlug er mich. Ich schrie schmerzhaft auf, zum Glück kam ihr Vorgesetzter. Sie wurden ausgepeitscht. Diejenigen, die die Szene beobachtet hatten, haben mir gesagt, dass die Wachen sich gewöhnlich an Frauen vergehen, ohne dass ihre Vorgesetzten davon wissen", sagt sie zur DW.

Vergewaltigung als Kriegswaffe

Es gibt für die Region keine offiziellen Statistiken. Aber in einem kürzlich veröffentlichten Bericht der Organisation für medizinische Nothilfe Ärzte ohne Grenzen (MSF) heißt es, seit Beginn der Kämpfe zwischen der kongolesischen Armee und der bewaffneten Gruppe M23 sei die Zahl der Opfer sexueller Gewalt insbesondere im Nordkivu explosionsartig angestiegen.

Im Jahr 2024 wurden dort fast 40.000 Opfer von MSF betreut, zwischen Januar und April 2025 waren es fast 7400 Opfer und Überlebende. Im Südkivu hat MSF seit Anfang 2025 in den Gebieten Kalehe und Uvira fast 700 Opfer und Überlebende sexueller Gewalt versorgt.

"Der systematische Einsatz von Vergewaltigungen als Kriegswaffe ist nicht nur eine Verletzung der Menschenrechte, sondern auch eine gezielte Strategie zur Destabilisierung von Gemeinschaften", sagt Amadou Bocoum, Landesdirektor der Hilfsorganisation Care International in der DR Kongo. 

Care zeichnet im jüngsten Bericht zur Lage ein düsteres Bild: Allein 67.000 Fälle sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen sind dort bereits in den ersten vier Monaten dieses Jahres registriert worden - das ist ein Anstieg von 38 Prozent zum Vorjahr.

Keine Nothilfe wegen fehlender US-Gelder

"Wegen der anhaltenden Kämpfe werden mehr Frauen angegriffen und vergewaltigt", sagt Bocoum der DW. "Gleichzeitig hat die US-Regierung die Finanzierungshilfen, normalerweise sind es 40 Prozent, gekürzt. Wir haben keine Notfallmedikamente mehr zur Vorbeugung von HIV-Infektionen nach einer Vergewaltigung auf Lager in unseren Gesundheitszentren", sagt er.

Khartoum: Auch der Krieg im Sudan hat zu drastischem Anstieg sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen geführtBild: REUTERS

Willermine Ntakebuka, Koordinatorin der Frauenrechtsorganisation Vision Communautaire, spricht angesichts des MSF-Berichts von "alarmierenden Zahlen" und fordert: "Dieser Krieg sollte bereits beendet sein. 30 Jahre Krieg sind zu viel mit all den Folgen, die die Zivilbevölkerung und vor allem Frauen und Mädchen erleiden. Frauen sollten nicht den hohen Preis für bewaffnete Konflikte zahlen müssen."

Laut dem Bericht von MSF wurde die überwiegende Mehrheit der Angriffe, die von den Opfern im Jahr 2025 gemeldet wurden, mit vorgehaltener Waffe verübt. Aufgrund der Vielzahl von zivilen und militärischen Waffenträgern, der Verbreitung von Waffen und der anhaltenden Unsicherheit seien die Täter meist schwer zu identifizieren.

Kongo nur ein Beispiel von vielen

Der Konflikt im Kongo ist ein Beispiel für die brutale Gewalt, die Frauen und Mädchen durch bewaffnete Gruppen erleiden. In anderen Konflikten auf dem Kontinent berichten Menschen von ähnlichen Erfahrungen.

So enthüllt ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) vom April 2025 das Ausmaß der sexualisierten Gewalt, die zwischen April 2023 und Oktober 2024 von Soldaten der paramilitärischen Gruppe "Rapid Support Forces" (RSF) im Sudan begangen wurde: "Die RSF hat während dieses Krieges Zivilpersonen, insbesondere Frauen und Mädchen, mit unvorstellbarer Grausamkeit angegriffen", sagt Deprose Muchena, leitender Direktor des Bereichs Regional Human Rights Impact.

Für den Bericht hat AI 30 Personen, hauptsächlich Überlebende und Angehörige von Überlebenden in ugandischen Flüchtlingslagern, befragt. Alle Überlebenden und Zeuginnen konnten RSF-Kämpfer eindeutig als Täter identifizieren. Alle schildern, dass der Angriff schwerwiegende körperliche oder seelische Schäden verursacht hat und verheerende Auswirkungen auf ihre Familien hatte.

Trotz der verheerenden Situation mangle es an angemessener medizinischer Versorgung und rechtlicher Aufarbeitung für die überlebenden Frauen und Mädchen, sagen die Autoren des Berichts.

Im zweijährige Krieg in Tigray hat die Gewalt gegen Frauen und Mädchen ein alarmierendes Ausmaß erreicht, die Dunkelziffern sind höherBild: Million Hailesilassie/DW

Auch während des 2020 ausgebrochenen Bürgerkriegs in Tigray im Norden Äthiopiens begingen Bewaffnete grausame Verbrechen an Frauen und Kindern: Vergewaltigung, sexuelle Versklavung und Genitalverstümmelung wurden laut Amnesty International von den kriegführenden Parteien als Waffe eingesetzt, befand die Menschenrechtsorganisation 2021 in ihrem Bericht.

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