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Konflikte

Kongo: Wider das Stigma der Vergewaltigung

Jonas Gerding
7. Februar 2018

Frauen, die im Kongo vergewaltigt werden, müssen fürchten, von ihrer Familie verstoßen zu werden. Es droht ein Teufelskreis der Armut und Prostitution. Eine lokale Hilfsorganisation setzt sich für die Opfer ein.

Kongo Nord-Kivu Aidprofen
Bild: DW/J. Gerding

Etwa 20 Frauen quetschen sich in einen kargen Raum in Munigi am Fuße des Vulkans Nyiragongo. Der Ort liegt im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Außer Tischen und Stühlen befinden sich hier nur zwei Nähmaschinen - zu Ausbildungszwecken. Lastwagen brettern an der offenen Tür vorbei. Manche der Frauen haben ihre kleinen Kinder mitgebracht. Die Frauen berichten zwei Mitarbeitern der Hilfsorganisation Aidprofen von ihren Problemen. Viele der Geschichten ähneln sich: Die Frauen wurden vergewaltigt, schwanger, von ihren Familien verstoßen und sozial ausgegrenzt. Viele mussten bei Bekannten und Fremden untergekommen, manchmal sogar in Schweineställen und im Freien schlafen.

Yvette, die ihren echten Namen nicht nennen möchte, ist eine 20-jährige Mutter, die sich ein buntes Tuch zum Rock gebunden hat, an dessen Zipfel sich ihr vier Jahre alter Sohn festhält. "Sein Vater ist gestorben", sagt sie knapp. Passy Mubalama, die Gründerin von Aidprofen, sitzt in Jeans und schwarz-weißem Top auf einem Holzstuhl und hört zu. Sie weiß, dass die Geschichte nicht stimmt. Sie legt ihre Hand auf Yvettes Knie und scherzt mit ihr, um Nähe zu schaffen, damit die junge Frau sich traut, über etwas zu sprechen, das hier weit verbreitet ist, aber dennoch ein Tabu: Vergewaltigung. "Sag die Wahrheit!", fordert Passy Mubalama.

Rechte kennen, um sie zu verteidigen

Die 34-Jährige versteht es, die richtigen Fragen zu stellen. Sie war Journalistin, rekonstruierte die Geschichten vergewaltigter Frauen, die sich in Flüchtlingslager gerettet hatten. Sie sei schockiert gewesen und habe sich gefragt, wie man den Frauen helfen könne. Im Jahr 2014 startete sie Aidprofen, "ein Programm, das Frauen über ihre Rechte aufklärt", wie sie sagt. "Denn wer seine Rechte kennt, kann sie besser verteidigen."

Passy Mubalama gründete Aidprofen, um Frauen in Nord-Kivu zu helfenBild: DW/J. Gerding

In kaum einem anderen Land ist das Vergewaltigungsrisiko so hoch wie in der Demokratischen Republik Kongo. Laut einer Studie, die 2011 im American Journal of Public Health veröffentlicht wurde, werden im Kongo jeden Tag mehr als 1000 Frauen vergewaltigt. Viele betroffene Frauen schlittern in einen Teufelskreis aus Armut, Krankheit und Prostitution. Aidprofen berät Betroffene und betreut sie psychologisch. Die Organisation erstellt auch Studien, beispielsweise über die illegale Ausbeutung Minderjähriger in Bordellen. Vor allem jedoch betreuen die etwa 30 Mitarbeiter von Aidprofen in Frauenzentren wie hier in Munigi die Opfer sexueller Gewalt.

Vergewaltigt und verstoßen

Nach und nach öffnet sich Yvette und erzählt Passy Mubalama, wie sie und zwei Freundinnen zur Bohnen-Ernte in die Felder aufbrachen und auf uniformierte Männer stießen. Yvette wurde von zweien der Männer festgehalten, vergewaltigt und bewusstlos zurückgelassen. Ihren Freundinnen gelang die Flucht. Später kehrten sie zurück und brachten Yvette nach Hause. Sie habe bloß Kopfschmerzen, erzählte sie ihrer Mutter, die bemerkt hatte, dass etwas nicht stimmte. "Ich habe mich davor geschämt, ihr zu sagen, was passiert war", erinnert sich Yvette. "Ich dachte, meine Mutter könne mich töten."

Das Schild über dem Aidprofen-Büro verspricht psychologische und juristische Beratung sowie handwerkliche AusbildungBild: DW/J. Gerding

Die Mutter nahm ihr die Ausrede nicht ab. Von den Freundinnen erfuhr sie, dass ihre Tochter vergewaltigt worden war. "Sie war sehr, sehr aufgebracht",  erinnert sich Yvette. Ihre Tochter könne Aids haben und schwanger sein. Das wäre eine Schande für die Familie - und kostspielig. Denn durch eine Heirat bekäme ihre Familie nicht nur Kühe und Ziegen als Brautpreis, der Mann müsse außerdem die Tochter und zukünftige Kinder versorgen. Yvettes Mutter habe sie vor die Tür gesetzt und gesagt: "Gehe zu ihm, wenn du weißt wo seine Familie wohnt und sage ihm, dass du ein Kind von ihm bekommst."

Yvette wohnte bei Freunden und Bekannten - bis es ihnen entweder zu viel wurde oder ihre Mutter ihnen von der Vergewaltigung erzählte. Ihr blieb nichts anderes übrig als auf dem Boden der Küche zu schlafen, die an das Haus der Mutter angrenzt. Regnete es, war sie klatschnass. Um an Geld zu kommen, putzte sie, kochte - und verkaufte ihren Körper. 5000 Francs gebe es dafür, sagt sie, etwas mehr als drei Dollar.

Vom Opfer zur Schlichterin

In Yvettes Viertel hatte sich bereits herumgesprochen, dass eine gewisse "Mama Acheni" sich im Auftrag von Aidprofen für die verstoßenen Frauen einsetzte. Und so offenbarte Yvette sich ihr. Die 37-jährige Acheni Fitina, die in einer kleinen Hütte in der Gegend lebt, wirkt älter, als sie ist. Sie hat bereits neun Kinder zur Welt gebracht - das sechste wurde bei einer Vergewaltigung gezeugt. "Mein Mann hasste mich dafür", sagt Acheni. "Das Kind wurde diskriminiert gegenüber den anderen." Nachdem sie ihre Geschichte gehört hatte, besuchte Acheni immer wieder Yvettes Mutter. Sie sprach mit ihr über die schlechte Gesundheit ihrer Tochter und darüber, dass vergewaltigte Frauen nicht wertlos sind. Auch aus dem Kind könne eines Tages etwas werden, vielleicht sogar ein Abgeordneter, der einen guten Haushalt führe.

Passy Mubalama und Mama Acheni gehen auf die Familien der Betroffenen zuBild: DW/J. Gerding

Sie setze sich dafür ein, dass andere Frauen den bitteren, oftmals aussichtslosen Kampf gegen die Familie nicht einsam ausfechten müssten, sagt Acheni. Dabei gehe sie strategisch vor: "Ich frage die alleinstehenden Mütter immer, mit welchen Familienmitgliedern sie gut zurechtkommen und auf wen die Mutter hört", sagt sie. "Dann gehen wir gemeinsam zu den Eltern der alleinerziehenden Mutter." So gelang es Mama Acheni schließlich, Yvettes Mutter zu überzeugen und ihr den Mut zu geben, mit der Konvention des Verstoßens zu brechen. Yvette durfte die Küche im Hinterhof verlassen und zog zurück ins Haus ihrer Mutter, erzählt sie. "Meine Mutter akzeptiert heute, dass ich mit dem Kind neben ihr schlafe."

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