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Politik

Zwischen Strommangel und Mega-Staudamm

Clarissa Herrmann
19. März 2020

Die kühne Vision, den Kongo-Fluss zur Energiegewinnung komplett zu stauen, verspricht Aufschwung. Doch die Kritik an dem "Grand Inga"-Projekt wächst, Investoren springen ab. Zieht sich jetzt auch Südafrika zurück?

DRK Inga-Staudamm
Bild: Getty Images/AFP/M. Jourdier

Südafrikanische Städte liegen in den letzten Jahren immer wieder mal im Dunkeln, aber so schlimm wie seit ein paar Monaten war es noch nie. Der Strom wird regelmäßig vom Energieversorger Eskom abgeschaltet, um das veraltete und überlastete System vor einem plötzlichen Totalausfall zu bewahren. Das Unternehmen hat mittlerweile horrende Schulden von mehr als 450 Milliarden Rand (27,5 Milliarden Euro) aufgehäuft. Missmanagement, Korruption und eine unstete Energiepolitik der verschiedenen Regierungen haben die Situation nicht gerade verbessert. Da verspricht das kongolesische Staudammprojekt Inga III Abhilfe. Es soll die erste Ausbaustufe von Grand Inga werden - dem Mammutvorhaben, das die Hälfte des derzeitigen Strombedarfs Afrikas zu decken verspricht: Seit den 1990er-Jahren denkt man über eine komplette Stauung des Kongo-Flusses an den Inga-Fällen nach. Dort, 150 Kilometer bevor der insgesamt 4700 Kilometer lange Strom er in den Atlantik mündet, befinden sich bereits die Anlagen Inga I und Inga II.

Inga I (klein, oben rechts) und Inga II produzieren längst Strom - wird bald Inga III flussaufwärts gebaut?Bild: Getty Images/AFP/M. Jourdier

Unsichere Finanzierung

Zunächst soll das Wasserkraftwerk Inga III 4,8 Gigawatt Strom produzieren - so viel wie drei Atomkraftwerke zusammen. Schon im Oktober 2013 verpflichtete sich die südafrikanische Regierung, davon 2,5 Gigawatt zu kaufen. Im Dezember 2018 verdoppelte sie ihre angekündigte Abnahmemenge. Für die Demokratische Republik Kongo ist dieser Vertrag unerlässlich, um den Bau zu finanzieren. Denn nach und nach schwindet die Unterstützung. Bereits 2016 zog sich die Weltbank aus dem Projekt zurück, als der damalige kongolesische Präsident Joseph Kabila das Bauvorhaben unter seine direkte Kontrolle stellte: Sowohl der Privatsektor als auch die Zivilgesellschaft wurden aus den Planungen ausgeschlossen. Trotz ungesicherter Finanzierung gab Kabila 2018 einem europäisch-chinesischem Konsortium den Zuschlag für das Vorhaben. Die Investoren erhöhten die geplante Kapazität auf 11 Gigawatt. Doch die Partnerfirmen und vormaligen Konkurrenten zerstritten sich bald und im Januar dieses Jahres zog sich die spanische Firma ACS aus dem Projekt Inga III zurück.

Obwohl Südafrika dringend Energie benötige, sei ein Engagement in dem Megastaudamm-Projekt für das Land weder finanziell noch energetisch sinnvoll, schreiben die beiden Forschungsinstitute "Congo Research Group" und "Phuzumoya Consulting" in ihrem neuen Bericht zur aktuellen Lage des Grand-Inga-Projektes. Sie vermuten, dass das Land über kurz oder lang seine Zusage als Stromabnehmer zurückziehen wird. Zwar hatte die südafrikanische Regierung im Februar 2020 öffentlich ihre Unterstützung für Inga 3 bekräftigt. Aber die Autoren der Studie rechnen damit, dass Pretoria auf der Hinterbühne nach einer Ausstiegsstrategie sucht.

Dringend benötigte Energie

Die Energiepolitik Südafrikas schwanke einerseits zwischen dem Wunsch, zur wirtschaftlichen Entwicklung des Kontinents beizutragen und damit sein Post-Apartheids-Engagement zu demonstrieren, und andererseits der Erkenntnis, dass der Kauf von Strom von Inga III teurer wird als alternative heimische Quellen, so der Bericht. Nachdem Präsident Cyril Ramaphosa den Ausbau von Atomstrom gestoppt hat, setzt Südafrika verstärkt auf Solarenergie - aber auch auf die wegen des Klimawandels in Verruf geratene Kohlekraft. Auch gibt es Überlegungen, vor der Küste Schiffskraftwerke zu bauen.

Ein Ausweg aus dem Inga-Dilemma könnte die Unfähigkeit der Demokratischen Republik Kongo sein, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Die Forscher zitieren dazu das südafrikanische Energieministerium: Wenn der Bau des Staudamms nicht bis 2023 beginne, wäre Südafrika sieben Jahre später nicht in der Lage, seinen vereinbarten Stromanteil aus Inga III zu beziehen, und könnte damit bereits vor Baubeginn den Vertrag mit der Demokratischen Republik Kongo für hinfällig erklären.

Journalisten und Diplomaten erhielten 2013 einen raren Einblick hinter die Kulissen von Inga IBild: Getty Images/AFP/M. Jourdier

"Das wäre wunderbar", sagt Siziwe Mota, "das wäre, wofür wir jahrelang gekämpft haben!" Sie ist Regionaldirektorin des Afrikaprogramms der Umweltorganisation "International Rivers". Mota setzt sich in ihrem Heimatland Südafrika für dezentrale Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen ein. Sie kritisiert, dass keine ordnungsgemäßen Studien durchgeführt wurden - weder was die Finanzierung, noch was die Auswirkungen auf die Umwelt oder die Anwohner betrifft.

Enorme Auswirkungen auf Umwelt und Anwohner

Und diese seien gewaltig, berichtet Mignonne Mbombo von der kongolesischen Hilfsorganisation "Femmes Solidaires" (Solidarische Frauen): "Schon mit den beiden vorherigen Dämmen Inga I und Inga II ist der Fluss nicht mehr so fischreich ist wie früher. Die Frauen, die früher entlang des Flusses ihre Äcker bestellt haben, müssen jetzt kilometerweit wandern, um dorthin zu kommen." Mit dem Bau von Inga 3 würde sich dieses Problem drastisch verschärfen. Zehntausende Menschen müssten ihre Heimat verlassen. An den Nutzen für die Bevölkerung glaubt hier keiner mehr. Die Haupttätigkeit der Frauen am Kongo-Fluss sei nunmal die Landwirtschaft, so Mbombo. Würden sie erneut umgesiedelt, verlören sie ihr Land und ihre Lebensgrundlage. Siziwe Mota ergänzt: "Und leider erhalten diese Menschen keinen Zugang zu Elektrizität. Ihre Haushalte werden nicht an das Netz angeschlossen. Und wenn doch, können sie sich den Strom nicht leisten." Laut Weltbank haben im Kongo derzeit knapp 20 Prozent der Bevölkerung Zugang zu Elektrizität.

Dazu kommen die Auswirkungen auf die Umwelt. Zwar gilt Wasserkraft - abgesehen vom Dammbau selbst, der tonnenweise Zement verschlingt - als CO2-neutrale Energiequelle, aber die Folgen für das Ökosystem sind enorm. "Es käme zu Nährstoff- und Sedimentfallen im Fluss, zu Überschwemmungen von Wäldern und Feldern", so Siziwe Mota. "Weitere Umweltauswirkungen hängen mit der Verringerung der Fließgeschwindigkeit zusammen. Das stellt wirklich eine große Gefahr für die Artenvielfalt dar. Und um die Leitungen von der Demokratischen Republik Kongo nach Südafrika bauen zu können, müssten Wälder in Sambia und Simbabwe abgeholzt werden, was wahrlich nicht umweltfreundlich ist."

Aus dieser Perspektive wirkt bereits Inga I gigantisch - und Inga III würde noch viel größer werdenBild: Getty Images/AFP/M. Jourdier

Doch dezentrale Lösungen werden durch sinkende Kosten für Solar- und Windenergie für die Energieprobleme des Kongo und seiner Nachbarstaaten immer attraktiver. Der vor einem Jahr ins Amt eingeführte kongolesische Präsident Félix Tshisekedi bevorzugt wohl auch deshalb eine kleinere Variante von Inga III: statt 11 sollen doch nur noch 4,8 Gigawatt Strom produziert werden.

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