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Politik

Kongos hausgemachte Flüchtlingskrise

Martina Schwikowski
30. Mai 2017

Der Kongo hat die meisten Binnenflüchtlinge der Welt. Die Ursachen liegen in einer Vielzahl gewaltsamer Konflikte - und in der politischen Krise, die diese befeuert oder am Leben hält. Neue EU-Sanktionen könnten helfen.

Angola flüchtchtlings Kinder aus Kongo
Bild: UNICEF/N. Wieland

An Krisenherden mangelt es der Demokratischen Republik Kongo nicht: Kämpfe in den Kasai-Provinzen an der angolanischen Grenze, Angriffe von Rebellengruppen in den Urwaldgebieten der ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu - und bei Protesten gegen die Regierung von Joseph Kabila kam es auch in der Hauptstadt Kinshasa immer wieder zu Ausschreitungen mit zahlreichen Toten.

Die Konsequenz ist eine enorme Flüchtlingskrise: Fast eine Million Menschen sind 2016 aus ihrer Heimat vertrieben worden - das ist weltweit die höchste Zahl an Flüchtlingen, die vor bewaffneten Konflikten flüchten. Laut den jüngsten Zahlen des "Internal Displacement Monitoring Centre" (IDMC) liegt der Kongo mit 922.000 neuen Binnenvertriebenen noch vor Syrien, Irak, Afghanistan und Nigeria. Die Zahlen beruhen auf Daten der Vereinten Nationen. Das IDMC sieht dringenden Handlungsbedarf.

Kinder auf der Flucht

Wegen der andauernden Gewalt im Zentrum des Kongo droht rund 400.000 Kindern eine lebensbedrohliche Mangelernährung. In der Region Kasai mussten Gesundheitszentren wegen Plünderung, mangelnder Sicherheit für die Mitarbeiter und fehlender Medikamente schließen, erklärte das UN-Kinderhilfswerk Unicef. 9000 Kinder sind bereits aus dem umkämpften Gebiet über die Grenzen nach Dondo in Angola geflohen.

Kinder sind den Konflikten oft schutzlos ausgeliefert. Viele sind über die Grenze nach Angola geflohenBild: UNICEF/N. Wieland

"Sie haben oft lange Wege zurückgelegt und kommen hier verwundet an", sagt Unicef-Mitarbeiter Abubacar Sultan in Angola der DW. "Körperteile sind verbrannt oder verstümmelt, ihnen stecken noch Kugeln im Fleisch." Die Kinder seien in zwei Flüchtlingslagern untergebracht, so Sultan: "Viele haben ihre Eltern unterwegs oder auf dem Transport ins Camp verloren. Wir versuchen, sie ausfindig zu machen."

EU verhängt neue Sanktionen

Die Regierung tue zu wenig, um die Konflikte einzudämmen, sagen Kritiker. Verschärft wurde die Situation durch das Vorgehen von Präsident Joseph Kabila, der nach Ende seiner Amtszeit im Dezember 2016 nicht wie vorgesehen abgetreten ist - und damit Proteststürme im ganzen Land provoziert hat. Laut einem Abkommen vom Silvesterabend soll Kabila bis zu geplanten Neuwahlen Ende 2017 im Amt bleiben. Doch die Umsetzung kommt nur mühsam voran - und der Fahrplan zu den Wahlen ist nach wie vor völlig offen.

Bereits im Dezember hatte die Europäische Union Sanktionen über Mitglieder der Sicherheitskräfte verhängt. Jetzt hat sie ihre Sanktionen auf neun führende Politiker ausgeweitet, wie der Ministerrat gestern mitteilte. Mit Innenminister Ramazani Shadari und Regierungssprecher Lambert Mende treffen die Sanktionen jetzt die unmittelbare Führungsriege um Präsident Joseph Kabila. Die Vermögen der sanktionierten Politiker werden eingefroren, zudem dürfen sie nicht mehr nach Europa reisen.

Im Zentrum der Kritik: Joseph Kabila. Seinen Machtzirkel trafen jetzt EU-SanktionenBild: Getty Images/AFP/J. D. Kannah

Regierung unter Druck

Donatella Rostagno ist Direktorin des European Network for Central Africa (EurAc), in dem europäische Organisationen der Zivilgesellschaft verbunden sind. Die Sanktionen, die auf Drängen internationaler und kongolesischer Nichtregierungsorganisationen zustande gekommen seien, hält sie für effektiv, da sie Menschen träfen, die oft nach Europa reisten: Einige von ihnen hätten einen Wohnsitz in Belgien oder Frankreich und ihre Kinder studierten dort. "Nicht mehr Zugang zu einem Konto zu haben und nicht mehr nach Belgien reisen zu können, wenn man dort lebt, ein Haus hat - das ist ein wichtiges Zeichen und wird noch für viel Ärger sorgen."

Eine offizielle Stellungnahme von der Regierung gibt es bisher nicht, doch die Entscheidung sorgt augenscheinlich für Unruhe. Ein Verantwortlicher in der Regierung, der seinen Namen nicht nennen will, erklärte der Nachrichtenagentur AFP, die EU versuche, "den Kongo ins Chaos zu stürzen - so wie Libyen und den Irak". EurAc-Direktorin Rostagno hingegen betont, dass die EU trotz der Sanktionen an ihrer finanziellen Unterstützung der Wahlen festhalte - doch dafür habe sie klare Konditionen gesetzt: Die Regierung müsse sich an das Silvesterabkommen halten, das Budget klären und den Wahlkalender veröffentlichen.

Wahlvorbereitung nach unklaren Regeln

Erste Vorbereitungen für die Wahlen sind im Gange: Laut der Wahlkommission sind mehr als die Hälfte der rund 45 Millionen Wähler bereits erfasst worden. Just in diesen Tagen geht die Wählerregistrierung in eine neue Runde. Jetzt können sich auch die Einwohner der Hauptstadt Kinshasa in die Liste eintragen lassen. Fünf Millionen Namen aus der Hauptstadt sollen dort am Ende stehen, verkündete die Kommission. Die Opposition geht von anderen Zahlen aus: Laut ihrer Rechnung müsste es in Kinshasa sieben bis acht Millionen Wahlberechtigte geben.

Bei den Wahlen 2011 gab es Ärger mit den Wählerlisten - einige Menschen fanden ihre Namen dort nichtBild: picture alliance/dpa

"Niemand weiß genaue Zahlen und ob die Registrierung fair ist", sagt Rostagno. Die Wahlkommission lege ihr Vorgehen nicht offen, was eine Kontrolle schwer mache und Gerüchten Raum gebe. Für Irritation sorgte etwa, dass sich Präsident Kabila als erster Einwohner der Hauptstadt registrieren ließ - obwohl es heißt, dass er sich bereits zu Beginn des Prozesses im September habe registrieren lassen.

Dass die Registrierung überhaupt voranschreitet - dafür sieht die EurAc-Direktorin vor allem einen Grund: "Präsident Kabila braucht eine Wählerliste, um ein Referendum abzuhalten." So wolle er die Verfassung ändern, um nach den Wahlen doch noch weiterregieren zu dürfen. Doch des verstöße gleich gegen mehrere Vorgaben - das Silvesterabkommen schließt auch ein Referendum vor den Wahlen ausdrücklich aus. Tatsächlich gebe es keine ernsthaften Bemühungen der Regierung, die Krisen zu lösen, und damit kaum Chancen auf Wahlen in diesem Jahr, so Donatella Rostagno: "In einem Land, das von Krisen gezeichnet ist, können keine freien Wahlen stattfinden."

Mitarbeit: Taina de Oliveira

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