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Politik

Kongos Wahlkrise: Gerechtigkeit oder Gewalt

Jonas Gerding Kinshasa
13. Januar 2019

Der unterlegene Präsidentschaftskandidat Martin Fayulu fordert eine Neuauszählung der Stimmen. Auch aus dem Ausland wächst inzwischen der Druck auf den Kongo.

Kongo, Kinshasa: Wahlen im Kongo
Bild: picture-alliance/AP/J. Delay

Stunden dauerte es, bis die Polizei Martin Fayulu und seine Anwälte durch die Straßenbarrikade ließ, um das Verfassungsgericht zu betreten. Nun braucht es nur knapp 15 Minuten und er verlässt den gläsernen Hauptausgang bereits wieder.

Umringt von einer Traube von Journalisten spricht der kongolesische Präsidentschaftskandidat erneut aus, was er seit Tagen predigt: "Ihr wisst, dass die CENI die Wahlergebnisse erfunden hat", sagt er über die Wahlbehörde des zentralafrikanischen Landes. Demnach rangiert er bei der Präsidentschaftswahl auf Platz zwei. Dagegen hat seine Partei nun beim Verfassungsgericht Beschwerde eingelegt. "Die Stimmen müssen erneut ausgezählt werden", fordert er - wie gewohnt in seiner einnehmend tiefen und ruhigen Stimme. "Wir haben unsere Wahlbeobachter vor Ort gehabt, die gesehen haben, was eigentlich passiert ist, und das haben sie uns übermittelt."

Vor einer tobenden Menge ließ er bereits am Freitag im Hof des Hauptbüros seines Oppositionsbündnisses Lamuka die mutmaßlich echten Ergebnisse vorlesen. Es seien die Zahlen, die nach der Auszählung am Wahltages des 30. Dezembers den anwesenden Beobachtern in jedem Wahllokal genannt wurden. Landesweit würde er als klarer Gewinner mit 61 Prozent vom Platz gehen - und nicht wie offiziell verkündet - mit 34.83 Prozent und damit hinter Felix Tshisekedi. Den wiederum hatte die Wahlbehörde mit 38,57 Prozent der Stimmen zum Wahlsieger gekürt.

Die Polizei hält Anhänger Fayulus und Journalisten auf Bild: picture-alliance/AP/J. Delay

Gewalt in den Straßen von Kinshasa 

Auch Felix Tshisekedi ist Oppositionskandidat. Und so war die Verkündung seines knappen Sieges für viele eine Überraschung. Seit 17 Jahren wird das Land von dem Autokraten Joseph Kabila regiert. Er hatte die Wahlen zwei Jahre lang immer wieder verschieben lassen. Doch die Euphorie darüber, dass Wahlen stattfinden, hielt nicht lange: Seit Samstag ist die Gewalt zurück auf den Straßen der Hauptstadt Kinshasas - und die einstige Opposition so tief gespalten wie nie.

Inzwischen wächst auch der Druck aus dem Ausland. So fordert etwa die regionale Staatengruppe der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (SADC) eine Neuauszählung der abgegebenen Stimmen, mahnt aber gleichzeitig die Bildung einer "nationalen Einheitsregierung" an. So solle eine weitere Eskalation der Gewalt verhindert werden. Auch die Internationale Konferenz der Region der Großen Seen (ICGLR), der unter anderem Angola und Ruanda angehören, schlägt eine Neuauszählung vor. 

Angel Paezo fühlt sich betrogen. "Man hat die Stimmen von Fayulu genommen, um sie Felix zuzuschreiben", regt sie sich auf. Sie ist eine von hunderten Anhängern der "numéro quatre" (Nummer vier), so lautet Fayulus Nummer auf der Wahlliste. Mit vier ausgestreckten Fingern huldigen die Protestierenden ihrem Kandidaten, in Sprechchören spotten sie über den Chef der Wahlbehörde, halten Plakate in die Höhe und tanzen. Schon früh am Tag treffen immer mehr Menschen auf der breiten Insel des Kreisverkehrs vor dem wuchtigen Verfassungsgericht ein. "Wir wollen, dass Recht herrscht und Fayulu Präsident dieser Republik wird!", insistiert Paezo.

Die 43-Jährige ist Lehrerin und bringt am Ende des Monats keine 100 Dollar nach Hause. Das reiche nicht, um ihre fünf Kinder groß zu ziehen, sagt sie. Ihr graust vor einer Regierung unter Felix Tshisekedi, der bereits angedeutet hat, mit der Partei FCC zu koalieren, die Kabilas Macht stützt: Es sei ein krummer Deal gewesen, der Tshisekedis Wahlsieg herbei geschummelt habe, nachdem Kabila merkte, dass sein unpopulärer Favorit Emmanuel Shadary scheitern würd - so lautet das Gerücht auf den Straßen der Hauptstadt.

Felix Tshisekedi wurde von der Wahlbehörde mit 38,57 Prozent der Stimmen zum Wahlsieger gekürtBild: picture-alliance/dpa/J. Delay

Wunsch nach Änderungen und weg vom alten System

"Wir wollen Veränderung, weil wir in einer Misere leben", redet Paezo sich in Rage: "Beamte sind nicht gut bezahlt, wir werden herum kommandiert, es herrscht Ungerechtigkeit und Straffreiheit, Studenten studieren unter schlechten Bedingungen. Gute Noten werden gegen sexuellen Dienste vergeben und die Korruption setzt sich fort. Wir wollen nicht, dass dieses Regime weiter bestehen bleibt."

Insbesondere in den Ghettos der Großstädte, in armen Regionen auf dem Land und Kriegsgebieten wird Fayulu von manchen wie ein Heiland gefeiert. Und genau das machte ihn für Kabila und seine Clique so gefährlich. Deshalb sei es auch zu einem angeblichen Wahlbetrug gekommen, argumentiert das Oppositionsbündnis Lamuka.

Die Funktionäre von Lamuka verstehen einiges von der Macht starker Bilder: Sie initiieren Fayulu als Märtyrer, der von der Polizei vorübergehend daran gehindert wird, ein Gericht aufzusuchen. Dabei hatten seine Anwälte bereits in der Nacht zuvor Verfassungsbeschwerde eingereicht. Er ist nur gekommen, um eine Eingangsbestätigung abzuholen.

Manche Kongolesen von Wahl ausgeschlossen

Einer von seinen Juristen ist Toussaint Ekombe, der in schwarzer Robe und einer schmalen Akte unterm Arm Fayulu folgt. "Wir fordern, dass die Wahl annulliert wird, die Stimmen neu ausgezählt werden und die Wahlbehörde bestätigt, dass Martin Fayulu die meisten Stimmen hat und ihn zum Präsidenten erklärt" , sagt er. Für die Manipulation gebe es Belege: die abweichenden Zahlen ihrer und anderer Wahlbeobachter, die Verweigerung der Wahlbehörde, die ausgezählten Ergebnisse rechtskonform in jedem einzelnen Wahllokal aufzuhängen, sowie der Einsatz der umstrittenen Wahlmaschinen.

"Der letzte Punkt ist, dass man eine bestimmte Kongolesen, diejenigen aus Beni, Butembo, Yumbi von der Wahl ausgeschlossen hat", sagt er über die Gebiete, die wegen Ebola und anderen Konflikten erst im März wählen dürfen. "Nun sagt die Verfassung aber, dass alle Kongolesen das Recht haben zu wählen", sagt Ekombe. Er bestreitet, dass Lamuka Neuwahlen will. 

Die Anhänger Fayulus wollen sich nicht aufhalten lassen - sie sagen, er sei der rechtmäßige Gewinner der Wahl Bild: Getty Images/AFP/T. Karumba

 

Eingekesselt von der Polizei

Gegen 14 Uhr, als Ekombe spricht, sind die Straßen unmittelbar um das Verfassungsgericht bereits wie leer gefegt. Überall patrouillieren Polizisten. Die friedlichen Demonstranten auf dem Vorplatz seien gewaltsam verjagt worden, berichtet Betu Monsi Ruben. Der 25-Jährige Student telefoniert ein paar Blocks weiter und versucht seinen Bruder zu sich zu lotsen. Doch der hat Angst davor, erneut auf die Polizisten zu treffen. "Wir waren zu viert, zwei von uns wurden verhaftet, mein kleiner Bruder ist immer noch irgendwo, er ist am linken Auge verletzt worden", erklärt er. Er ist ein sportlicher Typ. Ihm selbst sei die Flucht gelungen als die Polizei mit Tränengas und Gewehrkolben an mehreren Knotenpunkt rund um das Gerichtsgebäude auf die Bevölkerung losging. "Auch jetzt sind noch viele von uns von der Polizei eingekesselt, andere von Jeeps abtransportiert worden", sagt er.

Die Lage ist unübersichtlich. Von verschiedenen Richtungen hatten sich Protestierende auf den Weg zum Verfassungsgericht aufgemacht. Zwischen 5000 und 10.000, wie Désiré Mbonzi Wa Mbonzi später resümieren wird. "All das ist in diesem Moment schwer zu evaluieren", schränkt der Vizepräsident der Kampagne Fayulus jedoch ein. Aber eins sei sicher: "Unter ihnen sind etwa 80 Verletzte, manche mit Bein - und Armbrüchen, einige, die das Bewusstsein verloren haben."

Und das könnte erst der Anfang sein: Wer sich unter den Protestierenden umhört, bekommt die immer gleiche Drohung zu hören. "Wenn man uns nicht die wahren Ergebnisse der Urnen gibt, werden wir Artikel 64 anwenden", formuliert es der 22-jährige Ngbogi Aimé. Er gehört zu einer Gruppe von Jurastudenten, die auf der Verkehrsinsel stehen. Sie halten Banner hoch und auch sie formen recken ihre zur vier geformte Hände empor. "Artikel 64 gibt uns Kongolesen das Recht, jemanden zu stürzen, der die Macht per Gewalt an sich reißt", sagt er. Was das konkret bedeute? "Das werdet ihr schon noch sehen, wenn es soweit ist!"

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