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Konjunkturforscher Horn: "Politiker an soziale Verantwortung erinnern"

Stefan Dege18. Juni 2014

Wie kann die Gesellschaft gerechter werden? Die christlichen Kirchen haben ihre Thesen einer neuen Wirtschafts- und Sozialordnung in Berlin zur Diskussion gestellt. Gustav Horn sieht dies als "Initialzündung".

Gustav Horn - Foto: Tim Brakemeier dpa
Bild: picture-alliance/dpa

Die Evangelische Kirche Deutschlands und die katholische Deutsche Bischofskonferenz haben im Frühjahr eine Ökumenische Sozialinitiative vorgestellt. Unter dem Titel "Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft" formulieren sie zehn Forderungen - von Wirtschaftsethik über ökologische Nachhaltigkeit bis Chancengerechtigkeit. Am Mittwoch (18.06.2014) haben sie ihr Sozialwort mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft auf einem Kongress in Berlin diskutiert. Für die großen Kirchen in Deutschland sei es eine "Übung, Politiker zu überzeugen und viele Menschen zu gewinnen", meint der Düsseldorfer Konjunkturforscher Gustav Horn im DW-Interview.

DW: Herr Horn, die Ökumenische Sozialinitiative „Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft“ wurde Ende Februar dieses Jahres von den beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland beschlossen. Was sind Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Punkte?

Gustav Horn: Hier greifen die beiden Kirchen das Hungern und Dürsten nach Gerechtigkeit auf. In unserer Gesellschaft ist ja die Entwicklung zu beobachten, dass Einkommen und Vermögen immer ungerechter verteilt werden. Über die materielle Seite hinaus stellt sich die Frage, wie stark Menschen in diese Gesellschaft integriert sind und an ihr teilhaben können. Und diese Sorge halte ich für einen ganz zentralen Punkt.

Mit ihrem Sozialwort richten sich die christlichen Kirchen gegen ungezügelten Kapitalismus

Was ist das spezifisch Kirchliche an den Forderungen im Sozialwort? Sie scheinen doch das widerzuspiegeln, was der gemeinsame Nenner des politischen Mainstreams ist.

Es gibt durchaus eine Übereinstimmung mit dem Common Sense. Aber es gibt auch eine Übereinstimmung mit den christlichen Werten: dass man diese Zustände kritisiert, dass sie Anlass zu Sorge geben und Anlass für die Kirchen sind, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Nur wenn man ein christliches Verständnis vom Menschen hat, kommt man auch zu Fragen der Gerechtigkeit, die aus diesen christlichen Werten begründet sind. Sie mögen mit anderen Begründungen durchaus übereinstimmen, das ist gar kein Problem. Die Kirchen bekennen hier Farbe in dieser Gesellschaft.

Wo sehen Sie denn Reibungspunkte mit der Politik der heutigen Bundesregierung?

Die Politik greift zwar verbal diese Probleme immer wieder auf - aber was tut sie denn wirklich? Will sie die Vermögen besteuern? Will sie Erbschaften besteuern? Wie investiert sie mehr in Bildung? Da sehen wir doch eine Diskrepanz zwischen Sagen und Tun. Und deshalb ist es auch wichtig, dass man die Politik daran erinnert, dass sie etwas tun müssen - und nicht nur reden.

Auch die Kirchen reden ja - was tun sie denn selbst konkret?

Man kann nicht sagen, dass die Kirchen die Gesellschaft alleine umgestalten können. Dazu sind sie mittlerweile auch viel zu schwach. Sie können nur in dem Bereich, in dem sie Verantwortung tragen, etwas beitragen. Hier ist sicher auch eine kritische Debatte vonnöten. Zum Beispiel in der Diakonie, die ja einerseits Menschen hilft, an der Gesellschaft teilzunehmen, Behinderte unterstützt, um ein möglichst humanes Leben zu ermöglichen - aber andererseits mit ihren Beschäftigten nicht immer so human umgeht, wie wir uns das wünschen würden. Darüber muss man eine Debatte führen.

Eine Forderung ist auch, Frauen den Zugang zu Führungspositionen zu ebnen. Muss sich da nicht gerade die katholische Kirche selbst den Spiegel vorhalten?

Das ist wohl wahr. Ich glaube, in der evangelischen Kirche haben wir seit einiger Zeit verstanden, dass es eine Selbstverständlichkeit sein sollte, dass auch Frauen Führungspositionen übernehmen - und dies ja auch tun. Ich denke, die katholische Kirche schleppt hier noch einen sehr schweren historischen Ballast mit sich herum, den sie noch abzuarbeiten hätte.

Inspirierende Gesten: Papst Franziskus wäscht Kranken und Behinderten die FüßeBild: Reuters

Sehen sie in der deutschen katholischen Kirche Bewegung?

Ich denke, die deutsche katholische Kirche ist gerade in einer Umbruchsituation. Da weiß man noch nicht genau, wohin diese Bewegung geht. Einerseits rückt der Papst diese Themen sehr stark in den Vordergrund und wirkt sehr inspirierend auf viele Menschen, gerade an der Basis. Andererseits - das haben wir gerade bei diesem Sozialpapier bemerkt - glaubt die katholische Kirche sehr viel stärker an die selbstheilenden Kräfte des Marktes als die evangelische. Hier erkennen wir eine gewisse Diskrepanz zwischen dem, was der Papst sagt und fordert, und dem, wie die katholische Kirche in Deutschland im Moment wirtschaftspolitisch argumentiert.

Der Papst fragt auch gerne Gläubige an der Basis. Im Gegensatz dazu ist dieses Sozialpapier nicht Ergebnis einer Basisdiskussion: Erst hat eine Kommission das Papier ausgearbeitet, um jetzt im zweiten Schritt die Basis darüber diskutieren zu lassen. Ist das der richtige Weg?

Naja, ich glaube, dieses gemeinsame Papier ist nur möglich geworden, weil man diesen Weg beschritten hat. Die Frage war: Will man dieses Sozialwort haben - oder gar kein Sozialwort? Ich finde, man hat sich richtigerweise dafür entschieden, erst einen Aufschlag zu machen, um eine Debatte anzustoßen und sie nun möglichst breit zu führen. Das ist ein legitimer und anständiger Weg. Das schützt das Papier ja nicht vor Kritik. Man kann und soll das Sozialwort kritisieren. Man soll aber über die Verhältnisse in diesem Land aus kirchlicher Sicht debattieren. Nur so entsteht wirklich Veränderung.

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Gustav A. Horn leitet das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf und ist Vorsitzender der Kammer für soziale Ordnung der EKD.

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