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Rezepte gegen die Überforderung

Volker Wagener24. November 2015

Offiziell rückt Angela Merkel noch nicht von ihrer Politik der offenen Tür gegenüber Flüchtlingen ab. Doch längst ist eine Diskussion mit dem Ziel in Gang, den Zuzug zu begrenzen.

Angela Merkel und Horst Seehofer beim CSU Parteitag (Foto: AFP Getty Images)
Bild: Getty Images/AFP/C. Stache

High Noon in der Union. Angela Merkel lässt gerade mächtig Federn im öffentlichen Ansehen. Sie ist angreifbar geworden. Was ihr aber am Wochenende beim Parteitag der kleineren Unionsschwester CSU widerfahren ist, war eine Demütigung, wie sie wohl noch kein deutscher Regierungschef erdulden musste.

CSU-Chef Horst Seehofer hatte Merkel wegen ihrer "Wir-schaffen-das-Politik" geradezu schulmeisterlich abgekanzelt - und das vor laufenden Kameras. Die CSU will beim Flüchtlingszuzug eine Obergrenze, Merkel lehnt das ab. Das nennt man einen maximalen Konflikt. Und der tobt auch noch im eigenen Lager. Vor diesem Hintergrund nimmt die Debatte über die Flüchtlingspolitik gerade Fahrt auf.

Auch die Parteijugend will eine Obergrenze

Auch Merkels eigene Parteijugend macht inzwischen mobil gegen die Kanzlerin. Die Junge Union (JU) geht bei ihrem Vorstoß in der Flüchtlingspolitik sogar noch über den Beschluss der CSU hinaus. Der Parteinachwuchs will ausdrücklich eine Obergrenze. Sonst drohe ein Verlust "an realistischer Selbsteinschätzung". Wo die Obergrenze gezogen werden soll, darüber sollen sich Bund und Länder einigen. In drei Wochen kommt die CDU zu ihrem Parteitag zusammen. Soviel Streit war schon lange nicht mehr bei den Christdemokraten.

Hunderte Flüchtlinge stecken seit Tagen an der griechisch-mazedonischen Grenze festBild: DW/D. Cupolo

Vor allem aus den Ländern werden die Merkel-Skeptiker lauter. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) will eine Obergrenze, die "unsere Leistungsfähigkeit berücksichtigt". Bezogen auf sein Bundesland liege die bei 12.000 Flüchtlingen pro Jahr - inklusive Familiennachzug.

Der kleinste gemeinsame Nenner heißt Kontingente

Auch Merkels Koalitionspartner, die SPD, will die Kontrolle über die Flüchtlingseinreise wieder zurück gewinnen. Fraktionschef Thomas Oppermann plädiert für eine Kontingentlösung. Jedes Jahr sollte der Bundestag zusammen mit der EU und dem UNHCR die Größe des Kontingents festlegen. Flüchtlinge müssten dann nicht mehr ihr Leben in der Ägäis riskieren und den Schleppern wäre - zumindest in der Theorie - das Handwerk gelegt. Maßstab, so sagt Oppermann, solle dabei auch sein, "wie viele Menschen wir integrieren können".

Dabei ist die Kontingentlösung längst Realität. Sie ist durch die Flüchtlingsbewegung dieses Jahres allerdings in Vergessenheit geraten. Schon 2013 kamen 10.000 Syrer aus libanesischen Flüchtlingslagern direkt nach Deutschland. 2014 wurde das Kontingent noch einmal um 10.000 erhöht. Doch parallel dazu kamen Hunderttausende Syrer über die Balkanroute ins Land. Ein Nebeneinander von geordnetem Verfahren und unkontrollierter Einreise.

Doppelpass mit der Türkei

Gerade bei Syrern will nun Bundesinnenminister Thomas de Maizière wieder genau hinsehen. Viele Syrer unter den Ankömmlingen seien gar keine Syrer, heißt es aus seinem Ministerium. Der Minister nannte schon vor Wochen eine Zahl von 20 bis 30 Prozent. Tatsache ist, dass Zahlen über "falsche Syrer" nicht vorliegen.

Gefährliche Ankunft im EU-Raum: Lesbos ist längst überfordertBild: picture-alliance/dpa/A. Mehmet

Eine Kontingentlösung ist nach Lage der Dinge der kleinste gemeinsame Nenner innerhalb der großen Koalition. Politisch hat dieses Modell Vorteile. Praktisch geht es um einen Tauschhandel zwischen Europa und den Anrainerstaaten. Die Europäer nehmen großzügig bemessene Flüchtlingskontingente auf und übernehmen gleichzeitig die Kosten für eine Versorgung der Flüchtlinge, die in der Türkei verbleiben. Dafür müsste die Türkei ihre Grenzen nach Europa wieder bewachen. Die Vorzüge liegen auf der Hand: Verlangsamung der Flüchtlingsbewegung und mehr Kontrolle.

Und Kontrolle ist nötig. Die Asylverfahren in Deutschland sind faktisch zum Erliegen gekommen. Das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) kommt mit der Bürokratie nicht nach. Von 181.000 Neuankömmlingen im Oktober konnten nur etwas mehr als 31.000 Anträge bearbeitet werden. Insgesamt liegen 328.000 unbearbeitete Asylanträge in der Warteschleife. 5,2 Monate dauert die durchschnittliche Bearbeitungszeit eines Antrages. Hinzu kommen noch weitere Monate, bis überhaupt Asyl beantragt werden darf. Das BAMF benötigt rund 9.000 neue Stellen, ganze 1.350 sind für dieses Jahr bewilligt.

Dublin hat versagt

Gleichzeitig hat das europäische Asylrecht versagt. Das sogenannte Dublin-Abkommen, wonach jeder Flüchtling dort Asyl beantragt, wo er EU-Boden betritt, hat sich als nicht praxistauglich erwiesen. Italien und Griechenland, die Hauptankunftsländer, sind objektiv überfordert.

Seit Beginn der Arabischen Aufstände 2011 kamen Flüchtlinge vorzugsweise über das westliche Mittelmeer, in diesem Jahr vor allem über die Ägäis. Die EU-Solidarität - offiziell Flüchtlinge aus Italien und Griechenland zu übernehmen - blieb aus, obwohl das zugesagt worden war. Die EU-Kommission will nun bis März einen neuen Reform-Plan präsentieren, um Italien und Griechenland zu entlasten.

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