1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Kontroverse um Aachener Friedenspreisträger

Roman Goncharenko
9. Mai 2019

Der ukrainische Journalist Ruslan Kotsaba erhält den Aachener Friedenspreis 2019. Doch seine Nominierung führte zu heftiger Kritik. Denn Kotsaba soll in der Vergangenheit mit antisemitischen Äußerungen aufgefallen sein.

Aula Carolina
In der Aula Carolina wird jährlich der Aachener Friedenspreis verliehenBild: Stadt Aachen

Die diesjährige Verleihung des Aachener Friedenspreises wird von schweren Vorwürfen überschattet. Nur Stunden, nachdem der zuständige Verein den ukrainischen Journalisten Ruslan Kotsaba zu einem der Preisträger gekürt hatte, hagelte es bereits Kritik. Ukraine-Experten und Menschenrechtsorganisationen äußerten in sozialen Netzwerken ihre Bestürzung. "Wir haben uns nicht vorstellen können, dass der Aachener Friedenspreis, der als geachtet und respektiert gilt, an einen Menschen verliehen werden könnte, der offen antisemitische Positionen einnimmt", heißt es etwa in einem Facebook-Post des Themenprojekts "Ukraine Verstehen" der Berliner Denkfabrik "Liberale Moderne" um die Grünen-Politiker Marieluise Beck und Ralf Fücks. Mit dieser Auszeichnung habe "der Aachener Friedenspreis seine Reputation verwirkt".

Antisemitismus-Vorwürfe gegen Preisträger Kotsaba 

Anlass der Kritik ist ein Videoblog des Preisträgers in ukrainischer Sprache aus dem Jahr 2011. Am 22. Juni, dem Jahrestag des Angriffs Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion, spricht Kotsaba auf dem jüdischen Friedhof in seiner westukrainischen Heimatstadt Iwano-Frankiwsk über Kriegsopfer, Schuld und Versöhnung. Besonders problematisch aus Sicht der Kritiker ist eine Passage, die offenbar aus der Youtube-Fassung herausgeschnitten wurde. Auf anderen Videoportalen ist diese Passage jedoch noch zu finden. So wurde sie etwa 2018 mitsamt einer deutschen Übersetzung auf der russischen Videoplattform Rutube publiziert. Darin unterstellt Kotsaba den Juden eine Mitschuld am Holocaust. Auf Rutube war die Passage am Donnerstagnachmittag zeitweise nicht zugänglich. Die DW konnte jedoch auf einer weiteren Videoplattform eine Fassung des wohl ursprünglichen acht Minuten langen Videoblogs einsehen und sichern.

Ruslan Kotsaba hat mit einem seiner Videoblogs massive Kritik ausgelöstBild: https://www.youtube.com/watch?v=Ve_AJRn-HJA

"Uns ist das Video (d.h. der Ausschnitt mit deutscher Übersetzung – Anm. d. Red.) bekannt", teilte Lea Heuser, eine Sprecherin des Vereins Aachener Friedenspreis, am Donnerstag auf DW-Nachfrage mit. Die kritisierte Passage sei laut Kotsaba aus dem Kontext gerissen und manipuliert. Der Journalist Kotsaba "vermutet dahinter den ukrainischen Geheimdienst", so Heuser. "Wir stehen in Kontakt mit Herrn Kotsaba und haben selbstverständlich ein großes Interesse daran, die nun gegen ihn und uns erhobenen Vorwürfe zu klären. Aus unserer bisherigen Sicht hat Herr Kotsaba sich jedoch nicht willentlich antisemitisch geäußert, sondern ihm wurden diese Aussagen durch das Fehlen des Kontextes in den Mund gelegt", sagte Heuser.

Der Verein Aachener Friedenspreis entschied sich nach Beratungen am Freitag, dass Kotsaba trotz früherer antisemitischer Äußerungen die Auszeichnung doch bekommen soll. Er habe sich glaubwürdig davon distanziert, berichtet die KNA mit Verweis auf eine Erklärung des Vereins. Zuvor hat sich der Linke-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko  auf seiner Webseite in einer gemeinsamen Erklärung mit dem Mitarbeiter seines Büros in Aachen, Darius Dunker, die Echtheit der antisemitischen Aussagen von Kotsaba bestätigt und sich davon distanziert. Laut dieser Erklärung haben die beiden Kotsaba für den Aachener Friedenspreis vorgeschlagen, weil sie von seinem "politischen Wandel" zu einem Pazifisten beeindruckt gewesen seien. "Bis zur Bekanntgabe war uns das Video nicht bekannt… Die Aussagen Kotsabas in dem Video sind völlig inakzeptabel  und wir weisen sie zurück", teilten Hunko und Dunker mit. Ihrer Erklärung liegt eine Stellungnahme von Kotsaba vor, wo der Ukrainer seine Aussagen über Juden und den Holocaust aus dem Jahr 2011 bedauert und sich bei denen, die "sich verletzt gefühlt haben" entschuldigt. Im Facebook-Profil von Rusland Kotsaba war eine solche Distanzierung am Freitagmorgen nicht zu finden. 

Wer ist Ruslan Kotsaba?

Der 52-jährige Ruslan Kotsaba arbeitete früher unter anderem beim ukrainischen Fernsehsender "112 Ukraine" und moderiert jetzt eine eigene Sendung beim TV-Sender "NewsOne". Beide Sender wurden aufgrund ihrer kritischen Haltung von ukrainischen Nationalisten mehrfach als angeblich ukrainefeindlich kritisiert. Das Parlament in Kiew versuchte erfolglos, Sanktionen gegen diese Sender zu erheben.

Kotsaba wurde im Februar 2015 in der Ukraine und Russland bekannt, als er wegen des Verdachts auf Landesverrat verhaftet wurde. Anlass war unter anderem eine Videobotschaft an den damaligen Präsidenten Petro Poroschenko. Darin rief Kotsaba alle Ukrainer auf, sich der Mobilisierung wegen der Zuspitzung des Krieges in der Ostukraine zu verweigern. Der Journalist sprach von einem Bürgerkrieg und sagte, es gebe "so gut wie keine regulären russischen Truppen im Donbass, sondern nur lokale Jungs, die separat leben wollen".

Ein Gericht in Iwano-Frankiwsk sprach Kotsaba vom Vorwurf des Landesverrates frei, verurteilte ihn jedoch zu dreieinhalb Jahren Haft wegen Behinderung der ukrainischen Streitkräfte. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International stufte ihn als politischen Häftling ein. Kotsaba verbrachte mehr als ein Jahr hinter Gittern, wurde jedoch im Juli 2016 vorzeitig freigelassen. Doch das juristische Tauziehen geht weiter. Ein neues Verfahren im Fall Kotsaba ist für Juli 2019 geplant.

Wofür wird Kotsaba der Friedenspreis verliehen?

Der Aachener Friedenspreis wurde 1988 gegründet. Er wird vom gleichnamigen Verein verliehen, dem rund 350 Personen und 50 Organisationen angehören, darunter lokale Parteienvertreter von SPD, Grünen und der Linken sowie von Kirchen und Gewerkschaften.

Der Aachener Friedenspreis wird seit 1988 jährlich verliehenBild: Aachener Friedenspreis e.V.

Preisträger dürfen von jedem vorgeschlagen werden, auch von Personen außerhalb des Vereines. Eine Entscheidung wird von den Vereinsmitgliedern mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit getroffen. Ausgezeichnet werden Friedensaktivisten aus Deutschland und aus dem Ausland. Auf dem postsowjetischen Raum wurden 2004 die "Petersburger Soldatenmütter" geehrt. Der Verein sieht den jetzigen Preis für Kotsaba als "logische Fortsetzung" jener Auszeichnung.

Man richte sich an der Grundsatzerklärung des Vereins aus, so Lea Heuser. Der zufolge sollen vor allem Personen und Gruppen ausgezeichnet werden, "die sich von unten und ohne politische und sonstige hochrangige Ämter für Frieden und die zivile Lösung von Konflikten einsetzen". Kotsaba tue dies "in vorbildlicher Form". "Ruslan Kotsaba hat den Mut, als Einzelner gegen den Krieg und für friedliche Lösungen einzutreten", hob der Verein auf seiner Webseite hervor. Man hoffe, ihn mit dem Preis zu stärken, "auch in der neuen Situation nach der Präsidentenwahl in der Ukraine".

Die Verleihung des mit 2000 Euro dotierten Aachener Friedenspreises findet traditionell am 1. September statt, dem Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs, an den in Deutschland mit dem Weltfriedenstag erinnert wird. 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen