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Kontroverse um angeblich älteste Pyramide der Welt

7. Dezember 2023

Sind die massiven Strukturen von Gunung Padang in Indonesien natürlich entstanden oder wurden sie von einer einstigen Hochkultur errichtet? Dann müsste die Menschheitsgeschichte umgeschrieben werden.

Blick von Gunung Padang über die angrenzende Ebene
Gunung Padang liegt rund 115 Kilometer südlich von Jakarta entfernt auf einem ehemaligen Vulkan. Bild: ADEK BERRY/AFP

Unter Archäologen ist eine hitzige Debatte entbrannt, in der es um nicht weniger als die Menschheitsgeschichte geht.

Am 20. Oktober 2023 hatten indonesische Archäologen mit einem Artikel weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Das indonesische Archäologenteam behauptet in der Fachzeitschrift Archaeological Prospection, dass ein Bauwerk in Indonesien die älteste Pyramide der Welt sei. Diese Pyramide an der prähistorischen Stätte Gunung Padang in Westjava sei bereits vor 27.000 Jahren errichtet worden.

Natürlich sind Forschende nicht immer einer Meinung, aber es kommt nicht so häufig vor, dass die Fachwelt eine Überprüfung der Studie fordert, wie die Fachzeitschrift Nature berichtet.

Muss die Menschheitsgeschichte umgeschrieben werden?

Denn die Behauptung passt so gar nicht in die bisherige Geschichtsschreibung: Bislang gilt die 4600 Jahre alte Stufenpyramide des altägyptischen Königs Djoser aus der 3. Dynastie des Alten Reiches als erste kolossale Pyramide. Die älteste bekannte megalithische Stätte, Göbekli Tepe in der Türkei, wurde vor etwa 11.000 Jahren errichtet. Und als älteste bekannte Stadt gilt die 9000 Jahre alte Stätte von Catalhöyük, ebenfalls in der heutigen Türkei.

Natürlich lebten auch schon vorher Menschen auf der Erde. Aber vor der letzten großen Eiszeit zogen die Menschen als Jäger und Sammler umher. Der Übergang zu komplexen Gesellschaften begann erst mit dem Holozän vor 11.700 Jahren: Die Menschen wurden sesshaft und wohnten in größeren Siedlungen.

Vielleicht habe Menschen einige wenige Elemente hinzugefügt. Aber ist dies wirklich ein Pyramidenbau? Bild: Adek Berry/AFP

Untersucht wurde die Stätte Gunung Padang zwischen 2011 und 2014 von einem Team um Danny Hilman Natawidjaja von der Nationalen Forschungs- und Innovationsagentur (BRIN) im indonesischen Bandung. Aus Sicht der indonesischen Archäologen besteht Gunung Padang aus fünf stufenförmigen Steinterrassen mit Stützmauern und Verbindungstreppen, die auf einem erloschenen Vulkan liegen.

Sie identifizierten vier Schichten, die ihrer Meinung nach verschiedene Bauphasen darstellen. Bei der innersten Schicht handele es sich um einen gehärteten Lavakern, der "sorgfältig geformt" wurde. Auf der ältesten Gesteinsschicht seien dann weitere Gesteinsschichten wie Ziegelsteine angeordnet worden.

Das Alter dieser Schichten lässt sich mittels Radiokohlenstoffdatierungen gut bestimmen. Laut Studie fand die erste Bauphase vor 27.000 bis 16.000 Jahren statt. Weitere Aufschüttungen erfolgten dann vor 8000 bis 7500 Jahren. Die letzte Schicht, wozu auch die Stufenterrassen gehören, wurde laut Studie vor 4000 bis 3100 Jahren angelegt. Möglicherweise könnte es sogar verborgene Kammern im Inneren der Pyramide geben.

Bauwerk oder Naturkunstwerk?

Das stimme so nicht, meint Flint Dibble, ein Archäologe an der britischen Universität Cardiff, gegenüber dem Fachmagazin Nature. Der Komplex sei vielmehr auf natürliche Wiese entstanden. Es gebe keine eindeutigen Beweise dafür, dass die Schichten von Menschenhand geschaffen wurden. Vielleicht haben Menschen einige wenige Elemente, etwa an der Spitze des Hügels, hinzugefügt. Das meiste sei aber natürlich entstanden. "Wenn Material einen Hügel hinunterrollt, richtet es sich im Durchschnitt selbst aus", so Dibble.

Um einfach irgendwo hingerollt zu sein, dafür seien die säulenförmigen Steine zu groß, meint dagegen Geologe Natawidjaja: "Die sauber angeordnete und massive Beschaffenheit dieser Steine, von denen einige bis zu 300 Kilogramm wiegen, schließt die Wahrscheinlichkeit eines Transports über größere Entfernungen aus."

Die These einer einstigen Hochkultur wurde auch 2022 in der Netflix-Doku „Ancient Apocalypse" angeführt. Bild: Khairizal Maris/IMAGO

Uneinig sind sich die Archäologen auch hinsichtlich eines Steins, der wie ein Dolch geformt ist. "Die regelmäßige Geometrie und die besondere Zusammensetzung dieses Objekts sowie seine Materialien, die nichts mit den umliegenden Felsen zu tun haben, deuten auf einen von Menschenhand geschaffenen Ursprung hin", sagt Natawidjaja.

Dibble dagegen hält auch das für unwahrscheinlich. Es gäbe "keine Anzeichen dafür, dass er von Menschenhand geformt wurde", sagt Dibble. "Ich bin überrascht, dass die Studie in dieser Form veröffentlicht wurde", sagt Flint Dibble. Selbst wenn einige Daten stimmen, seien die Schlussfolgerungen über die Stätte und ihr Alter nicht gerechtfertigt.

Vorfahren lebten in Höhlen

"Die Pyramide ist zu einem Symbol für die Hochkultur geworden", schlussfolgert Geologe Danny Hilman Natawidjaja, er ist auch Mitautor der Studie. "Es ist nicht einfach, Pyramiden zu bauen. Man braucht hohe Fähigkeiten beim Mauern", so Natawidjaja. 

Und genau das ist das Problem. Denn es ist äußerst fraglich, ob Menschen zu der Zeit überhaupt schon in der Lage waren, solch komplexe Bauwerke wie eine Pyramide zu errichten.

Auch Lutfi Yondri, ein Archäologe bei der Nationalen Forschungs- und Innovationsagentur (BRIN) in Indonesien hat Zweifel. Seine Arbeit habe gezeigt, dass die Menschen in der Region zwischen 12.000 und 6.000 Jahren in Höhlen wohnten, also lange nach dem angeblichen Bau der Pyramide. Außerdem seien bei Ausgrabungen keinerlei Beweise für hochentwickelte Steinmetzarbeiten gefunden worden.

Spuren einer einstigen Hochkultur?

Die kühne These von einer einstigen Hochkultur wurde auch 2022 in der Netflix-Dokumentation "Ancient Apocalypse" angeführt. Darin vertritt der britischen Autor Graham Hancock die These, dass eine fortgeschrittene globale Zivilisation vor 12.000 Jahren am Ende der letzten Eiszeit ausgelöscht wurde.

Ist das eine Pyramide oder einfach "eine erstaunliche, wichtige und coole Stätte"?Bild: Adek Berry/AFP

Weltweit gebe es Spuren, die eine Existenz einer solchen Hochkultur belegten, meint Hancock. Offenkundig scheint auch das indonesische Archäologie-Team aus Bandang dieser Theorie viel abgewinnen zu können. Ausdrücklich bedanken sich die Autoren der Studie bei Hancock für das Korrekturlesen ihrer Arbeit.

Belege für Siedlung fehlen

Laut Bill Farley, einem Archäologen an der Southern Connecticut State University in New Haven, liefere die Studie keinen Beweis für die Existenz einer Hochkultur während der letzten Eiszeit. Zwar seien die Bodenproben genau datiert worden, aber es gebe keine Spuren menschlicher Aktivitäten wie Holzkohle oder Knochenfragmente, so Farley gegenüber Nature.

Aus Sicht des Archäologen Farley sollten die Menschen Gunung Padang als das würdigen, was es ist - als "eine erstaunliche, wichtige und coole Stätte" - mehr nicht.

Studie soll erneut geprüft werden

Zur Klärung haben die Zeitschrift Archaeological Prospection und ihr Verlag Wiley eine Untersuchung des Artikels eingeleitet. Und die kann dauern.

Archäologe Natawidjaja hofft, dass die Kontroverse nicht zu Feindseligkeiten innerhalb der Archäologie geführt hat. "Wir sind wirklich offen für alle Forscher aus der ganzen Welt, die nach Indonesien kommen und ein Forschungsprogramm über Gunung Padang durchführen möchten", sagt er. "Wir wissen sehr wenig über unsere menschliche Geschichte".

Zumindest darin können ihm viele in der Archäologie beipflichten.