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Gesellschaft

Kontroverse um Blackfacing

Uta Steinwehr
17. November 2019

Wenn Weiße sich schminken, um Schwarze darzustellen, spricht man vom Blackfacing. Gerade im Karneval oder bei den niederländischen Nikolaus-Umzügen kocht das Thema hoch. Doch nicht alle empfinden es als rassistisch.

Rassismus l Blackfacing -  Sinterklaas-Parade "Zwarte Piet"
Hier noch in traditioneller Aufmachung: ein Zwarte Piet in Nieuwegein im Zentrum der NiederlandeBild: Imago Images/Pro Shots

Es war kein schöner Empfang für Sinterklaas: Begleitet von Protesten und unter massivem Polizeischutz zog der niederländische Nikolaus mit seinen umstrittenen schwarzen Helfern in den Niederlanden ein. Am Rande der zentralen Ankunftsfeier in Apeldoorn wurden mehrere Mitglieder des niederländischen Ablegers der islam- und ausländerfeindlichen Protestbewegung Pegida vorübergehend festgenommen. Laut Nachrichtenagentur ANP hatten sie sich geweigert, ihre Protestaktion auf einen dafür zugewiesenen Bereich zu beschränken.

Nicht Sinterklaas steht im Zentrum der Proteste sondern seine Knechte. Die heißen "Zwarte Piet" (Schwarzer Peter) und davon hat der Nikolaus einige. Das Problem: Dabei handelt es sich um schwarz oder braun geschminkte Menschen, mit rotgemalten Lippen, Lockenperücken, bunten Hüten, Pluderhosen und dicken, goldenen Ohrringen. Und genau diese Darstellung ist es, die die Gemüter erhitzt.

Die einen finden es schwarzen Menschen gegenüber rassistisch und wollen das übertriebene, stereotype Beiwerk der Figur abändern; andere würden die Pieten am liebsten sogar ganz abschaffen. Und wieder andere kämpfen vehement dafür, dass alles beim Alten bleibt. Vor einer Woche störten Piet-Befürworter eine Demonstration der Gruppe "Kick Out Zwarte Piet" (Schmeißt den Schwarzen Peter raus) in Den Haag. Die Polizei musste einschreiten - und das nicht zum ersten Mal. Die Bilanz des Tages: zerbrochene Fensterscheiben, ein kaputtes Auto und mindestens vier Festnahmen. Die Festumzüge müssen schon längst von der Polizei abgesichert werden.

Bei vielen Festumzügen begleiten den Nikolaus inzwischen Rußflecken-PietenBild: picture-alliance/NurPhoto/R. Arroyo Fernandez

Es ist ein emotionales Thema. Die Nikolaus-Tradition ist in den Niederlanden wichtiger als das Weihnachtsfest. Schon Mitte November kommt der Legende nach der Nikolaus mit seinen Gehilfen auf einem Dampfschiff aus Spanien an und reist bis zum 5. Dezember durch das Land. Die Pieten, oft die Lieblinge der Kinder, verteilen bei den Umzügen in den Städten Süßes. Ein Kinderfernsehmagazin berichtet regelmäßig über diese Reise. Es hängen liebgewonnene Erinnerungen daran. Wohl auch deshalb wird die Debatte so erbittert geführt.

Aber in diesem Jahr ist etwas anders: Im Fernsehen werden erstmals keine schwarze Pieten mehr auftreten, sondern "Rußflecken-Pieten". Die Darsteller sind nicht mehr komplett geschminkt, sondern haben einzelne dunkle Flecken im Gesicht. Der Ruß soll aus den Schornsteinen stammen, durch den die Geschenke abgeseilt werden. Mit dieser Neuerung experimentierten bereits einige Städte, doch manchen Traditionalisten ist bereits das zu viel des Neuen.

Warum Blackfacing rassistisch ist

Ob die Darstellung der Pieten seinen Ursprung in der Sklaverei in niederländischen Kolonien hat, ist nicht endgültig geklärt. Die Tradition ist aber ein Beispiel für Blackfacing. So wird es genannt, wenn sich weiße Menschen eine dunkle Haut schminken, Rollen von Schwarzen übernehmen und so Stereotype verbreiten.

Dicke Lippen, ein etwas debiler Blick - so wurden schwarze Menschen 1930 im Film "Whoopee" dargestelltBild: Getty Images/Hulton Archive/K. Alexander

In Mode kam das Blackfacing ab dem 19. Jahrhundert bei den sogenannten Minstrel-Shows in den USA. Für die Unterhaltungsshows stellten weiße Schauspieler klischeehaft schwarze Sklaven dar. Dafür malten sie sich dunkel an und zeichneten sich übertrieben dicke Lippen. In dieser Kostümierung präsentierten sie sich als dümmlich-naive, teils boshafte, aber doch immerfort gut gelaunte Schwarze. Dabei schwang mit, dass die Sklaverei doch gar nicht so schlimm war. Später war diese Praxis auch im Film üblich.

Wenn sich heute Menschen immer noch das Gesicht braun oder schwarz anmalen, ist das aus zweierlei Hinsicht problematisch. "Schwarze Menschen werden auf ihre Hautfarbe und stereotype Merkmale wie Perücken und Ohr- oder Nasenringe reduziert. So sehen schwarze Menschen aber nicht aus", erklärt Tahir Della von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) im Interview mit der Deutschen Welle. "Jeder kann sich selbst überlegen, ob er persönlich so in der Werbung oder Umzügen dargestellt werden möchte."

Diese Demonstranten finden die Darstellung des "Zwarten Piet" nicht akzeptabelBild: Imago/Paulo Amorim

Zum anderen gehe es um die "rassistischen Fantasien", die damit reproduziert würden. Für Della ist es wichtig, sich bewusst zu machen, woher diese Tradition kommt, nämlich "aus einer Zeit des europäischen Kolonialismus, in der rassistische Stereotype entwickelt worden sind".

Schwarze Menschen sind nur aufgrund ihrer Hautfarbe alltäglicher Diskriminierung ausgesetzt. Blackfacing gelte als rassistisch, "weil es die Identität und die Erfahrung schwarzer Menschen als Kostüm behandelt, das weiße Menschen beliebig an- und ausziehen können", sagte der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch, als das Wort "Blackfacing" zum Anglizismus des Jahres 2014 gekürt wurde, da es eine Lücke im deutschen Wortschatz füllt.

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Dass die Zwarte Pieten nun zu Rußflecken-Pieten werden, reicht Tahir Della nicht. "Die ganze Situation, die Geschichte dahinter, ist rassistisch, nicht bloß die Darstellungsform", sagt der Sprecher von der ISD. Er kritisiert, dass die anderen Merkmale der Figur wie die Kleidung, die Perücken und die Verhaltensweisen beibehalten werden. "Der Kern der Geschichte bleibt erhalten, damit wird es für die Betroffenen kein bisschen besser. Im Gegenteil: Auf diese Weise wird die Debatte nicht weitergeführt."

Fast das Amt gekostet

Das Problem des Blackfacing ist nicht auf die Niederlande beschränkt. Jedes Jahr gibt es sie bei Karnevals- und Faschingsfeiern, die "barbarischen Afrikaner" mit Baströckchen, Knochen im Haar und Wuschelperücke. Zum "Fest der Riesen" im belgischen Ath gehört die Figur eines "Wilden" - eines schwarz geschminkten Mannes mit dickem Nasenring und Federkrone -, der herumschreit und Kinder erschreckt. Kritiker sehen darin auch eine Verharmlosung der brutalen Kolonialvergangenheit Belgiens.

Dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau wurden in der heißen Phase seines Wahlkampfs im September fast Bilder und Videos zum Verhängnis, die zeigten, dass er in jungen Jahren in mindestens drei Fällen mit dunkel geschminktem Gesicht auftrat. Rücktrittsrufe wurden laut. Trudeau bat um Entschuldigung: "Es war etwas, von dem ich damals nicht dachte, dass es rassistisch wäre, aber jetzt erkenne ich, dass es etwas Rassistisches war."

Rassismus oder Wertschätzung?

In Deutschland kommt die Kontroverse inzwischen auch jedes Jahr beim Sternsingen auf, wenn Kinder zwischen Weihnachten und Anfang Januar von Haus zu Haus ziehen, Segen verteilen und Geld für einen guten Zweck sammeln. Das tun sie kostümiert als die Heiligen drei Könige. Mit dabei sind oft auch Kinder mit einem dunkel geschminkten Gesicht. Für Robert Baumann hat das allerdings nichts mit Blackfacing zu tun. Die Könige stünden für die damals bekannten Kontinente Europa, Afrika und Asien, sagt der Sprecher des Kindermissionswerk Sternsinger. Seit dem 8. Jahrhundert gebe es künstlerische Darstellungen mit einem schwarzen König, der für Afrika stehe.

Im Januar 2019 war keines der Sternsinger-Kinder bei Bundeskanzlerin Angela Merkel dunkel geschminktBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Seit 1984 organisiert das Hilfswerk den Empfang der Sternsinger beim Bundeskanzler oder der Bundeskanzlerin. Auf Bildern vom Empfang im Januar 2019 sieht man keine gefärbten Gesichter. "Wir machen den Kindern keine Vorgaben, ob sie sich schwarz schminken sollen oder nicht", sagt Baumann der Deutschen Welle. Wenn die Kinder danach fragen, weisen die Organisatoren allerdings darauf hin, dass die Kinder mit dunkel geschminktem Gesicht auf Fotos mit der Kanzlerin möglicherweise nicht zu erkennen sind. "In der Vergangenheit waren deswegen manche Kinder hinterher traurig", berichtet Baumann.

Auch der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck findet, nicht alles könne als Blackfacing gewertet werde. Dem Nachrichtenportal "T-Online" sagte er: "Sich im Theater schwarz anzumalen, war und ist nicht in jedem Fall ein Ausdruck von Diskriminierung. Entscheidend sind die Rollen, die Schwarze entweder wie Shakespeares 'Othello' als ernsthaften, tragischen Helden zeigen oder als rassistisch verzerrte, verächtlich gemachte Figur." Seiner Ansicht nach kann man Blackfacing "im Falle von Hochkultur doch nicht ernsthaft mit den zweifellos rassistischen Minstrel-Shows vor hundertfünfzig Jahren in den USA auf eine Stufe stellen".

Dieser Gesichtswärmer und ein ähnlicher Rollkragenpullorver waren 2018 ein PR-Desaster für das Edel-Modelabel GucciBild: picture alliance/AP Photo/A. Calanni

Tahir Della von der ISD findet es schon "fast belustigend", wenn Weiße etwas empört fragen, was man angesichts politischer Korrektheit denn noch dürfe: "Im Grunde genommen darf man eigentlich alles in der Gesellschaft, man darf auch verletzen." Und trotzdem sei es beispielsweise auch nicht akzeptabel, im Karneval antisemitische Kostüme mit Anklang an den Nationalsozialismus zu tragen. Es sei nicht neu, dass Blackfacing rassistisch ist. "Schwarze Menschen hat es schon immer gestört, nur haben sie kaum Gehör gefunden", sagt Della.

Hört auf die Betroffenen

Die Debatte endet nicht beim Blackfacing. Genauso zweifelhaft ist die Imitation von beispielsweise Menschen aus Südamerika, Nahost oder Indien (Brownfacing), Asiaten (Yellowfacing) oder nordamerikanischen Ureinwohnern (Redfacing). Wenn sich Menschen durch gewisse Kostümierungen verletzt fühlen, sollte das akzeptiert und respektiert werden, sagen die Gegner einer solchen Maskerade. "Was rassistisch ist, kann nicht die Mehrheit definieren, die von Rassismus nicht direkt negativ betroffen ist", meint Della.

Die Frage sei, ob die eigene persönliche Freiheit über das Empfinden von anderen Menschen gestellt werden soll. "Wir müssen uns gemeinsam überlegen: In welcher Art von Gesellschaft wollen wir leben? Finden wir es okay und normal, dass sich Menschen in einer freien Gesellschaft diskriminiert fühlen müssen, nur weil die Mehrheit das nicht als problematisch betrachtet?"

Wie schwarze Menschen ihre deutsche Heimat erleben

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