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Kony 2012 - Die digitale Kampagnenkrankheit

Sarah Judith Hofmann 20. April 2012

Politische Aufrufe im Netz sollen sich viral verbreiten - wie eine ansteckende Krankheit. Keine Web-Kampagne hat dies so erfolgreich vorgeführt wie "Kony 2012". Jetzt beginnt Phase zwei: vom Netz auf die Straße.

Mitglieder der Initiative "The Invisible Children" (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/Newscom

Es klingt wie die Anweisung an eine Guerilla-Truppe. "Wenn die Sonne untergeht, führe gemeinsam im Team deinen Plan aus, die LRA-Gewalt zu stoppen. Mach es legal und mach es groß – das ist deine Herausforderung."

Pathetisch markige Worte. Sie sind das Markenzeichen der Macher von "Kony 2012", der wohl erfolgreichsten Internet-Kampagne des Jahres. Ihre Mission: Joseph Kony, den Anführer der ugandischen Rebellenarmee, der Lord's Resistance Army (LRA), weltweit bekannt machen. Und so dafür sorgen, dass Kony, der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit seit 2005 mit internationalem Haftbefehl gesucht wird, festgenommen wird. Nach dem ersten Video, das im März veröffentlicht wurde, und mittlerweile knapp 90 Millionen Klicks auf Youtube erhalten hat, folgt jetzt "Teil II".

Kony 2012 Part IIBild: kony2012.com

Von den sozialen Netzwerken und Plattformen im Internet aus, sollen die Menschen am 20. April, dem so genannten "Global Action Day", ihren Protest auf die Straße tragen. Zum Beispiel indem sie in ihrer Stadt Plakate mit dem Slogan "Stop Kony 2012" kleben.

Ein Klick ist nicht gleich ein Demonstrant

Für den Blogger und Netzaktivisten Markus Beckedahl ist dies nur konsequent. Denn aus eigener Erfahrung weiß er: "Bei politischen Kampagnen ist es sehr effektiv, wenn man sie im Internet verbreitet. Richtig erfolgreich ist man aber erst, wenn man es auch schafft, sehr viele Menschen auf die Straße zu bringen." Den Klickzahlen nach zu urteilen, müssten weltweit Hunderttausende aktiv werden. Doch ein Klick ist nicht gleich ein Demonstrant.

"Kony 2012" wird dennoch wohl als Paradebeispiel für virales Marketing über das Netz in die Geschichte eingehen. Dabei missachtet das Video eigentlich eine wichtige Regel für Youtube-Videos: kurz und prägnant zu sein. Ganze 30 Minuten lang erzählt der Filmemacher Jason Russell seine Geschichte. Wie er als junger Amerikaner nach Uganda kam. Wie er dort den Kindersoldaten Jacob kennenlernte. Und wie er ihm das Versprechen gab, den Mann, der ihn entführt und in den Krieg geschickt hatte, zu "stoppen". Dieser Mann ist Joseph Kony. Aus dem Versprechen wird im Verlauf des Films eine Mission und – eine globale Bewegung.

"Aus dem Netz auf die Straße" - gilt für fast jede politische KampagneBild: dapd

Doch ein breites Publikum im Internet kann auch ungemütlich werden. Nicht nur in Zeitungen und im Fernsehen wird die Kampagne hinterfragt. Auch auf Youtube und Facebook hagelt es Kritik: Der hoch komplexe Konflikt in Uganda werde zu stark vereinfacht. Der Aufruf, die ugandische Armee mit amerikanischen Soldaten zu unterstützen, sei eine fatale Fehleinschätzung der Lage vor Ort. Und die Darstellung der Afrikaner als hilfsbedürftige Kinder, die von weißen Amerikanern gerettet werden, mehr als neo-kolonial. Und überhaupt: Die Suche nach dem Rebellenführer – das sei doch nichts Neues.

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort?

Nie zuvor hat aber jemand geschafft, was die Kampagne "Kony 2012" erreicht, nämlich die Probleme Ugandas einem so großen Publikum zu zeigen. "Ganz gleich was man von den Inhalten der Kampagne halten mag: Die Kony-Macher haben es geschafft, verschiedene Medienformen und Netzwerkeffekte kraftvoll zu nutzen", sagt Markus Beckedahl, der auf netzpolitik.org vielfach über politischen Kampagnen berichtet hat. "Kony 2012" sei eine virale Kampagne per Definitionem: wie eine Krankheit verbreite sie sich, einmal wie aus dem Nichts aufgetaucht, schnell und dank sozialer Netzwerke von alleine. 

"Kony 2012" setzte ein künstliches Ultimatum: der Rebellenführer müsse noch in diesem Jahr gefasst werdenBild: youtube.com

Damit sich der digitale soziale Virus so verbreiten kann, kommt es auf den richtigen Zeitpunkt an. In dieser Hinsicht hatten die Macher von "Kony 2012" eigentlich schlechte Karten. Es gab keinen Anlass, ausgerechnet in diesen Monaten über den Rebellenführer Joseph Kony zu berichten. Die Organisatoren lösten dieses Problem geschickt: Kurzerhand erklärten sie, das Video werde am 31. Dezember 2012 gelöscht. Bis dahin müsse Kony gefasst worden sein.

Politik als Pop-Art

Virales Marketing im Netz, ist generell keine neue Idee. Und so greift "Invisible Children", die Initiative hinter dem Kony-Video, noch tiefer in die Trickkiste. So tief, dass es mitunter geschmacklos wird. Am "Global Action Day", den die Macher ausgerufen haben, sollen Aktivisten weltweit Plakate aufhängen. Sie zeigen Joseph Kony in einer Ahnenreihe mit Osama Bin Laden und Adolf Hitler. Der 20. April ist Hitlers Geburtstag. Es geht um Aufmerksamkeit. Um jeden Preis.

Die Kampagne bemüht sich nicht nur emotional, sondern auch noch stylisch, cool und jung daherkommen. Die Plakate haben den Stil der Obama-Wahlkampagne von 2008: Politik als Pop-Art.

So viel Design ist kein Zufall. Obwohl "Kony 2012" als Privatkampagne von ein paar Aktivisten daherkommen will, verbirgt sich dahinter eine Armada an Vollprofis. Für die Videos von "Invisible Children" wurde die Werbeagentur 5ifty & 5ifty beauftragt. Jeder Schnitt, jede Kameraeinstellung sitzt.

"Virale Kampagnen will heute jeder machen", meint Beckedahl. Aber natürlich schaffe das kaum einer. Solche Kampagnen kosten viel Geld. Doch es geht auch eine Nummer kleiner. Dies zeigte zuletzt die Initiative "Israel liebt Iran". Auf Facebook postete ein Israeli ein Foto von sich und seiner Tochter mit dem Slogan "Iraner wir lieben euch – wir werden niemals euer Land bombardieren". Hunderte Israelis folgten seinem Beispiel – und auch Iraner antworteten.

Das erste Bild, das Ronny Edri auf Facebook postete zeigte ihn selbst mit seiner TochterBild: picture-alliance/dpa

Zum Weltfrieden beitragen – mit einem Klick

Markus Beckedahl wehrt sich gegen Vorwürfe, die junge Generation sei in Wahrheit unpolitisch. "Im Internet heißt es immer, das sei kein politisches Engagement. Früher haben die Leute in der Fußgängerzone eine Petition gegen Tierversuche unterschrieben. War das politisches Engagement? Was wenn es wieder rechtsradikale Übergriffe gibt? Dann stellen viele Menschen eine Kerze ins Fenster – und das ist gut so. Ich bin der Meinung alles, was ein Zeichen setzt, ist politisches Engagement."

Die Macher von "Kony 2012" pochen darauf, dass auch sie ein Zeichen setzen wollten. In einem zweiten, neuen Video erklären Aktivisten aus Uganda, dass es notwendig war auf die Tränendrüse zu drücken und den Bürgerkrieg in ihrer Heimat zu vereinfachen. Nur so könne man die Menschen aufrütteln. "Teil II" nennen die Autoren ihren zweiten Film. Dieses zweite Video haben aber bislang nur knapp zwei Millionen Menschen angeklickt, nur ein Bruchteil der Klickzahlen von Video Nummer eins.

Vielleicht war Kony 2012 wirklich ein Virus: Eine Grippe kommt häufig über Nacht. Und genauso schnell kann sie auch wieder verschwinden.

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