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Kopftuch-Verbot für ehrenamtliche Richterin

10. Juli 2024

Eine Muslimin darf nicht Schöffin sein, weil sie mit Kopftuch in Deutschland gegen das staatliche Neutralitätsgebot verstößt. Das Gesetz könnte verfassungswidrig sein.

Silhouette einer Frau mit Kopftuch: Das Bild ähnelt einem Scherenschnitt, bei dem Personen und Gegenstände wie schwarze Schatten aussehen.
Wann und wo darf eine Frau ihr Kopftuch tragen? Diese Frage muss - mal wieder - das Bundesverfassungsgericht beantworten Bild: Frank May/picture alliance

An Deutschlands Schulen ist der Streit über das Kopftuch ein alter Hut. So wird im Volksmund etwas bezeichnet, das schon lange bekannt ist. Trotzdem kann es die Gemüter immer wieder aufs Neue erhitzen. Dabei schien 2015 alles klar zu sein: Damals entschied das Bundesverfassungsgericht, ein pauschales Kopftuch-Verbot für Lehrerinnen sei unvereinbar mit der im Grundgesetz garantierten Religionsfreiheit.

Neun Jahre später muss sich das höchste deutsche Gericht erneut mit diesem Dauerbrenner der politischen und gesellschaftlichen Debatte befassen: Eine Kopftuch tragende ehrenamtliche Richterin, im Fachjargon Schöffin genannt, hat Verfassungsbeschwerde eingelegt. Sie war 2023 in dieses Amt gewählt worden, darf es aber nach einem Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm im Bundesland Nordrhein-Westfalen nicht ausüben.

Im Gerichtssaal ist das Kopftuch für eine Schöffin tabu

Begründung: Die Schöffin dürfe während einer Verhandlung keine religiösen Symbole tragen, weil sie damit gegen das staatliche Neutralitätsgebot verstoße. Zugleich hat das Gericht die Betroffene ausdrücklich vom Vorwurf eines Fehlverhaltens entlastet. Aber das OLG befand sich in einem Dilemma, es sprach selbst von einer "Kollision der grundrechtlich geschützten Religionsausübung mit den staatlichen Neutralitätsvorgaben bei Ausübung des Schöffenamtes".

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Die abgelehnte ehrenamtliche Richterin hatte im Rahmen ihrer Anhörung argumentiert, dass sie mit dem Kopftuch keine religiöse oder weltanschauliche Auffassung zum Ausdruck bringen wolle, sondern das Tragen des Kopftuchs als religiöse Pflicht verstehe. Durch eine Kopftuch tragende Schöffin werde die Vielfalt der Gesellschaft abgebildet und die gesellschaftliche Akzeptanz von Gerichtsurteilen erhöht.

Unterstützung von der Gesellschaft für Freiheitsrechte

So sieht es auch die Juristin Sarah Lincoln von der staatlich unabhängigen Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Wir sprechen hier über Schöff:innen, das sind ehrenamtliche Richter:innen, die am Gericht die Gesamtheit der Gesellschaft repräsentieren sollen. Sie tragen keine Robe, sie sind als Privatpersonen erkennbar, die nicht den staatlichen Neutralitätsanforderungen unterliegen."

Schließe man bestimmte Gruppen aus, sei das aus Sicht der GFF etwas, das seinerseits das Vertrauen in die Justiz beeinträchtigen könne, argumentiert Lincoln. "Kopftuch tragende Muslima gehören ja auch zur deutschen Gesellschaft." Nur weil jemand eine religiöse Bekleidung trägt, etwa Kippa oder Kopftuch, könne man daraus nicht schließen, dass die Person nicht in der Lage sei, unabhängig oder gerecht zu urteilen.

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Katholiken sind äußerlich selten erkennbar

Einem strenggläubigen Katholiken könne man seinen Glauben meistens nicht ansehen. "Das heißt, die Neutralitätsvorschrift trifft im Regelfall muslimische Frauen und ihre Kopfbedeckung", sagt die Expertin von der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die sich aus Spenden und Beiträgen ihrer über 4000 Fördermitglieder finanziert.

Eine Grenze wäre für sie überschritten, wenn eine Burka tragende Schöffin auf der Richterbank säße. Bei diesem Bekleidungsstück ist bis auf die Augen alles bedeckt. "Man kommuniziert ja auch über das Gesicht, über Gesichtszüge", sagt Lincoln. Deshalb halte sie die Vollverschleierung einer Schöffin für unvereinbar mit dem auszuübenden Amt.

Wenn Zweifel an der Verfassungstreue bestehen

"Es gibt ein berechtigtes Interesse, dass Menschen, die über andere urteilen, Grundprinzipien unserer Demokratie und Grundrechte teilen", betont die Juristin. Bestünden aufgrund von Gesprächen oder öffentlichen Äußerungen Zweifel an der Verfassungstreue von ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern, könnte man sie ausschließen. "So können zum Beispiel Rechtsextremisten oder Islamisten daran gehindert werden, ihre Gesinnung in Urteile einfließen zu lassen", sagt Lincoln.

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Die jetzt vor dem Bundesverfassungsgericht klagende Muslimin findet die Fachfrau der Gesellschaft für Freiheitsrechte auch wegen ihres gesellschaftlichen Engagements als Schöffin für besonders geeignet. Unter anderem hält die ausgebildete Lehrerin Vorträge über religiös begründeten Extremismus, Antisemitismus und Rassismus.

Die Klägerin konnte nur kurz als Lehrerin arbeiten

Ihren Beruf hat sie nur kurze Zeit ausgeübt, weil sie nach der Geburt ihrer Kinder bis 2006 in Elternzeit ging. Im selben Jahr beschloss ihr Bundesland Nordrhein-Westfalen ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen in öffentlichen Schulen. Ausgenommen war die Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen.

Der muslimischen Lehrerin blieb die Rückkehr ins Klassenzimmer wegen ihres Kopftuchs verwehrt. Trotzdem bewarb sie sich an einigen Schulen, erhielt aber keine Stelle mehr. Deshalb absolvierte sie 2008 eine Weiterbildung zur Familientherapeutin. 15 Jahre nach ihrem Berufswechsel muss sie wieder die Erfahrung machen, aufgrund ihres Glaubens und ihres äußeren Erscheinungsbildes vom deutschen Staat abgelehnt zu werden. Dieses Mal als Schöffin. Ihre letzte Hoffnung ist nun das Bundesverfassungsgericht.

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
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