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Politik

Koreas Wiedervereinigung als Gedankenspiel

Esther Felden
26. Januar 2018

Seit Jahrzehnten ist Korea ein geteiltes Land. Nach den Spannungen der vergangenen Monate stehen die Zeichen jetzt auf vorsichtige Entspannung. Es fällt sogar der Begriff Wiedervereinigung. Doch ist das realistisch?

Südkorea Präsidentschaftswahl Gewinner Moon Jae-in
Bild: Reuters/S. Myeong-gon /Yonhap

Ein Volk, ein Land, ein Korea. Wie das war, daran können sich auf der Koreanischen Halbinsel nur noch die allerwenigsten erinnern. Seit über siebzig Jahren ist das Land bereits geteilt. Diejenigen, die den Zweiten Weltkrieg, die amerikanische beziehungsweise sowjetische Besatzung und den Korea-Krieg erlebt haben, sind heute alte Menschen. Und jedes Jahr werden es weniger.

Das sieht man nicht zuletzt an den Zahlen der Familien, die auf den Wartelisten für die seltenen und heiß ersehnten innerkoreanischen Familientreffen stehen. Nur noch knapp 60.000 warteten Anfang 2018 nach Angaben des südkoreanischen Wiedervereinigungsministeriums darauf, ihre Verwandten aus dem Norden noch einmal umarmen zu können, allein im vergangenen Jahr verstarben 3700. Die Zeit rennt unerbittlich davon. Und die politischen Fronten zwischen Nord und Süd waren 2017 extrem verhärtet.

Dank Winter-Olympiade bekommen Gedankenspiele über eine Wiedervereinigung AuftriebBild: Reuters/Kim Hong-Ji

Vorstoß aus dem Norden

Seit dem ersten hochrangingen Treffen zwischen Vertretern beider Seiten im Januar hat sich die über Monate stark angespannte Lage kurz vor den Olympischen Winterspielen im südkoreanischen Pyeongchang nun wieder etwas beruhigt. Ein sichtbares Zeichen dafür sind die zwölf nordkoreanischen Eishockey-Damen, die am Donnerstag im Süden ankamen. Sie sollen gemeinsam mit den südkoreanischen Spielerinnen ein Team bilden und bei der Eröffnungsfeier zusammen einlaufen.

Darüber hinaus richteten die nordkoreanischen Staatsmedien einen Appell an Landsleute im In- und Ausland. Sie riefen dazu auf, alles zu tun, um eine Wiedervereinigung zu erreichen. Der Norden werde sämtliche Widerstände gegen einen solchen Schritt "zerschmettern".

Eishockey-Spielerinnen aus Nordkorea treffen im Süden ein. Sie werden mit dem Team aus Südkorea eine Mannschaft bildenBild: Getty Images/AFP/Korea Pool

Der Traum des Präsidenten

Beim südkoreanischen Präsidenten Moon Jae In (Artikelfoto) stößt das Thema Wiedervereinigung traditionell auf offene Ohren. Auf der politischen Agenda des Sohnes nordkoreanischer Flüchtlinge steht es ganz oben. Moons erklärtes Ziel sind eine friedliche Wiedervereinigung und eine atomwaffenfreie Koreanische Halbinsel.

Der Menschenrechtsanwalt setzt dabei auf Annäherung und Dialog mit dem Norden. Und - das betonte Moon im vergangenen Sommer bei einer Rede vor der Körber-Stiftung in Berlin - dabei gehe es ihm nicht darum, dass ein System das andere schlucke. "Ich sage es ganz deutlich: Wir haben kein Interesse an einem Zusammenbruch Nordkoreas. Wir arbeiten nicht an einer Wiedervereinigung durch Absorbierung."

Der ehemalige DDR-Spitzenpolitiker Egon Krenz bei den Weltjugendspielen in Pjöngjang im Sommer 1989 - kurz vor dem Zusammenbruch der DDRBild: Imago/Pemax

Moon möchte Kooperation mit dem Norden, er setzt unter anderem auf unpolitischen und privaten Austausch - getrennt von der politischen und militärischen Situation. Und er plant eine Art wirtschaftliche Road Map. "Meine Regierung möchte eine neue Wirtschaftszusammenarbeit auf der Koreanischen Halbinsel aufbauen. Eine Zusammenarbeit, von der beide Seiten profitieren können."

Zusammenbruch der DDR als Schreckgespenst

Worte, die im Norden gut ankommen dürften. Denn das klingt im Ton anders als bei Moons konservativer Amtsvorgängerin Park Geun-Hye. Auch sie sprach über Wiedervereinigung. Ihr schwebte allerdings eher eine Entwicklung nach deutschem Vorbild vor - mit Südkorea in der Rolle Westdeutschlands. Und das, sagt Ingried Miethe, sei natürlich aus nordkoreanischer Sicht ein Schreckens-Szenario.

Miethe ist Professorin an der Universität Gießen und forscht seit langem zur deutschen Wiedervereinigung. Regelmäßig nimmt sie in Südkorea an Veranstaltungen und Konferenzen rund um das Thema teil, einmal auch im Norden. "Meiner Meinung nach ist die Haltung dazu insgesamt sehr unterschiedlich. In Südkorea ist Wiedervereinigung für die junge Generation eigentlich kein Thema mehr. Die jungen Menschen haben kein nennenswertes Interesse daran. Sie sehen das eher skeptisch, und es ist für sie sehr weit weg. Ich denke, sie fühlen sich den USA deutlich näher als Nordkorea."

Naheliegender Gedanke, aber nicht zu Ende gedachtBild: picture alliance/akg-images/G. Schaefer

Im Norden sei das Thema dagegen sehr präsent, auch und gerade bei den Jüngeren und sogar den Jüngsten. "In jedem Kindergarten hängt eine Karte von ganz Korea. Und überall kriegen die Kinder erzählt, dass sie ein Land sind. Mein Eindruck war, dass es auch wirklich emotional besetzt ist als etwas, was sich auch die junge Generation wünscht." Allerdings bleibe die Frage nach dem "wie" bislang unbeantwortet. "Sie wissen nicht, wie so eine Wiedervereinigung praktisch funktionieren könnte. Nur, wie es nicht gehen soll: Dass quasi das eine System zusammenbricht und das andere übrigbleibt, so wie in Deutschland." Das sei eine Angst, die man spüren könne.

Deutschland ist nicht Korea

Der Vergleich mit der deutschen Geschichte wird gern bemüht, wenn es um eine mögliche koreanische Wiedervereinigung geht. Allerdings: Er hinkt. Allein schon deshalb, weil das wirtschaftliche Gefälle zwischen den beiden Korea deutlich größer ist als damals zwischen Bundesrepublik und DDR.

Auch sonst gibt es große Unterschiede: Während die Menschen im geteilten Deutschland die Möglichkeit zum direkten Austausch hatten - in Form von Briefen, Telefonaten und teilweise auch Besuchen - sind derartige Kontakte zwischen nord- und südkoreanischen Bürgern verboten und abseits der offiziellen Familientreffen kaum möglich.

Vermehrte Familienzusammenführungen wären geboten, aber selbst dafür sind die Rahmenbedingungen noch nicht reifBild: picture-alliance/AP Photo/Yonhap/K. Do-hoon

Die Menschen auf beiden Seiten sind sich deutlich fremder als damals in Ost- und Westdeutschland. Dazu kommt, dass sich Nord- und Südkorea auch in einem erbitterten Krieg gegenüberstanden. "Das ist im kollektiven Gedächtnis in Korea durchaus noch präsent und hat ein Stück weit auch zu wechselseitigem Hass beigetragen." Vergleichbare Gefühle habe es in Deutschland nicht gegeben. 

Taugt Deutschland als Vorbild?

Ingrid Miethe sieht aber auch Parallelen zwischen Deutschland und Korea. "Beide Teilungen sind Folgen des Kalten Krieges - und damit verbunden geht es im Falle einer Vereinigung auch um die Vereinigung eines kommunistischen Systems mit einem demokratischen System. Auf dieser Ebene sind diese beiden Prozesse oder die Ausgangssituationen schon vergleichbar." Allerdings warnt die Gießener Professorin davor, die deutsch-deutsche Geschichte als leuchtendes Vorbild zu sehr zu glorifizieren.

"Die politische und ökonomische Integration hat Deutschland in weiten Teilen sehr gut hinbekommen. Das hat unterm Strich funktioniert, inklusive der Etablierung der Parteiendemokratie in beiden Teilen Deutschlands und auf Ebene der verschiedenen Institutionen. Was eher nicht so gut funktioniert - und darauf weise ich auch in Korea immer wieder hin - ist der mentale Prozess. Damit meine ich das, was oft unter dem Stichwort 'innere Einheit' diskutiert wird."

Auch nach über einem Vierteljahrhundert könne man davon noch lange nicht sprechen. "In den Medien wurde oft das Bild von hinterwäldlerischen, zurückgebliebenen, diktatorischen und totalitären Ostdeutschen gezeichnet. Das ist inzwischen auch wissenschaftlich untersucht worden. Und das hat im Osten zu entsprechenden Reaktionen geführt." Miethe glaubt sogar, dass die Erfolgsgeschichte der AfD anders verlaufen wäre, wenn "dieser Vereinigungsprozess mehr von gegenseitigem Respekt getragen gewesen wäre."

Im Moment ist all das aber noch reine Zukunftsmusik. Das Nahziel ist erst einmal, die Olympischen Spiele von Pyeongchang zu einer friedlichen, gelungenen Veranstaltung zu machen - bei der die sportlichen Wettkämpfe im Vordergrund stehen und nicht die politischen Spannungen, die über der Halbinsel liegen.

 

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