Korrespondenten verteidigen "Welt"- Kollegen
16. Juli 2020Es ist ein sommerlicher, aber nicht besonders heißer Tag in Bolesławiec, einer Kleinstadt im Westen Polens, weniger als 50 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Am schönen alten Markt wehen große rot-weiße Fahnen. Hunderte Leute warten geduldig auf das wahrscheinlich größte Event, das in der Stadt in diesem Corona-Jahr zu erwarten ist: den Wahlkampfauftritt des polnischen Präsidenten Andrzej Duda.
Der national-konservative Politiker kämpft um jede Stimme. Die Umfragen zeigen, dass die zweite Runde der Präsidentenwahl sehr knapp ausgehen wird. Wenige Tage vor der Wahl (die Wahl fand am 12. Juli 2020 statt - Anm. d. Red.) steht der Präsident unter Druck, auch wegen einer Zeitungspublikation. Das auflagenstarke Boulevardblatt "Fakt" berichtet, der Präsident habe einen Mann begnadigt, der wegen Misshandlung und sexuellen Missbrauchs seiner eigenen Tochter im Gefängnis saß.
Der Präsident rechtfertigt sich. Erläutert, dass es die Familie war, die um die Begnadigung gebeten habe. Außerdem ginge es nicht um die Strafe für die Vergewaltigung, die hätte der Man im vollen Umgang verbüßt, sondern um das vom Gericht verhängte Kontaktverbot mit den Familienmitgliedern.
Präsident versus Medien
Aber der Präsident geht noch weiter. Er beschuldigt die "Fakt"-Zeitung, die dem schweizerisch-deutschen Ringier-Axel Springer Verlag gehört, eine schmutzige Kampagne gegen ihn zu führen. Er werde es nicht zulassen, dass die Deutschen den Polen den Präsidenten wählen - sagt er zornig. "Richtig, genau so!" rufen seine Anhänger.
Die Rede wird von dem regierungsnahen Fernsehsender TVP landesweit übertragen. Der Präsident weiß es - trotzdem oder gerade deswegenführt er seine Beschuldigungen weiter. Diesmal attackiert er den Warschauer Korrespondenten der deutschen Tageszeitung "Die Welt", die ebenso dem Springer-Verlag gehört. Er nennt den Korrespondenten namentlich. Dessen Berichterstattung sei ein Beweis für die Befangenheit der deutschen Medien, behauptet das polnische Staatsoberhaupt.
"Es ist schockierend, dass der Präsident einen Journalisten derart öffentlich rüffelt", sagt der Polen-Korrespondent der belgischen Zeitung "Le Soire", Romain Su, im Gespräch mit der DW. Su ist einer der 35 Polen-Korrespondenten aus ganz Europa, die einen Appell verfasst haben, in dem sie den "Welt"-Journalisten Philipp Fritz in Schutz nehmen und den polnischen Präsidenten für seine Äußerungen kritisieren.
"Wir glauben fest an die Pressefreiheit und den offenen Dialog als Eckpfeiler des öffentlichen Diskurses. Dass Präsident Andrzej Duda den Journalisten vor laufenden Kameras bei einer Wahlkampfveranstaltung herausgestellt hat, kommt einem direkten Angriff auf diese Werte gleich", heißt es in dem Statement. Die Autoren verweisen darauf, dass der "Welt"-Korrespondent, dessen Foto im TVP gezeigt wurde, mehrere Drohungen erhalten habe.
Dem Hass ausgeliefert
"Philipp Fritz wurde dem Hass ausgeliefert, er bekam mehrere unangenehme Nachrichten", sagt Su. Seiner Meinung nach hätte Fritz absolut nichts geschrieben, was so eine öffentliche Kampagne gegen ihn begründete. "Man kann mit einem Presseartikel nicht einverstanden sein, mit dessen Ton, aber man greift nicht den Journalisten namentlich an", fügt Su hinzu.
Auch die Organisation Reporter Ohne Grenzen ist über den Fall besorgt. "Es ist inakzeptabel", so der Geschäftsführer der Organisation, Christian Mihr. Präsident Duda müsse sich bei Philipp Fritz entschuldigen und die unabhängige Berichterstattung akzeptieren, "denn nichts anderes hat Herr Fritz gemacht", sagt Mihr gegenüber der DW. Die Tatsache, dass ein regierungsnaher Sender nach der Rede des Präsidenten noch das Foto des Journalisten zeige, sei eine unverhohlene Drohung, fügt er hinzu. "Der Präsident will mit solchen Drohungen offenbar die Stimmungen anheizen", glaubt Mihr.
Das Anheizen der Stimmungen, sei es gegen Deutschland, gegen die Medien oder Homosexuelle, hat sich für den polnischen Präsidenten offenbar gelohnt. Andrzej Duda gewann die Stichwahl vom letzten Sonntag und bleibt Polens Staatsoberhaupt. Wie erwartet ging die Wahl sehr knapp aus: Duda erhielt 51,03 Prozent der Stimmen, sein liberaler Rivale Rafał Trzaskowski 48,97 Prozent.
Der brutale Wahlkampf dürfte der tief gespaltenen polnischen Gesellschaft neuen Schaden zugefügt haben. Auch die Arbeit der ausländischen Korrespondenten in Polen dürfte schwieriger werden. Dem polnischen Medienmagazin "Pressserwis" zufolge hätte die Redaktion der "Welt" ihren Korrespondenten Philipp Fritz vorläufig aus Warschau zurückgezogen.