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Gesellschaft

Koschere Kamelle in Düsseldorf

Maximiliane Koschyk
28. Januar 2018

Der Rosenmontagszug in Düsseldorf ist eine Institution im rheinischen Karneval. Erstmals fährt in diesem Jahr die jüdische Gemeinde mit einem eigenen Wagen mit und setzt ein Zeichen gegen Antisemitismus.

Düsseldorf - Erster jüdischer Mottowagen für den Düsseldorfer Karneval
Bild: picture-alliance/dpa/D. Young

Es ist Montagmorgen, und vor der Lagerhalle im Düsseldorfer Süden ist niemand zu sehen. In genau drei Wochen wird hier geschäftiges Treiben herrschen: Am Rosenmontag werden Traktoren rangieren, Musikanlagen dröhnen, bunt kostümierte Menschen auf riesige Gefährte steigen und die Wagen mit Eimern voll Blumen, Säcke voll Bonbons und Fässern voll Bier beladen.

Auf diesen Moment arbeiten die Karnevalisten seit Monaten hin - auch Michael Szentei-Heise, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Düsseldorf. Er wartet in diesem Moment vor dem Hallentor, späht durch ein Fenster, als ihm eine Frau die Tür öffnet: "Sie wollen zu Ihrem Wagen", sagt sie, "richtig?" Richtig.

Szentei-Heise geht in die Halle, dort stehen Meter hohe bunte Gebilde auf Rädern, teils mit Planen verhüllt, doch er ignoriert sie, geht vorbei an Tischen mit Farbeimern und Stapeln aus Holz, bis er vor ihm steht: dem Wagen. Seine Gemeinde hat 15.000 Euro für die Finanzierung gesammelt, Kostüme organisiert und sogar eine ganze Tonne Süßwaren aus Israel bestellt.

Heinrich Heine: Düsseldorfs umkämpfter Sohn

"Die werden diese Woche geliefert", sagt er. "Keinerlei tierische Bestandteile, keine Gelatine, quasi vegan." Koschere Süßigkeiten oder "Kamelle", wie die Karnevalisten im Rheinland sagen, sie sind extrem wichtig, wenn man wie die Jüdische Gemeinde Düsseldorf in diesem Jahr mit einem eigenen Wagen auf dem Rosenmontagszug sein Debüt gibt.

Am Rosenmontag wacht Düsseldorfs Wappentier, der bergische Löwe, über Heinrich HeineBild: picture-alliance/dpa/D. Young

Der Wagen, von dem aus sie geworfen werden, ist fast fertig: etwa fünf Meter lang, mit einem Podest an der Vorderseite. Auf ihr steht eine riesige Kinderwiege, in die sich ein roter Löwe mit Krone bückt, der "Bergische Löwe", Düsseldorfs Wappentier. An der Seite des Wagens entdecken Kenner das Wahrzeichen der Stadt, den Schlossturm.

An den Turm lehnt sich, Papier und Federkiel zückend: Heinrich Heine. Einer der berühmtesten Dichter Deutschlands und gebürtiger Düsseldorfer. Heine war Jude, konvertierte später zum evangelischen Glauben.

"Die Stadt Düsseldorf hatte in der Vergangenheit schon ein großes Problem damit, dass er ein Jude war", sagt Szentei-Heise. "Das sieht man daran auch, wie lange es gedauert hat, bis die Universität in Heinrich-Heine-Universität umbenannt worden ist und wie lange es verhindert worden ist. Aber", fügt er versöhnlich grinsend hinzu, "wir Juden haben ja auch Probleme damit, dass er konvertiert ist - insofern befinden wir uns gegenseitig in sehr guter Gesellschaft."

Die heimlichen Stars des Karnevals

Der Rosenmontagszug ist der Höhepunkt der fünften Jahreszeit, wie der Karneval auch genannt wird. Die Straßenumzüge in den Karnevalshochburgen Düsseldorf, Köln und Mainz werden live im Fernsehen übertragen.

Der jüdische Gemeindevorsitzende Michael Szentei-Heise (l.) bespricht sich mit Zugleiter Hermann SchmitzBild: DW/m. Koschyk

Doch weder die Kamelle, die von den Paradewagen in die "Helau" und "Alaaf" rufenden Mengen geworfen werden, noch die Prinzenpaare beziehungsweise Dreigestirne, die eine Session lang über den Karneval "regieren", sorgen für soviel Aufregung, wie der Moment, in dem die sogenannten Motto-Wagen das erste Mal zu sehen sind.

Denn egal ob johlendes Lachen oder missbilligendes Stirnrunzeln: Die kunstvoll gestalteten Plastiken aus Draht, Pappmaché und Farbe lassen die wenigsten kalt. Die Skulpturen sind frech, manchmal richtig böse, aber oft auch nicht allzu fern von der Realität, die sie humorvoll kommentieren.

"Der beste Wagenbauer der Republik"

"Wo ist Jacques?" fragt Szentei-Heise, einen der Wagenbauer auf dem Weg nach draußen. "Beim Motto-Wagen", antwortet der Mann in Latzhose. "Ach dann geh ich mal kurz vorbei." - "Bloß nicht", ruft der Handwerker entsetzt. "Wenn Sie da jetzt reingehen, springt er im Dreieck."

Jacques Tilly ist der Wagenbauer des Düsseldorfer Rosenmontagszugs, "der allerbeste Wagenbauer in der ganzen Republik", sagt Szentei-Heinze. Tilly ist berühmt-berüchtigt, für seine brandaktuellen und bissigen Motive. Und brillant, wenn man bedenkt, dass die Ideen oft innerhalb weniger Tage vor Rosenmontag aufgrund aktueller Ereignisse noch einmal umgeworfen und die Aufbauten völlig neu gebaut werden müssen - und das unter strengster Geheimhaltung in einem vom Rest der Halle abgetrennten Bereich.

Wagenbauer Jacques Tilly ist eine Ikone des rheinischen KarnevalsBild: DW/m. Koschyk

Tilly hat auch den Wagen der jüdischen Gemeinde gestaltet, der einzige Wagen, der mit Tillys Segen in diesem Jahr vorab präsentiert werden durfte.

Purim und Karneval: Hochfeste der Fröhlichkeit

Die Seite des Wagens ziert Tillys Lieblingsspruch von Heine: "Den Himmel überlassen wir den Engeln und Spatzen." Er passt zum rheinischen Karneval genauso gut wie zum Judentum, das fast zeitgleich mit dem Karneval ein eigenes Fest feiert: Purim.

"Das weißt durchaus große Ähnlichkeiten zum Karneval auf", erklärt Szentei-Heise. Zum einen verkleide man sich, zum anderen werde auch viel getrunken. "Bei Purim gilt die Regel, dass man so viel trinken muss, dass man zwischen Gut und Böse nicht mehr unterscheiden kann."

Sicherheit bedroht?

Bei den Vorbereitungen auf den Rosenmontagszug wird es für die jüdische Gemeinde besondere Sicherheitsvorkehrungen geben. Sogar eine Sprengstoff-Kontrolle mit Spürhunden ist geplant. "Das sind Dinge, die andere Karnevalistengruppen nicht machen müssen", sagt der Gemeindevorsitzende. Es habe eine Reihe antisemitischer Vorfälle gegeben, insbesondere im Zusammenhang mit jüdischen Schülern auf öffentlichen Schulen, sagt Szentei-Heise. "Das hat uns schon ziemlich beunruhigt."

Mit Heinrich Heine setzt die Gemeinde ein Zeichen gegen AntisemitismusBild: picture-alliance/dpa/D. Young

Doch gerade deshalb wolle man mit dem Karnevalswagen ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen und zeigen: "Wir sind ein Teil dieser Stadt." Denn darum geht es im Grunde beim Rosenmontagszug, und deshalb wird die Gemeinde eben den "größten jüdischen Sohn der Stadt Düsseldorf" feiern, wie es auf der Seite des Umzugswagens groß prangt. Dazu muss man wissen: Im Karneval gehört es unbedingt dazu, sich selbst auch ein bisschen auf die Schippe zu nehmen.

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