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Politik

19 Parteien - und keine Aussichten

Bahri Cani
11. Juni 2017

Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im Kosovo stehen 19 Parteien zur Wahl. Doch auch unter einer neuen Regierung wird sich das Leben im Armenhaus Europas kaum verändern. Extremisten könnten davon profitieren.

Kosovo Wahlkampf Partei LDK
Bild: LDK

Es ist ruhig im Kosovo, und der Wahlkampf wäre für die dortigen Verhältnisse fast langweilig, wenn nicht ab und zu Zwischenfälle unter den serbischen Parteien in Norden des Landes für Aufsehen sorgten. Sie sind untereinander schlimmer zerstritten denn je. Um die Stimmen der serbischen Minderheit werben sechs politische Parteien und Koalitionen. Einige prominente Kandidaten der kosovarischen Serben berichten gar über Gewalt gegen sie und ihre Parteien - und beschuldigen vor allem die Anhänger der von Belgrad unterstützten "Lista Srpska".

Dennoch äußert sich Kosovos Präsident Hashim Thaci im Gespräch mit der DW sehr zufrieden über den bisherigen Verlauf des Wahlkampfs. "Es ist alles im Rahmen eines demokratischen Prozesses", so Thaci. Auch die Kosovo-Polizei und die internationalen Truppen bestätigen, "dass die Sicherheitslage ruhig und unter Kontrolle" sei.

"Kriegsparteien" gegen "Friedensblock"

Für die 120 Sitze im kosovarischen Parlament kandidieren 26 Listen: fünf Koalitionen mit insgesamt 19 Parteien und zwei Bürgerinitiativen. Die Kosovo-Verfassung sieht jedoch eine "positive Diskriminierung" vor, wonach 20 Sitze im Parlament von Vertretern der Minderheiten besetzt werden müssen: 10 von Serben als der größten ethnischen Minderheit, und 10 von Vertretern anderer Volksgruppen wie Türken, Bosniaken oder Roma.

Ramush Haradinaj könnte der neue Regierungschef des Kosovo werdenBild: DW/Bahri Cani

Zum ersten Mal in der Geschichte des jüngsten europäischen Staat haben sich vor den Wahlen Parteien in Koalitionen zusammengeschlossen.

Auf der einen Seite stehen die sogenannten "Kriegsparteien", die Demokratische Partei Kosovo, die Allianz für die Zukunft des Kosovo, Nisma ("Initiative") und einige kleine Parteien. Ihr Kandidat für das Amt des Premierministers ist Ramush Haradinaj, der von Serbien beschuldigt wird, ein Kriegsverbrecher zu sein. Anfang des Jahres wurde er in Colmar (Frankreich) aufgrund eines serbischen Haftbefehls festgenommen, Ende April jedoch freigesprochen. Diese Koalition gilt im Kosovo als größter Favorit.

Auf der anderen Seite rechnen sich auch die Koalitionspartner des sogenannten "Friedensblocks" (Demokratische Liga Kosovo, Allianz Neuer Kosovo und die "Alternative") des bisherigen Ministerpräsidenten Isa Mustafa gute Chancen aus. Seine Regierung wurde  Anfang Mai durch ein Misstrauensvotum gestürzt. Mustafa kandidiert nicht mehr und hat den Weg für einen neuen Kandidaten, den bisherigen Finanzminister Avdullah Hoti, freigemacht. Nicht zuletzt erhebt auch Albin Kurti, der Führer der nationalistischen Bewegung Vetevendosje ("Selbstbestimmung") Anspruch auf den Posten des Premierministers. Kurti ist besonders unter jungen Wähler beliebt.

Ein Staat im desolaten Zustand

Kurti und seine Bewegung haben für diese Wahlen ein 40-Punkte-Programm erarbeitet. Eine Vereinigung des Kosovo mit Albanien spielt darin eine geringere Rolle als bisher. Hauptziel ist die Verbesserung der maroden wirtschaftlichen Lage im Kosovo. Er bedankt sich für die internationale Unterstützung besonders aus Deutschland, wo es rund 600.000 Arbeiter albanischer Herkunft gibt. Sogar im Bezug auf die staatlichen Symbole des Kosovo hat Kurti eine politische Wende vollzogen. "Ja, wir erkennen die Symbole des Kosovo an und wollen eine volle Integration in die EU und NATO", sagte Kurti gegenüber der DW. Die Wahlbeobachter bezweifeln jedoch, dass es für ein Mandat für die Regierungsbildung reichen wird.

Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Regierungsbildung nach den Wahlen sehr schwierig werden wird. Die Herausforderungen, vor denen das Land steht, sind enorm: eine sehr schwierige wirtschaftliche Lage, eine Arbeitslosenquote von fast 40 Prozent, weit verbreitete Armut, allgegenwärtige Korruption und ernsthafte Defizite im Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Dazu kommen gravierende politische Probleme wie die Schwierigkeiten bei der Ratifizierung der Grenzziehung mit Montenegro, der stockende Dialog mit Serbien über die Normalisierung der Beziehungen und die nur schleppende Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof für die Verbrechen von UCK-Kämpfern. Eine Folge der vielen Probleme: Der Kosovo gehört zu den Ländern, deren Bürger ein Visum für die Reise in ein EU-Land brauchen.

Die rätselhafte Vermehrung der Wahlberechtigten

Ein besonderes Thema sind die Wahllisten. Im Vergleich zu den vorangegangenen Wahlen seien einige Fortschritte erzielt worden, sagt Valmir Elezi, Pressesprecher der Zentralen Wahlkommission. "Die Wahllisten sind bereinigt worden, es sind keine Toten mehr auf der Liste, wie das früher der Fall war." Jedoch ist es erstaunlich, dass ein Land mit rund 1,8 Millionen Einwohnern, Kinder und Jugendliche eingeschlossen, auf seinen Wählerlisten rund 1,9 Millionen Wähler verzeichnet hat. Elezi hat dafür eine Erklärung parat: "Auf den Listen stehen auch diejenigen Kosovaren, die in Deutschland und anderen Ländern leben, sowie nach dem Krieg geflohene Serben."

Der Nationalist Albin Kurti gibt sich etwas gemäßigterBild: picture-alliance/dpa/A. Xhemaj

Etwa 100 internationale Beobachter werden zu den Wahlen erwartet. Auch auf Seiten inländischer Wahlbeobachter ist das Interesse groß. In der Bevölkerung herrscht jedoch große Enttäuschung, weil sich auch 18 Jahre nach dem Kosovo-Krieg keine Besserung der Lebenssituation und keine echte Lebensperspektive abzeichnet.

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