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Kosovo: „Abschiebungen bringen nur weitere Destabilisierung“

16. Juni 2005

Von Deutschland aus werden wieder Menschen nach Kosovo abgeschoben. Im DW-Interview ruft Marianne Tritz, Berichterstatterin des Europarates, dazu auf, keine zwangsweise Rückführung in die Region vorzunehmen.

Abschiebung von Kosovo-Albanern auf dem Münchner Flughafen (1998)Bild: dpa

Die verstärkte Abschiebung aus Deutschland in den Kosovo rund 14 Monate nach den ethnischen Unruhen in der Provinz hat die Debatte über ein Bleiberecht für die Betroffenen neu belebt. In Deutschland leben Angaben des Innenministeriums zufolge rund 38 000 Angehörige von Kosovo-Minderheiten und rund 16 000 Kosovo-Albaner.

Hunderte Minderheiten-Angehörige sollen in den kommenden Monaten abgeschoben werden. Sie sind nach einer UNHCR-Einschätzung im Kosovo nach wie vor besonders gefährdet, Opfer von Gewalt zu werden.

DW-RADIO sprach mit Marianne Tritz, Bundestagsabgeordnete für Bündnis 90/ Die Grünen und Berichterstatterin des Europarats zum Kosovo. Sie wird am 22. Juni ihren Bericht zur Lage im Kosovo im Europarat vorstellen.

DW-RADIO/Albanisch: Frau Tritz, Sie haben immer wieder davor gewarnt, die kosovarischen Flüchtlinge aus Westeuropa abzuschieben. Wie begründen Sie ihre Warnung?

Marianne Tritz: Es gibt eine freiwillige Rückkehr und eine andere, die zwangsweise geschieht. Wenn jemand freiwillig rückkehren möchte, dann muss man dafür sorgen, dass er sicher lebt. Das ist die Aufgabe von UNMIK, UNHCR und den ethnischen Gruppen dort. Dann haben wir auch Staaten in Europa, Schweiz, Deutschland, Norwegen, die sehr viele Kosovaren beherbergen, die abgeschoben werden sollen. Das sind nicht nur Minderheiten, sondern auch Albaner. Man spricht von Plänen, wonach ca. 200.000 Kosovaren in den nächsten Jahren zurückgeschoben werden sollen. Davor kann ich nur warnen. Abschiebungen in ein Land, wo die Arbeitslosigkeit bei ca. 70% liegt, wo es keine Einnahmeperspektive gibt, und kein vernünftiges Wohnbauwesen, um die Leute zu beherbergen, führen meines Erachtens nur zu einer weiteren Destabilisierung. Ich habe große Schwierigkeiten damit, dass man Menschen, die hier seit vielen Jahren leben, deren Kinder zum Teil nur Deutsch reden, weil sie hier geboren sind, abschieben will in eine Lebenssituation, die ihnen völlig fremd ist. Das finde ich nicht human.

Am 22. Juni werden Sie ihren Bericht im Europarat präsentieren. Wie sieht das Ergebnis aus?

Ich habe ihn jetzt im politischen Ausschuss des Europarats in Paris vorgestellt. Er ist einstimmig angenommen worden. Dieser Bericht umfasst die Fortschritte, die im Kosovo gemacht worden sind. Er benennt auch die Defizite, er spricht beide Seiten an, die Serben und die Kosovo-Albaner. Er zeigt auf, welche Möglichkeiten der Europarat hat, sich einzuschalten. Er beschreibt im Grunde genommen noch mal wo es noch Defizite gibt, wo sich auch Europa oder der Europarat einfach eine starke Verbesserung wünscht. Und er legt den Finger in die Wunde bei den Fragen der organisierten Kriminalität, der Geheimdienste. Er legt den Finger in die Wunde auch bei der Frage der Abschiebung und des Minderheitenschutzes.

Das Thema Minderheiten haben Sie selber angesprochen. Die Kosovo-Serben weigern sich bis heute, sich an den politischen Strukturen zu beteiligen. Ist das Ihrer Meinung nach gerechtfertigt?

Ich glaube, die Serben im Kosovo müssen ihre Haltung sehr überdenken. Wer in diesem Land leben will, der muss Entscheidungen darüber treffen, wie das lokale Gemeinwesen organisiert wird, wofür das Geld ausgegeben wird, wie das Bildungswesen, das Wohnungswesen, wie ein Sozialstaat und eine Wirtschaftlichkeit aufgebaut wird. Wenn man sich da nicht einbringt, dann entscheiden andere für einen. Ich sehe keine Alternative, außer der der Beteiligung.

Das Gespräch führte Anila Shuka

DW-RADIO/Albanisch, 13.6.2005, Fokus Ost-Südost