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Politik

Kosovo auf Konfrontationskurs

25. November 2018

Die kosovarische Regierung hat Strafzölle auf Importe aus Serbien und Bosnien-Herzegowina verhängt. Im Kosovo finden die Aktionen große Zustimmung. Deutschland und die EU sind ebenso wenig erfreut wie die Nachbarländer.

Grenze zwischen Kosovo und Serbien
Bild: picture-alliance/dpa/N. Sokolov

Die Brotpreise im Kosovo sind um einen Drittel gestiegen. Von den 70-100 LKWs, die die kosovarische Grenze jeden Tag mit Waren aus Serbien passieren, kamen am Freitag nur sieben an. Dennoch jubelten die Kosovaren, als Premierminister Ramush Haradinaj zwei Tage zuvor ankündigte, die Strafzölle gegen Serbien und Bosnien-Herzegowina auf 100 Prozent anzuheben. In Prishtina waren Banner mit der Aufschrift "Heute bin ich 100 Prozent Staat" zu sehen. Die Pressekommentatoren begrüßten einhellig und mit großer Begeisterung die Entscheidung des sonst sehr umstrittenen Premierministers.

Einhellig waren auch die Reaktionen außerhalb Kosovos: Nicht nur aus den betroffenen Ländern selbst kam Ablehnung, sondern auch seitens der EU-Kommission. Außenbeauftragte Federica Mogherini und Erweiterungskommissar Johannes Hahn forderten eine sofortige Zurücknahme der Entscheidung. Ähnliche Reaktionen kamen auch aus Deutschland: "Wir rufen die Regierung in Prishtina dazu auf, diese Entscheidung zurückzunehmen", erklärte das Auswärtige Amt nach einer Anfrage der DW. Denn die Entscheidung der kosovarischen Regierung verstoße gegen das Freihandelsabkommen CEFTA. 

Serben im Nord-Kosovo demonstrieren gegen die Strafzölle gegen serbische Waren: "Wir haben ein Recht auf Brot!"Bild: Reuters/L. Hasani

"Sicherheit gefährdet"

Das sieht man in Prishtina anders: Premierminister Haradinaj schickte am nächsten Tag einen Brief an die Botschaften im Kosovo, worin die Entscheidung begründet wurde. Sie beruhe auf Annex 1 Artikel 18 des CEFTA-Abkommens, demzufolge jedes Mitglied Entscheidungen "zum Schutz der eigenen wesentlichen Sicherheitsinteressen" treffen darf. Haradinaj fügte der Erklärung eine Liste von Aktionen bei, mit denen Serbien mit Unterstützung Bosnien-Herzegowinas die Sicherheit seines Landes gefährde.

Darunter war die jüngste Kampagne Serbiens, die dritte Kandidatur Kosovos für eine Interpol-Mitgliedschaft zum Scheitern zu bringen. Für die Kosovaren war das eine große Enttäuschung, zumal weit weniger Länder, nämlich nur 68, dafür stimmten als erhofft - immerhin haben 110 Staaten die Unabhängigkeit Kosovos anerkannt. Serbien, das Kosovo als Teil des eigenen Territoriums betrachtet, verbuchte die Abstimmung als Sieg. Zuvor war auch die Kandidatur Kosovos für eine Aufnahme in die UNESCO gescheitert. Premier Haradinaj will die Zölle erst aufheben, wenn beide Länder Kosovo als Staat anerkennen.

Deutschland reagiert mit Kopfschütteln

Deutschland hat die Mitgliedschaft Kosovos bei Interpol befürwortet. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte dem kosovarischen Premier Unterstützung zugesichert.

Dass die kosovarische Regierung nun Strafzölle auf Serbien und Bosnien-Herzegowina erhebt, stößt in Deutschland jedoch auf Unverständnis. Peter Beyer, Kosovo-Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss, wertet diese Entscheidung auch als Signal gegen das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kosovo. "Die Regierung des Kosovo muss diese Entscheidungen unverzüglich aufheben. Normalisierung sieht anders aus", sagte Beyer im DW-Interview. Er wies darauf hin, dass "Handelskonflikte in den dafür vorgesehenen Gremien und Verfahren einer Lösung zugeführt werden" müssten.

Serbisch-kosovarischer Dialog gefährdet

Damit ist CEFTA gemeint, deren Vorsitz derzeit übrigens Kosovo innehat. Am 6. Dezember will das Land, das offiziell dort noch als "UNMIK" geführt wird, Gastgeber einer Konferenz der Industrie- und Handelsminister sein. Zu den Teilnehmer-Ländern gehören auch Bosnien-Herzegowina und Serbien. Ziel des Gremiums ist, durch wirtschaftliche Zusammenschlüsse Stabilität in der Region zu schaffen. Ob das nach dieser Entscheidung Prishtinas möglich sein wird, ist fraglich. Serbien und Bosnien-Herzegowina haben schon die vorbereitende Sitzung boykottiert und angekündigt, auch beim Handelsministertreffen nicht dabei zu sein.

Premier Ramush Haradinaj und sein Kabinett haben die Zölle auf Importe aus Serbien und Bosnien-Herzegowina drastisch erhöhtBild: picture-alliance/AP Photo/Kosovo Goernment

Serbien und Bosnien Herzegowina wollen allerdings vorerst keine Gegenmaßnahmen beschließen. Allerdings ließ der serbische Präsident Alexandar Vucic wissen, er werde erst wieder in einen Dialog mit der Kosovo-Regierung eintreten, wenn Kosovo die Zölle aufgehoben habe.

Für Missstimmung zwischen Prishtina und den Serben in Belgrad und in Kosovo sorgte auch eine Razzia am Freitag im Norden Kosovos, bei der kosovarische Spezialkräfte drei Serben verhafteten, die im Zusammenhang mit dem Mord an den serbischen Oppositionspolitiker Oliver Ivanovic im Januar 2018 stehen sollen.

Keine Visa-Liberalisierung in Sicht

Den Konfrontationskurs Prishtinas interpretiert der in der Schweiz lebende kosovarische Journalist Enver Robelli als eine Art Hilferuf. "Serbien versucht, bei jedem Tritt und Schritt, Kosovo zu sabotieren. Es unterhält Parallelstrukturen in Kosovo", so Robelli. Kosovarische Produkte seien in Serbien nahezu verboten, weder Sportler noch Künstler aus dem Kosovo dürfen in Serbien auftreten. Jeder Kosovo-Serbe, der in den Kosovarischen Staat integriert werden möchte, werde von Belgrad unter enormen Druck gesetzt. "Das alles wurde bisher von der EU und den USA toleriert", sagt er. "Deshalb sehe ich diese Maßnahme eher als Hilferuf an die USA und die EU, Druck auf Serbien auszuüben, mit dieser Destabilisierungspolitik aufzuhören".

Ein weiterer Grund dürften die Signale aus den EU-Ländern sein, dass es in diesem Jahr doch noch nicht zu der avisierten Aufhebung der Visa-Pflicht für kosovarische Bürger kommt - obwohl doch die Visa-Liberalisierung von der EU-Kommission empfohlen und Ende September auch vom EU-Parlament beschlossen wurde. Viele Länder, darunter auch Deutschland, scheinen sich noch Zeit mit ihrer Entscheidung zu lassen. Auch Peter Beyer, der selbst ein großer Befürworter der Visa-Liberalisierung ist, rechnet nicht damit vor der Europa-Wahl im Mai 2019. Der Unmut im Kosovo ist groß - zumal es das einzige Westbalkan-Land ist, für das noch die Visa-Pflicht zur Einreise in den Schengenraum besteht.

Protest gegen die Visa-Pflicht: Der kosovarische Künstler Rrezerat Galica hat aus 34 Visa den Slogan "NO MORE" gebildetBild: Rrezeart Galica

Der grüne Kosovo-Berichterstatter im Auswärtigen Ausschuss, Manuel Sarrazin, betont, dass die Kosovaren ein Recht auf die Visa-Liberalisierung hätten: "Die von der EU-Kommission gestellten Bedingungen sind erfüllt. Die Visa-Liberalisierung ist kein Geschenk an die Kosovarinnen und Kosovaren, sondern Teil einer Vereinbarung, die nun auch seitens der EU eingehalten werden muss", sagt er im DW-Interview. Gleichzeitig kritisiert auch er die Eskalationspolitik Prishtinas und appelliert an beide Seiten, zu einem konstruktiven Dialog zurückzukehren. "Ohne gutnachbarschaftliche Beziehungen wird sich die Aufnahme beider Ländern in die Europäische Union auf die lange Bank verschieben", so Sarrazin.