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Europas Kulturgetto

Rayna Breuer17. November 2012

Es liegt in der Natur der Kunst, Grenzen zu überschreiten: gesellschaftliche und geografische. Für Künstler aus dem Kosovo ist die zweite aber unüberbrückbar. Ihre Waffe gegen diese räumliche Isolation - die Kunst.

Schriftzug "Republik Kosova": der junge Staat hat im Februar 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt. An vielen öffentlichen Gebäuden/Wänden ist der Schriftzug "Kosova Republike" zu lesen; Copyright: DW/R. Breuer
Bild: DW/R. Breuer

Sein Büro befindet sich in einer Seitenstraße, nicht weit vom Stadtzentrum entfernt. Es ist ein kleines Zimmer im Untergeschoss, das Kellerfenster lässt kaum Licht durch, ein Ventilator bewegt die heiße Luftmasse hin und her. Überall stapeln sich große Plakate, Fotos und Magazine.

Rrezeart Galica ist Grafikdesigner, 31 Jahre alt, lebt und arbeitet in Pristina. In seiner Heimat ist er für seine Plakate mit einfachen, aber vielaussagenden und scharfen Slogans berühmt geworden. Seine Protagonisten - die internationalen Organisationen im Land. Seine Aussage - ihr politisches Versagen.

"No More" von Rrezeart GalicaBild: Rrezeart Galica

Der Kultur-Protest

Er zeigt den Prospekt, der extra für seine Ausstellung in Berlin zu Beginn des Jahres erstellt wurde. "Das ist ein Plakat mit dem Wort "No More" ("Nicht mehr"). Diesen Schriftzug habe ich aus 39 Visa gemacht. Dafür habe ich Bekannte und Freunde angerufen und sie gebeten, mir ihre Visa zu scannen und zuzuschicken“, erklärt Galica. An einigen Stellen hat er das Wort "rejected" ("abgelehnt") platziert. Es steht für all jene, die kein Glück hatten. "Mit diesem Werk will ich zeigen, wie isoliert wir vom Rest der Welt sind, wir wollen frei nach Europa fahren können."

"No More" - ein Werk geboren aus Wut und der eigenen Erfahrung: Vor einem Jahr wollte eine Galerie in Frankreich einige seiner Werke ausstellen - alles war organisiert: Flug, Hotel, die Plakate wurden gedruckt, er hatte schon seine Eröffnungsrede verfasst. Doch sein Antrag auf ein Visum wurde abgelehnt.

Das Denkmal "Newborn" im Zentrum von PrishtinaBild: DW/R. Breuer

Die politische Realität

"Die jungen Europäer" - so lautet der offizielle Werbeslogan von Kosovo. Jung ist das Land allemal - vor knapp fünf Jahren hat Kosovo seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Doch als Teil Europas fühlen sich die Menschen keinesfalls. Noch immer haben fünf EU-Länder das Land nicht offiziell anerkannt. Auch international ist sogar der Südsudan, der erst vergangenes Jahr seine Unabhängigkeit erklärt hat, von mehr Staaten anerkannt als das Kosovo.

Allen anderen Ländern in Südosteuropa wurden bereits Visa-Erleichterungen eingeräumt. Die Verhandlungen um Visa-Liberalisierung haben Brüssel und Pristina in diesem Jahr aufgenommen. Im Juni stellte die zuständige EU-Kommissarin einen entsprechenden "Fahrplan" vor. Demnach muss sich die Regierung in Pristina mächtig ins Zeug legen - Reformen im Kampf gegen die organisierte Kriminalität und Korruption, Stärkung der Grundrechte, Datenschutz - um nur einige der Voraussetzungen für erleichterte Visa-Bestimmungen zu nennen.

Ausschnitt aus dem Film "Kthimi" von Blerta ZeqiriBild: Blerta Zeqiri

Die kultur-politische Abhängigkeit

"Es ist wirklich frustrierend, wenn man aus dem Kosovo kommt und zur Welt gehören möchte. Du bist isoliert und fühlst dich nicht als Teil des Ganzen und die Welt macht dir deutlich, dass du nicht dazu gehörst - jedes Mal, wenn du den Wunsch äußerst, ein Weltbürger zu werden", sagt Blerta Zeqiri. Sie ist eine junge Regisseurin. Mit ihren Filmen ist sie über die Grenzen Kosovos hinaus berühmt geworden. Ihr aktueller Film "Die Rückkehr" erzählt die Geschichte eines Mannes, der während des Krieges im Kosovo vermisst wurde und nach vier Jahren im serbischen Gefängnis nun zu seiner Familie zurückkehrt.

Der Film war ein großer Erfolg für Blerta - auch auf internationaler Bühne. Er wurde auf dem Sundance Film Festival gezeigt und sie durfte ihr Werk in London sogar persönlich präsentieren, aber eine Selbstverständlichkeit sei das nicht, erzählt Blerta: "Ich hätte neulich zu einem Filmfestival nach Kanada fliegen müssen, aber ich konnte nicht. Die Ausstellung des Visums hatte sich verzögert. Als ich mein Visum dann endlich bekam, war das Festival längst vorbei." "Die Rückkehr" wird derzeit weltweit gezeigt. Für alle Länder ein Visum zu beantragen, würde keinen Sinn machen, sagt sie. Und außerdem gibt es Länder, die den Kosovo gar nicht anerkennen. "Ich hätte ein Festival in Russland besuchen sollen, aber das ging nicht, weil ich aus dem Kosovo bin und Russland den Kosovo nicht anerkennt. Das ist schade."

Blerta Zeqiri, Filmregisseurin aus dem KosovoBild: Fadil Berisha

Die Selbstreflexion

Blerta sieht die Schuld für die Isolation, im Gegensatz zu Rrezeart, nicht nur bei den internationalen Organisationen: "Mir ist vollkommen bewusst, dass wir nicht die Standards und Voraussetzungen erfüllen. Wir haben eine Menge Probleme hier, die es zu lösen gilt. Wir haben zwar Gesetze, aber diese werden nicht umgesetzt." Deswegen könne sie auch verstehen, wieso die Europäer die Kosovaren nicht als Teil ihrer Gemeinschaft empfinden. "Noch nicht", sagt Blerta.

Dagegen wird Rrezeart nicht müde, die internationale Gemeinschaft für die Probleme im Kosovo zu kritisieren: "Dieses Werk trägt den Titel 'EUSEX' und ist eine Parodie auf die Abkürzung der EU- Mission im Kosovo 'EULEX', deren Arbeit im Kosovo meiner Meinung nach gescheitert ist. Das einzige, was die 'Internationalen' gefördert haben, seitdem sie hier sind, ist die Prostitution im Land." Er wollte sich schon vor zwei Jahren von der UN verabschieden: Auf einem Plakat an der Wand hängt das Wort T-UN-G, was "Tschüss" auf Albanisch heißt.

Rrezeart Galica, Designer und Künstler aus dem KosovoBild: DW/R. Breuer

Vor wenigen Wochen hat die Regierung in Pristina der EU-Kommission einen Bericht über den aktuellen Stand der Umsetzung notwendiger Maßnahmen für eine Visa-Liberalisierung vorgelegt. Das Dokument ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, doch Experten schätzen, dass sich die Verhandlungen um Visa-Erleichterungen noch einige Jahre hinziehen werden.

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