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Belogen und misshandelt

Bahri Cani4. März 2015

Auf der Suche nach einem besseren Leben sind Anfang 2015 rund 25.000 Kosovaren nach Deutschland gekommen. Bahri Cani hat eine Familie in der Asylbewerber-Unterkunft in Hemer getroffen.

Valdet Brahimi und Zoja Alijaj mit ihrer Tochter Aurora (Foto:
Bild: DW/B. Cani

Die kleine Aurora hustet die ganze Zeit, die Nase der fast Zweiährigen läuft. Ihre hochschwangere Mutter Zoja versucht, das Mädchen zu beruhigen. Beide haben feuchte Augen. Der Vater und Ehemann Valdet Brahimi nimmt beide Hände vors Gesicht. Er seufzt tief und sagt mit zusammengebissenen Zähnen: "Sie haben uns angelogen. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich diesen Weg nie im Leben angetreten".

Wer sind "sie"? "Viele Leute im Kosovo haben uns gesagt: in Deutschland kriegst du sofort eine Arbeitsstelle, Aufenthaltspapiere und ein Haus, in dem ihr wohnen könnt." Der 25-jährige Familienvater ist nur einer von fast 170.000 Kosovaren, die in den vergangenen Monaten das Kosovo verlassen haben. Sie sind Opfer von Schleusern und dem Gerücht, dass alle Kosovaren "im Westen ein viel besseres Leben erwartet."

Schlangestehen in der zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) für Asylbewerber in HemerBild: imago/Ralph Lueger

Familie Brahimi hatte am 29. Januar den Weg nach Ungarn angetreten, erfüllt von der Hoffnung auf ein besseres Leben in Deutschland. Bis nach Subotica, einer serbischen Stadt in der Nähe der serbisch-ungarischen Grenze, sind sie mit dem Bus gefahren. Dort wurden sie in ein Hotel gebracht, wie tausende anderer Kosovaren auch. Im Hotel verlangten albanisch- und serbisch-sprachige Schleuser für die Überquerung der Grenze nach Ungarn 400 Euro pro Person. Valdet Brahimi erinnert sich: "Am Ende waren sie auch mit 200 Euro einverstanden. Ich habe mich jedoch dafür entschieden, die Grenze mit Hilfe eines GPS-Geräts zu überqueren." Erst nach elf Stunden zu Fuß quer durch Wälder und Wasserläufe erreichte die Familie Szeged in Ungarn: "Das war einfach schrecklich. Am Ende waren wir froh, als wir die ungarische Polizei gesehen haben."

Misshandlung durch die ungarische Polizei

Diese Freude währte jedoch nur sehr kurz. Sie wurden in ein Gefängnis in Szeged gebracht: "Die Polizei hat uns schrecklich behandelt." Zuerst wurden Frauen und Männer getrennt. "In einem Zimmer von circa 100 Quadratmetern Größe waren wir sicherlich mehr als 200 Männer. Das Schlimmste war: Ich wusste nicht, wie es meiner schwangeren Frau und meiner Tochter geht", erzählt Valdet. Frauen und Kinder waren in einer anderen Zelle untergebracht. Mutter Zoja berichtet: "Es gab kein Bett, nur Betonboden. Auf dem Boden lag eine Decke für jedes Kleinkind. Meine Tochter hat die ganze Nacht geschrien. Sie wollte Wasser. Die Tür war aber ganze 24 Stunden zu - ohne Wasser, ohne Toilette, ohne Windeln für die Kinder."

Erst nach 24 Stunden sah Valdet seine Familie wieder. "Keine Sorge, sie werden uns nicht trennen", versuchte er, seine Frau zu ermutigen. "Auf einmal ging die Tür auf. Es kamen fünf Polizisten und schlugen zu, ohne ein Wort zu sagen. Nach dem zweiten Schlag lag ich am Boden - bewusstlos." Erst nach fast vier Stunden konnte er wieder aufstehen. "Sie haben mich brutal geschlagen, nur weil ich mit meiner Frau gesprochen habe."

In Ungarn wurde Valdet Brahimi bewusstlos geschlagenBild: DW/B. Cani

Einen Tag später mussten Valdet und Zoja mit dem Kind in Szeged einen Asylbeantrag stellen. "Wir wollten in Ungarn kein Asyl beantragen. Das war aber die einzige Chance, aus dem Gefängnis zu kommen." Nach dem Asylantrag kamen sie frei. Sie fuhren nach Budapest, weil sie hofften, von dort aus doch noch nach Deutschland zu gelangen. Zoja war so krank, dass sie sofort ins Krankenhaus musste. Zehn Tage später gingen sie zum Hauptbahnhof, aber die ungarische Polizei ließ keine Kosovaren zu den Zügen nach Deutschland, erzählt Valdet: "Ein unbekannter Mann sprach mich an und verlangte 2500 Euro bis Düsseldorf. Ich hatte es so satt in Ungarn, ich habe bezahlt."

Mehr als 4000 Euro für Busse und Schleuser

Schließlich landete die Familie in der Zentralen Unterbringungs-Einrichtung (ZUE) für Asylbewerber in der Stadt Hemer, wo sie auch Asyl beantragte. "Vom 29. Januar bis zum 12. Februar haben wir für Busse und Schleuser mehr als 4000 Euro ausgegeben", rechnet Valdet. Er habe für diese Reise sein Auto und seine Kuh verkauft und zudem noch einige hundert Euro Schulden aufgenommen. "Im Kosovo gab es für uns keine Hoffnung mehr. Ich möchte ein besseres Leben für meine Familie beginnen. Das ist der einzige Grund, warum ich nach Deutschland gekommen bin."

Valdet hat lange in Belgien gelebt. In der niederländischen Hauptstadt Den Haag hat er ein Studium der Kriminologie abgeschlossen. 2011 ist er ins Kosovo zurückgekehrt, weil er seinem Land helfen wollte. Vier Jahre lang suchte er eine Arbeit - vergeblich. Die Arbeitslosenquote im Kosovo liegt zurzeit bei etwa 45 Prozent. Die meisten Menschen sehen keine Perspektive für sich und ihre Familien. Das jüngste Land Europas leidet unter Korruption und organisierter Kriminalität.

Horst Labrenz, Leiter der ZUE für Asylbewerber in HemerBild: DW/B. Cani

Ob sich Valdets Traum von einem besseren Leben in Deutschland erfüllt, ist mehr als fraglich. Zunächst bleiben er und seine Familie in der Unterkunft Hemer. Ursprünglich war vorgesehen, hier bis zu 300 Personen unterzubringen. Zurzeit ist die Einrichtung aber mit etwa 650 Personen überbelegt. "Das ist natürlich für alle Beteiligten eine sehr stressige Situation, besonders für die Betreuer", erklärt Leiter Horst Labrenz. 54 Prozent aller Untergebrachten in Hemer stammen aus dem Kosovo. Sie haben politisches Asyl beantragt.

Kaum Chancen auf Asyl in Deutschland

Haben sie denn eine Chance, Asyl zu bekommen? "Nein", sagt Horst Labrenz: "Sie schaden sich selbst. Sie fallen auf Versprechungen herein, die nicht realisierbar sind. Die wirtschaftliche Notlage dieser Personen ist nachvollziehbar. Ein Grund für einen Antrag nach Paragraph 16a des Grundgesetzes als politisch Verfolgter ist das jedoch nicht ", betont er. Paragraph 16a sieht Asyl für politisch Verfolgte vor und für die Menschen, deren Leib und Leben bei der Rückkehr ins eigene Land gefährdet ist.

Asylbewerber in der zentralen Unterkunft in HemerBild: DW/B. Cani

Bei den ankommenden Kosovaren ist das nach Auffassung der zuständigen Behörden in der Regel nicht der Fall. Deswegen haben im Januar nur 0,3% der Kosovaren tatsächlich Asyl erhalten. Ihre Anträge werden neuerdings innerhalb von zwei Wochen bearbeitet. Danach haben sie die Möglichkeit, innerhalb von zwei Wochen Widerspruch einzulegen, der in der Regel abgewiesen wird. Lothar Strunk, Berater für Migration beim Deutschen Roten Kreuz in Bonn erklärt, dass den Kosovaren nur zwei Möglichkeiten bleiben: freiwillig ins Kosovo zurückzukehren oder abgeschoben zu werden. Abgeschobenen droht allerdings zusätzlich eine Einreisesperre von bis zu fünf Jahren.

Valdet Brahimi hat im Kosovo kein Zuhause mehr. Der Familienvater macht sich große Sorgen: "Ich weiß nicht, wo ich hingehen soll, falls sie mich abschieben. Gott sei mit mir!". Er fühlt sich als Opfer der Gerüchteküche im Kosovo und sendet eine Warnung an seine Landsleute. "Fahrt nicht los - weder allein noch mit der Familie! Das ist ein Fehler! Ihr werdet nur schreckliche Sachen erleben und gar nichts bekommen. Es gibt keine Hoffnung auf Asyl in Deutschland", sagt der junge Kosovare resigniert.

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