Alle Digitaluhren in Europa, die ihren Takt aus dem Stromnetz beziehen, gehen seit Wochen um einige Minuten nach. Der Grund hört sich skurril an: Abstimmungsprobleme zwischen den Netzbetreibern in Kosovo und Serbien.
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Seit Mitte Januar haben es die Stromversorger in Kosovo und Serbien nicht geschafft, ihre Stromnetze gegenseitig sauber auszubalancieren. Eigentlich sind sie nach den Netzgesetzen (grid-codes) des Verbandes Europäischer Übertragungsnetzbetreiber ENTSO-E verpflichtet, die Stromfrequenz im Mittel auf 50 Hertz (Schwingungen pro Sekunde) zu halten. Dazu müssen sie sich gegenseitig kurzfristig mit Energie aushelfen.
Doch in diesem Jahr war die mittlere Frequenz niedriger, weil die Stromversorger nicht miteinander sprechen und sich gegenseitig nicht helfen. Dies führte zu Leistungsdefiziten des erweiterten regionalen Netz-Kontrollgebietes Serbien, Mazedonien und Montenegro - des sogenannten SMM-Blocks. Insgesamt entsprachen die Frequenzabweichungen 113 Gigawattstunden. Das entspricht der Tagesleistung eines größeren modernen Braunkohlekraftwerks.
Niedrigere Frequenz heißt auch: Weniger Energie
Mitglied in der ENTSO-E sind36 Staaten, deren Stromnetze miteinander gekoppelt sind - von Spanien bis Norwegen und von der Türkei und Estland bis auf die britischen Inseln. Die aktuellen Frequenzverschiebungen des Wechselstrom-Taktes wirken sich dabei in 25 Mitgliedsstaaten aus.
Das führt dazu, dass Uhren, die ihren Takt aus dem Stromnetz beziehen - insbesondere netzabhängige Radiowecker oder Uhren an Hausgeräten wie Herden oder auch an Stereoanlagen - seit Beginn der Probleme immer mehr Zeit verloren haben. Sie gehen derzeit etwa sechs Minuten nach.
Besser sechs Minuten verlorene Zeit als eine Stromsperre
Um die erforderliche Frequenz von 50 Hertz zu gewährleisten gibt es eine sogenannte Primärregelung. Dabei handelt es sich um einen technischen Mechanismus, der sicherstellen soll, dass Leistungsschwankungen schnell und unauffällig ausgeglichen werden. Die Regelung zieht etwa Leistung aus Batterien oder von anderen Kraftwerken aus dem Netz hinzu, um Zeit zu überbrücken, bis andere Kraftwerke, die gerade hochgefahren werden, ihre volle Leistung erreichen.
Gelingt dieser Ausgleich technisch nicht, setzt normalerweise ein fünf-Stufen-Plan ein. Fällt die Netzfrequenz unter 49,8 Hertz, müssen in einem ersten Schritt weitere Primärregelreserven aktiviert werden. Gelingt es auch so nicht, das Stromnetz zu stabilisieren, müssen die Betreiber einzelne Verbraucher abtrennen. Dies kann - wenn die Frequenz unter 47,5 Hertz fällt - sogar zu einem Blackout führen.
Zu einem dauerhaften Frequenzabfall, wie derzeit, ist es bisher im europäischen Verbundnetzwerk noch nicht gekommen. "Eine längerfristige Nichteinhaltung dieser Regeln eines Partners ist mir bislang nicht bekannt", sagt Christian Rehtanz, Professor am Institut für Energiesysteme der TU-Dortmund. "Daher ist die Situation neu, aber dringend zu beheben."
Er könnte sich vorstellen, einzelne kleine Netzgebiete vom Rest des Verbundes zu trennen, warnt aber vor möglichen Folgen. "Das Dilemma ist, dass politisch kein Blackout in einer Region riskiert werden sollte, aber anders herum politisches Handeln Einzelner den sicheren Betrieb des Gesamtsystems auch nicht gefährden darf."
Nicht nur ein technisches, sondern auch ein politisches Problem
Die ENTSO-E hat jedenfalls die Mitgliedsstaaten dringend aufgerufen neben der technischen Lösung des Problems auch eine politische Lösung zu finden. Grundsätzlich ist nämlich nicht vorgesehen, dass andere Staaten über lange Zeit Primärregel-Energie zuschießen, um regionalen Defizite auszugleichen. Dennoch besteht kein Grund zur Panik.
Frequenzabweichungen seien bei Normalbetrieb im kontinentaleuropäischen Verbundnetz bis zu einer Größe von einem Prozent (49,5 Hz – 50,5 Hz) für ca. 44 Stunden im Laufe eines Jahres zulässig, sagt Jutta Jansen, die den Lehrstuhl für elektrische Energieversorgung unter Einsatz erneuerbarer Energien an der TU-Darmstadt innehat. "Dies verdeutlicht, dass die während der letzten zwei Monate häufig aufgetretenen minimalen Frequenzwerte von ca. 49,95 Hz (99,9 Prozent) für den Netzbetrieb zunächst nicht kritisch erscheinen."
Dass die Uhren vorübergehend nachgehen sei "eine unangenehme, aber sicherlich nicht als kritisch einzuschätzende Erscheinung", sagt die Darmstädter Professorin. Langfristig wird das irgendwann wieder durch eine minimale Erhöhung der Taktfrequenz ausgeglichen. Also die Uhren besser nicht zu früh stellen, sonst muss man sie hinterher wieder zurückkorrigieren.
Vor 20 Jahren: NATO-Intervention gegen Serbien
Die Bombardierung Serbiens durch die NATO 1999 beendete die Gewalt der serbischen Truppen gegen die Albaner im Kosovo. Dennoch wird dieser Krieg ohne UN-Mandat auch 20 Jahre später kontrovers diskutiert.
Bild: picture-alliance/dpa
Spuren des Krieges auf dem Amselfeld
Der Kosovo-Konflikt spitzt sich Ende der 1990er Jahre immer weiter zu. Zehntausende Menschen sind auf der Flucht. Als alle Bemühungen um eine Befriedung der Region scheitern, beginnt die NATO am 24. März 1999 Luftangriffe auf serbische Militärbasen und strategische Ziele in Serbien. Nach elf Wochen lenkt Machthaber Slobodan Milošević schließlich ein.
Bild: Eric Feferberg/AFP/GettyImages
Scheitern des gewaltfreien Widerstandes
Bereits Mitte der 1980er Jahre beginnen im Kosovo Proteste gegen Versuche Belgrads, die Rechte der albanischen Bevölkerungsmehrheit zu beschneiden. In den 1990er Jahren nehmen die Repressalien massiv zu. Ibrahim Rugova, der seit 1989 die politische Bewegung im Kosovo führt, schwört auf gewaltfreien Widerstand und versucht, Slobodan Milošević zu einem Kurswechsel zu bewegen - ohne Erfolg.
Bild: picture-alliance/dpa
Bewaffneter Guerilla-Krieg
Im Kosovo formiert sich der bewaffnete Widerstand. Die selbsternannte Befreiungsarmee UÇK beginnt einen grausamen Guerilla-Krieg. Sie verübt gewaltsame Angriffe auf Serben, aber auch gegen Albaner, die sie für Kollaborateure hält. Auf die Terroraktionen reagiert Serbien mit Vergeltung: Häuser werden angezündet und Geschäfte geplündert. Hunderttausende Menschen ergreifen die Flucht.
Bild: picture-alliance/dpa
Systematische Vertreibung
Der Krieg wird immer brutaler. Um den Widerstand der UÇK und ihren Rückhalt in der Bevölkerung zu brechen, gehen die serbischen Streitkräfte verstärkt gegen Zivilisten vor. Viele Menschen flüchten in die Wälder. Tausende Kosovaren werden auch mit Zügen und Lastwagen an die Landesgrenzen gebracht - ohne Pässe oder andere Dokumente, die beweisen könnten, dass sie aus dem Kosovo stammen.
Bild: picture-alliance/dpa
Letzter Vermittlungsversuch
Die USA, Frankreich, Großbritannien, Russland und Deutschland rufen die Konfliktparteien im Februar 1999 zu einer Konferenz in Rambouillet zusammen, um ein befristetes Autonomie-Abkommen für Kosovo zu erreichen. Die kosovarischen Vertreter akzeptieren, die serbische Seite ist jedoch zu keinen Zugeständnissen bereit. Die Verhandlungen scheitern.
Bild: picture-alliance/dpa
"Humanitäre Intervention"
Am 24. März 1999 beginnt die NATO, militärische und strategische Ziele in Serbien und im Kosovo zu bombardieren, um die Gewalt gegen die Albaner zu stoppen. Auch Deutschland beteiligt sich an den Angriffen. Die Operation "Allied Force" ist der erste Krieg der NATO in ihrer 50-jährigen Geschichte - und das ohne Rückendeckung des UN-Sicherheitsrats. Russland verurteilt die Intervention scharf.
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Lahmgelegte Infrastruktur
Neben Angriffen auf Militäreinrichtungen nimmt die NATO auch Nachschubwege - Bahnstrecken und Brücken - ins Visier. In den 79 Tagen und Nächten fliegt das Bündnis mehr als 37.000 Einsätze. Auf serbischem Territorium gehen 20.000 Raketen und Bomben nieder. Dabei kommen auch viele Zivilisten ums Leben - "Kollateralschäden" im NATO-Jargon.
Bild: picture-alliance/dpa
Giftwolken über Pančevo
Auch Industrieobjekte werden angegriffen. In Pančevo bei Belgrad treffen die NATO-Bomben Chemieanlagen und eine Düngemittelfabrik. Dabei gelangen große Mengen giftiger Substanzen in die Flüsse, das Erdreich und die Luft - mit schweren gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung. Außerdem wirft Serbien der NATO vor, uranangereicherte Munition sowie Streu- und Splitterbomben einzusetzen.
Bild: picture-alliance/dpa
Krieg gegen Kriegspropaganda
Um Slobodan Milošević das wichtigste Propaganda-Instrument zu nehmen, greift die NATO das staatliche Fernsehen in Belgrad an. Obwohl die serbische Regierung rechtzeitig über den Angriff unterrichtet war, hält sie die Information zurück. Im Sendegebäude sterben 16 Menschen.
Bild: picture-alliance/dpa
Verfehlte Bomben
Im Kosovo treffen NATO-Bomben versehentlich einen albanischen Flüchtlingstreck, dabei kommen Schätzungen zufolge etwa 80 Menschen ums Leben. Als "Kollateralschaden" verbucht die NATO zudem die Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad, bei der vier Menschen sterben. Der Vorfall führt zu einer schweren diplomatischen Krise zwischen Peking und Washington.
Bild: Joel Robine/AFP/GettyImages
Bilanz des Grauens
Anfang Juni kommen erste Signale aus Belgrad, dass Slobodan Milošević zum Einlenken bereit sei. Daraufhin stellt die NATO am 19. Juni die Bombardierung ein. Die Bilanz des Krieges: Tausende Tote und 860.000 Flüchtlinge. In Serbien liegt die Wirtschaft am Boden, weite Teile der Infrastruktur sind zerstört. Kosovo wird unter UN-Verwaltung gestellt.