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Kosovo weiter ohne Regierung

Bekim Shehu (aus Pristina)
30. Juli 2025

Fast sechs Monate nach den Parlamentswahlen gibt es in Kosovo weder ein funktionsfähiges Parlament noch eine Regierung. Die Parteien sind unversöhnlich zerstritten. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung nimmt stetig zu.

Ein Mann, der auf einer Bank in einem Auditorium sitzt, ist von hinten zu sehen, während er sich umdreht und einer Person in der Reihe hinter ihm zuwendet
Der amtierende Ministerpräsident Albin Kurti im Parlament in Pristina während der letzten erfolglosen SitzungBild: Valdrin Xhemaj/REUTERS

Am 9.02.2025 haben die Wähler in Kosovo ihre Stimme abgegeben. Aber bis heute gibt es kein funktionstüchtiges Parlament und keine Regierung in dem kleinen Westbalkan-Staat. Bereits 54 Mal sind die neu gewählten Abgeordneten in der Hauptstadt Pristina zu Sitzungen zusammengekommen. Doch die Konstituierung der Volksvertretung ist jedes Mal gescheitert, zuletzt am vergangenen Samstag (26.07.2025).

Erst am 8. August können die Abgeordneten nun einen neuen Versuch unternehmen. Doch ob sie dabei mehr Erfolg haben werden, ist fraglich. Denn der amtierende Regierungschef Albin Kurti weigert sich beharrlich, einen neuen Kandidaten für das Amt des Parlamentspräsidenten aufzustellen, der für die Mehrheit der Abgeordneten akzeptabel ist.

Die von Kurtis Partei Vetevendosja (deutsch Selbstbestimmung, kurz: VV) vorgeschlagene Kandidatin, Justizministerin Albulena Haxhiu, gilt ihren Gegnern als zu parteiisch zu unausgewogen und wurde bisher jedes Mal abgelehnt. Doch ohne Präsidium kann sich das Parlament laut Verfassung (Artikel 67) nicht konstituieren und die Regierungsbildung nicht beginnen.

Wahlsieger ohne Parlamentsmehrheit

Wahlsieger der letzten Parlamentswahl waren Albin Kurti und Vetevendosja. Der Premier hatte zuvor vier Jahre lang mit eigener Mehrheit regiert. Bei der Wahl am 9. Februar 2025 verfehlte er jedoch mit 42,3 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit und erhielt nur 48 von 120 Mandaten - zu wenig, um erneut allein die Regierung zu bilden.

Keine der anderen großen Parteien Kosovos - die Demokratische Partei PDK und die Demokratische Liga LDK - ist bereit, mit Kurti eine Koalition einzugehen. Gleichzeitig fehlt auch ihnen eine ausreichende Mehrheit, um eine Regierung zu bilden. Diese Patt-Situation hat Kosovo in eine Sackgasse manövriert, aus der das Land keinen Ausweg findet. Bis zur Bildung einer neuen Regierung fungiert Kurti weiter als amtierender Premierminister.

Hekuran Murati, ehemaliger Finanzminister und prominenter Abgeordneter von Vetevendosja, wirft der Opposition vor, die Konstituierung des Parlaments zu blockieren: "Was ihnen die Wähler nicht durch die Wahl gegeben haben, versuchen die Oppositionsparteien sich durch blockierende Manöver zu nehmen", erklärte er vergangenen Woche nach der letzten Parlamentsdebatte.

Die PDK, die mit 20,9 Prozent als zweitstärkste Kraft aus den Wahlen hervorging, bezeichnet die Situation als "Staatsversagen" und gibt Kurti die Schuld daran: "Keine Lösungsversuche, kein Nachdenken über Konsequenzen, kein Mitgefühl für die Bevölkerung - trotz klarer Empfehlung des Verfassungsgerichts für Kompromiss und Vertrauen", so PDK-Chef Memli Krasniqi.

Besorgte Stimmen aus dem Ausland

Der Jurist und Politikexperte Blerim Burjani kritisiert das Verhalten aller Parteien. Sie sähen nur ihre eigenen Interessen und nicht die der Wähler, sagte er der DW. "Keine Seite kann sich in der aktuellen Lage wohlfühlen. Die Abgeordneten haben ein individuelles Mandat und könnten mit dem nötigen Willen zu einer Lösung beitragen - doch sie bleiben ihren Parteien treu."

Der politische Beobachter Blerim BurjaniBild: privat

Auch EU-Vertreter und die Botschafter der sogenannten QUINT-Staaten - USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien - äußern sich zunehmend besorgt. Die US-Botschaft in Pristina forderte die Parteien zur Einigung auf: "Diese anhaltende Blockade verzögert den Fortschritt Kosovos und gefährdet die Integrität der hart erkämpften Institutionen", heißt es in ihrer Erklärung. "Das kosovarische Volk erwartet von seinen politischen Führern, dass sie im besten Interesse des Landes handeln."

Der deutsche Botschafter in Pristina, Jörn Rohde, erklärte: "Die Bürger haben am 9. Februar gewählt - und jetzt sind fast sechs Monate vergangen. Es ist ein Armutszeugnis, dass das Parlament noch nicht konstituiert ist."

Der deutsche Botschafter in Kosovo, Jörn RohdeBild: Deutsche Botschaft Kosovo

Auch der Rechtsexperte Ehat Miftaraj vom Kosovo Law Institute (KLI) kritisiert, dass es dem Parlament noch nicht gelungen ist, sich zu konstituieren. Dies habe weitreichende Folgen: "Die parlamentarische Kontrolle über die Regierung fehlt, viele unabhängige Institutionen sind handlungsunfähig, da Mandate der Vorstandsmitglieder abgelaufen sind. Bis Ende des Jahres droht die Zahl dieser blockierten Institutionen enorm zu steigen. Das lähmt die demokratische Funktionsweise der Verfassungsinstitutionen erheblich."

Seiner Einschätzung nach droht Kosovo bei weiterer Blockade, als "gescheiterter Staat angesehen zu werden, dem der politische Wille zur Aufrechterhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung fehlt".

Protest der Zivilgesellschaft

Die anhaltende politische Blockade hat auch die Zivilgesellschaft auf den Plan gerufen. Nichtregierungsorganisationen protestieren seit dem 15. April, als erste Versuche zur Parlamentskonstituierung scheiterten, vor dem Parlament. Sie fordern die Schaffung funktionierender Institutionen. Aktivist Eugen Cakolli vom Demokratischen Institut des Kosovo und Sprecher von über 50 NGOs, sagt: "Wir erheben unsere Stimme, wenn der Staat blockiert ist und wenn die politischen Vertreter - ob Regierung oder Opposition - ihre Funktionen nicht ausüben."

Eugen Cakolli vom Demokratischen Institut des Kosovo (KDI)Bild: Kosovo Demokratisches Institut KDI

Cakolli macht vor allem Wahlsieger Kurti für die Blockade verantwortlich. "In einer Situation ohne Mehrheit ist jede systematische Ablehnung des Dialogs und jeder Lösungsformel Teil der Blockade - unabhängig von der politischen Rolle oder dem Posten, den jemand bekleidet."

Ein gescheiterter Staat?

Kosovo ist der jüngste Staat Europas. Die ehemalige serbische Provinz hatte im Jahr 2008 ihre vollständige Unabhängigkeit erklärt und funktioniert seither als parlamentarische Republik. Die Verfassung erkennt auch nationale Minderheiten an, darunter die Kosovo-Serben, die durch die politische Partei "Serbische Liste" vertreten sind - eine Partei, die laut albanischen Politikern vom serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic gesteuert wird. Keine der albanischen Parteien ist derzeit bereit, mit "Srpska" zusammenzuarbeiten, obwohl dieser Partei zehn Parlamentssitze zustehen.

Der Rechtsexperte Ehat Miftaraj beklagt, dass Kosovo aufgrund der anhaltenden Blockade das Schlusslicht beim EU-Integrationsprozess in der Region sei. "Kosovo ist das einzige Land auf dem Westbalkan, das die notwendigen Abkommen zur Umsetzung der Instrumente des EU-Wachstumsplans nicht ratifiziert hat. Trotz großzügiger Zusagen der EU - über 880 Millionen Euro für die Jahre 2024-2027 - kann Kosovo die Mittel nicht abrufen, denn es gibt weder Parlament noch Regierung", so Miftaraj.

Kosovo ist eines der ärmsten Länder in Europa. Seit 2011 wanderten rund zwölf Prozent der Bewohner aus.

Bekim Shehu Korrespondent aus Kosovo, vor allem für DW Albanisch
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