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Gesellschaft

Der Fahrpreis ist nicht alles

Emily Gordine
4. Dezember 2019

Mehrere deutsche Städte testen Gratistickets für Bus und Bahn. Ein Experiment, denn weltweit sind Städte für rund dreiviertel des CO2-Austoßes verantwortlich. Reicht das, um Autos aus Ballungsräumen zu verdrängen?

Deutschland Ein Tag kostenlos Bus und Bahn fahren in Hannover
Bus und Bahn sollen dabei helfen, die Luft in den Städten sauberer zu machenBild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

Im Mai 2018 verklagte die Europäische Kommission Deutschland und fünf weitere EU-Länder vor dem Europäischen Gerichtshof wegen Luftverschmutzung. Die Richtlinien für Stickstoffdioxid wurden in zahlreichen deutschen Städten teilweise massiv überschritten. Laut EU-Kommission sorgen schädliche Abgase EU-weit jedes Jahr für 400.000 vorzeitige Todesfälle. In Deutschland soll vor allem der öffentliche Nahverkehr helfen, die Luft sauberer zu machen. Der Bund unterstützt die Länder und Kommunen dabei jährlich mit rund 8,6 Milliarden Euro. Das Klimapaket verspricht außerdem eine Erhöhung der Bundesmittel für den Ausbau des Nahverkehrs mit einer Milliarde Euro jährlich ab 2021. Viele Klimaforscher kritisieren, dass das bei weitem zu wenig sei. Insgesamt stehen dem Bundesministerium für Verkehr knapp 30 Milliarden Euro zur Verfügung. Davon gehen rund 40 Prozent in die Erhaltung von Bundesfernstraßen – die vor allem von Autos genutzt werden. Gleichzeitig versuchen mehrere deutsche Städte neue Anreize zu schaffen, dass die Menschen weniger das Auto und mehr die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen.

Schnelles Umsteigen

In Hannover zum Beispiel durften die Bewohner der Region am Samstag vor dem 1. Advent den öffentlichen Nahverkehr kostenlos nutzen. Deutlich mehr Busse und Bahnen wurden eingesetzt, um das Angebot attraktiver zu machen. Stephan Barlag ist Lehrer in Hannover und Mitglied der "Parents-For-Future". Er freute sich über diesen Aktionstag, denn am Mittag war er mit dem Fahrrad in der Stadt unterwegs und fühlte sich aufgrund des geringeren Verkehrs deutlich sicherer auf den Straßen. Am Abend fuhr Barlag schließlich noch zu einem Bekannten am anderen Ende der Stadt und nutzte dafür die kostenlosen Verkehrsmittel. "Das Umsteigen hat viel weniger Zeit gekostet, weil die Busse pünktlich waren. Die Fahrt war allgemein flüssiger." Einige Straßen im Stadtgebiet waren sogar für den normalen Verkehr gesperrt, damit die Busse und Bahnen schneller durchkommen konnten. Den Zuwachs an Fahrgästen spürt man ebenfalls kaum - dank der erhöhten Taktfrequenz von Bus und Bahn. "Ein sehr positives Erlebnis", sagt Barlag.

Nach ersten Erkenntnissen nutzten 60 Prozent mehr Fahrgäste den öffentlichen Nahverkehr in Hannover Bild: picture-alliance/dpa/M. Frankenberg

Der Verkehrsdezernent der Region, Ulf-Birger Franz, geht davon aus, dass dieser Aktionstag rund 600.000 Euro gekostet hat. Teuer aber erfolgreich: nach ersten Erkenntnissen nutzten 60 Prozent mehr Fahrgäste den öffentlichen Nahverkehr. Der grüne Bürgermeister, Belit Onay, begrüßt dieses Ergebnis. Allerdings sieht man diesen Aktionstag vor allem als Experiment und nicht als langfristige Lösung, betont Verkehrsdezernent Franz. Der Nahverkehr soll in Zukunft weiter ausgebaut werden - und wird nicht allein durch den Preis attraktiv. 

Billiger ist nicht immer besser

"Komfort, Zuverlässigkeit und Erreichbarkeit spielen eine viel größere Rolle", sagt Lukas Block vom Fraunhofer Institut, wo er an neuen Mobilitätsformen forscht. Die versteckten Kosten eines Autos seien weitaus größer als die Kosten für die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel, trotzdem werde das Auto immer wieder "schöngeredet", sagt er. Wenn zum Beispiel die U-Bahn ständig überfüllt, regelmäßig verspätet oder die Haltestelle schwer erreichbar ist, spielt es eine geringere Rolle, dass die Fahrt gratis ist.

Das zeigen auch andere städtische Initiativen, wie zum Beispiel das 365-Euro-Ticket in Bonn, das bereits im vergangenen Jahr im Rahmen der Bundesinitiative "Lead City" eingeführt wurde. Bus und Bahn fahren für umgerechnet einen Euro am Tag. Aber von den 17.000 Tickets sind bisher nur knapp 6 500 Tickets verkauft worden. Kritiker bemängeln, dass Pendler von diesem Ticket keinen Nutzen haben und für sie das Auto weiterhin attraktiver bleibt. Laut dem Statistischen Bundesamt pendeln in Deutschland 68 Prozent der Arbeitnehmer mit dem Auto, knapp 50 Prozent aller Pendler fahren über zehn Kilometer zu ihrer Arbeit. Ein günstiges Ticket, das nur innerhalb der Stadtgrenzen gilt, hat darauf wenig Auswirkung.

Ein günstiges Ticket, das nur innerhalb der Stadtgrenzen gilt, hat wenig Auswirkung auf die Pendler aus dem Umland Bild: Getty Images/S. Gallup

Und innerhalb der Städte verändert sich ohnehin die Nachfrage fürs Auto. "In den Großstädten ist die Zahl der jungen Leute mit Führerschein rückläufig", betont Block. Das liegt unter anderem daran, dass er hier nicht notwendig ist, weil die öffentlichen Verkehrsmittel gut fahren und das Fahrrad eine gute Alternative bietet. Im ländlichen Raum sieht das anders aus. Aber auch hier würde ein kostenloses Angebot der öffentlichen Verkehrsmittel wenig bewirken, da Bus und Bahn viel unregelmäßiger fahren und manche Ortschaften ohnehin keine guten Verbindungen anbieten. Ein Shuttle-System wäre hier viel sinnvoller, so Block. Eine Art Minibus könnte beispielsweise eine bestimmte Bundesstraße abfahren und nur in die verschiedenen Dörfer fahren, wenn Bedarf besteht. Das können die Bewohner per Smartphone oder Telefon melden. Allerdings sagt er auch: "Die Ideen zum Shuttle-Service werden erprobt und die einzelnen Verkehrsverbände müssen lokal herausfinden, was für die Menschen vor Ort am besten passt. Es ist eine komplett neue Spielwiese".

Auch Münster und Karlsruhe bieten für die Advent-Samstage kostenlosen Nahverkehr an und verbuchten dadurch bisher einen Zuwachs an Fahrgästen. Allerdings erhöhten beide Städte auch die Kapazität von Bussen und Bahnen. Für Professor Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung spielt noch ein anderer Aspekt eine wichtige Rolle, um die Menschen vom öffentlichen Nahverkehr zu überzeugen: die staatliche Subventionierung des Autos. "Erst wenn der Diesel nicht mehr mit acht Milliarden Euro pro Jahr subventioniert wird und das Parken in Städten teurer wird, dann herrscht Waffengleichstand".

Der Nahverkehr muss attraktiver werden, wenn die Luftqualität sich in den Städten verbessern soll. Dafür müssen neben dem Preis auch Aspekte wie Komfort, Zuverlässigkeit und Erreichbarkeit adressiert werden. Dabei darf nicht vergessen werden, dass das Auto selbst auch eine große Rolle spielt und gleichzeitig unattraktiver gemacht werden muss.

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