Krönung einer Basilika
14. Mai 2014Ein gläserner Fahrstuhl bringt die Besucher hinauf auf den 46 Meter hohen Turm mit seiner neuen Plattform. Mehr als zwei Jahrzehnte haben die Wismarer auf diesen Augenblick gewartet. So lange hat der Wiederaufbau von St. Georgen, einer der bedeutendsten Hallenkirchen in der Bundesrepublik, gedauert. Als Teil der Wismarer Altstadt gehört sie seit 2002 zum UNESCO Welterbe. Die Kirche entstand im 13. und 14. Jahrhundert im Stil der Backsteingotik. Der monumentale gotische Sakralbau hat einen Grundriss von gut 80 mal 45 Metern, die Dresdner Frauenkirche würde gleich zweimal hineinpassen. "Die Kirche steht wieder, der Schlusspunkt ist gesetzt", sagt Thomas Mertz, Sprecher der Deutschen Stiftung Denkmalschutz.
Das Wunder von Wismar
Seit 1990 sei die St. Georgenkirche das "Flaggschiff" der Bürgerstiftung, erläutert Metz. Diese steuerte die Hälfte der mehr als 40 Millionen Euro Restaurierungskosten bei. Das erste Geld floss bereits in den letzten Monaten der DDR: Die Stiftung hatte ihre Satzung geändert, um noch vor der Wiedervereinigung ihr erstes Ost-Kind aus der Taufe heben zu können. Die 46 Meter hoch aufragende Georgenkirche wäre wie ein Kartenhaus eingefallen, wenn 1990 nicht mit den Arbeiten am Gebäude begonnen worden wäre, wissen Experten.
Im Januar 1990 ließ ein Orkan den Nordgiebel des Querhauses auf Wohnhäuser in der historischen Altstadt stürzen, ein Kind wurde schwer verletzt. Die St.-Georgen-Kirche stand zum Abriss. Die Katastrophe wurde zum Anstoß für das "Wunder von Wismar". Beherzte Bürger gingen mit einem Hilferuf an die Öffentlichkeit. Neben der Denkmalstiftung und privaten Spendern gaben Bund, Land und Stadt Millionen für den Wiederaufbau der kolossalen Kirche.
Die größte Kirchenruine Deutschlands
Das Gebäude war zu diesem Zeitpunkt eine Ruine. Nicht nur, weil es in den letzten Kriegstagen im April 1945 stark beschädigt worden war. Es hatte danach einige Reparaturversuchen in den 1950er Jahren gegeben, aber sie blieben erfolglos. Das Dachgestühl stürzte ein und das ungeschützte Gebäude verfiel so stark, dass die neue und alte Sakristei abgerissen werden mussten. St. Georgen war die größte Kirchenruine Deutschlands.
Die Renovierungs- und Sanierungsarbeiten waren immens. Die Gründung wurde stabilisiert, das Gewölbe Backstein für Backstein neu gemauert, Säulen verstärkt, Wandbilder und Inventar aufwändig restauriert. Und der Turm bekam einen Aufzug sowie eine verglaste Plattform. Sie ermöglicht nun eine grandiose Aussicht über die Hansestadt bis hin zur Insel Poel.
Bange Stunden gab es oft, erzählt Kirchenbauverantwortlicher Thomas Junggebauer. Etwa als 1993 die Fundamente im Ostteil nachgaben, die Kirche kippte und einen tragenden Pfeiler spaltete. Oder als der "Heilige Martin" von einem Wandbild abzustürzen drohte und zur Notsicherung erst in letzter Minute Geld aufzutreiben war. Einer der schönsten Augenblicke war wohl die Rückkehr der einst ausgelagerten Glocke. 1995 läutete sie genau 50 Jahre nach der Zerstörung von St. Georgen erstmals wieder für die Wismarer.
Ewige Baustelle
"Gott sei Dank ebbt die Spendenwelle nicht ab", sagt Welterbeverantwortlicher Norbert Huschner. "Mit der Kirche werden wir wohl nie fertig." Mindestens eine Viertelmillion Euro seien weiterhin jedes Jahr für den Erhalt nötig, etwa ein Drittel davon solle aus Eintritten für die Besucherplattform und Veranstaltungen gedeckt werden. Auch die Stiftung Denkmalschutz wolle weiter fördern, sagt der Sprecher.
Vorstandsvorsitzende Rosemarie Wilcken, früher Bürgermeisterin von Wismar, nennt die wiedererrichtete Backsteinkirche "ein einmaliges Geschenk der deutschen Einheit". In St. Georg sollen zukünftig nicht nur Gottesdienste abgehalten werden. In dem riesigen Raum mit seinem wunderschönen Deckengewölbe sollen Konzerte, Lesungen und Ausstellungen stattfinden. Wismar ist seit dem Wochenende um eine Attraktion reicher.
Grit Büttner (dpa)