1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kraftlose Kraftwerksbauer

Carsten Grün
14. Dezember 2017

Siemens und GE wollen weltweit in ihren Kraftwerkssparten massiv Personal entlassen. Beiden Unternehmen werden Managementfehler vorgeworfen. Ausbaden müssen dies nun die Mitarbeiter - auch an den deutschen Standorten.

Deutschland Facharbeiter in Siemens-Gasturbinenwerk in Berlin
Bild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

Exemplarisch für die Umwälzungen stehen hier Mönchengladbach und Mülheim an der Ruhr. In Mülheim geht es um 740 Arbeitsplätze der zuletzt 4700 Stellen im Kraftwerksbau. In Mönchengladbach betreibt General Electric (GE) eine Niederlassung, die Transformatoren für die Branche herstellt. Die soll nun 2019 geschlossen werden. Auch andere deutsche Standorte beider Unternehmen wie zum Beispiel Görlitz, Berlin oder Mannheim sind von Schließung und Entlassungen betroffen.

Daher ist die Wut bei den Mitarbeitern groß. "Im ersten Moment war das eine Schockstarre, die Leute haben es nicht geglaubt. Man hatte ein Ohnmachtsgefühl und es war, als würde einem der Boden unter den Füßen weggezogen", sagt Falk Hoinkis, Betriebsrat bei General Electric in Mönchengladbach. Er ist gerade auf Mobilisierungstour in Berlin im Büro der SPD-Bundestagsabgeordneten Gülistan Yüksel. Die SPD positioniert sich hier klar. "Der Rückhalt, den wir hier erfahren, ist wie ein Weihnachtsgeschenk", so Hoinkis. Yüksel selbst ist bestürzt über die Schließungspläne und stellt sich an die Seite der Mitarbeiter. "Sie haben unsere Unterstützung", so die Sozialdemokratin.

Beschäftigte gehen auf die Straße

Die Rückzugspläne haben die GE-Mitarbeiter kalt erwischt, aber sie sind einiges gewohnt und zeigen nun eine Reaktion: "Auf einmal ging ein Ruck durch die Belegschaft. Wir machen jetzt Überstunden, um die Jahresergebnisse zu erreichen", so Hoinkis. Das Hauptübel der Entwicklungen bei GE ist für den Gewerkschafter klar. "Das sind die eiskalten Aktionäre. Denen geht es nur um Rendite."

Mehrere GE-Mitarbeiter demonstrierten am Freitag außerdem vor dem Deutschlandsitz des Unternehmens in Frankfurt. Sie verlangten ergebnisoffene und faire Verhandlungen. Die IG-Metall hatte zu der Kundgebung aufgerufen. "Alternativen zum Arbeitsplatzabbau müssen ernsthaft geprüft werden", sagte der Gesamtbetriebsratschef der GE-Sparte Power Conversion, Martin Ruess.

Will für die Mitarbeiter von General Electric in Mönchengladbach kämpfen: Betriebsrat Falk Hoinkis Bild: Thomas van Dam

Erneuter Stellenabbau

Für Betriebsrat Hoinkis ist es die zweite Entlassungswelle, nur dass dieses Mal endgültig Schluss sein soll. "Anfang 2016 haben bereits 1736 Mitarbeiter ihre Kündigung bekommen." Seine Erfahrungen mit GE waren durchweg negativ geprägt. "Im Dezember 2015 wurden wir erst übernommen, dann kamen die ersten Entlassungen und jetzt der Schließungsbeschluss", sagt er.

Hoinkis ist seit 38 Jahren im Unternehmen. Hat hier seine Ausbildung gemacht, ist seit 17 Jahren Betriebsrat. Vor der Übernahme gehörte die Niederlassung zum französischen Alstom-Konzern. Für Hoinkis wäre das Aus ein Dilemma. "Das ist hier wie Familie." Seine Hoffnung setzt er jetzt auf einen neuen Investor.

Muss er auch, denn General Electric steckt in der Krise. GE hat seit Jahresbeginn über 40 Prozent an der Börse an Wert verloren, in Zahlen rund 100 Milliarden Euro. Früher war GE das Flaggschiff der US-Konzerne, heute gehört es nur noch zu den 50 einflussreichsten Unternehmen der USA - Tendenz fallend.

Dividendenkürzung

Als erste Maßnahme wurde die Dividende halbiert. Das passierte GE seit 1938 bislang nur im Krisenjahr 2009. Als nächster  Schritt werden unrentable oder nicht mehr ins Portfolio passende Bereiche abgestoßen - die Folge Stellenabbau. Wie schrieb unlängst das englischsprachige Finanzportal 'Seeking Alpha'? "Das Blutbad hat begonnen." 12.000 Arbeitsplätze sollen weltweit wegfallen. Davon 1600 in Deutschland.

Falk Hoinkis' Blick geht auch hinüber zu den Kollegen von Siemens. Mit denen plant er einen Austausch. Deren Probleme sind jedoch im Vergleich zu denen von General Electric nicht ganz so heftig.

Treibt den Konzernumbau voran: Siemens-Chef Joe Kaeser Bild: picture-alliance/dpa/T. Hase

Siemens verzeichnet Gewinne

Bei Siemens sprudeln die Gewinne. Vor wenigen Wochen hatte Siemens-Chef Joe Kaeser einen Rekordüberschuss verkündet. Mehr als sechs Milliarden Euro Gewinn. Und jetzt der Gau für die Beschäftigten. Mindestens 6900 Stellen von den 30.000 im Kraftwerksbereich sollen wegfallen. Ursache für den Einschnitt. Der Markt für Turbinen, die in Gas- und Kohlekraftwerken benötigt werden, ist am Boden. Natürlich kommen immer wieder Bestellungen ins Unternehmen, so wie zuletzt im Umfang von 700 Millionen Euro aus Libyen, doch das ändert auch nichts mehr an den Unternehmensbeschlüssen.

Siemens-Personalchefin Janina Kugel hat auch schon erklärt, wie die Situation angegangen werden soll. Abfindungen, Beschäftigungsgesellschaften, Weiterqualifizierungen, Frühpensionierungen, Altersteilzeit, heißen die Mittel. Seien genug Mitarbeiter bereit, diesen freiwilligen Maßnahmen zuzustimmen, dann gebe es keinen Grund, betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen, so Kugel.

Ob die Umstrukturierungspläne von Siemens in Mülheim auf die Zulieferer in der Region Einfluss haben ist fraglich. "Es ist nicht klar, ob die Firmen aus der Region sind. Oft kommen sie aus dem Ausland oder aus anderen Teilen Deutschlands. Das ist nicht wie damals beim Bergbau, wo man sagen konnte: An jedem Arbeitsplatz hängen soundsoviele andere Jobs", sagt Heinz-Jürgen Hacks, Leiter der Industriesparte der IHK Essen, Mülheim, Oberhausen.

Fehler beim Management?

Experten machen insbesondere bei GE Managementfehler für die Lage verantwortlich. Ex-Chef Jeffrey Immelt hatte die Zeichen der Zeit überhaupt nicht erkannt und massiv in Öl- und Gasgeschäfte wie beim US-Unternehmen Baker Hughes investiert oder eben den Deal mit Alstom favorisiert. 2015 wurde die Energiesparte des französischen Konzerns übernommen.

Milliardenschwere Fehlinvestition für GE: die Alstom-Energiesparte, hier das Tubinenwerk im französischen BelfortBild: Reuters

Doch bereits damals zeigten sich Hinweise, dass die Sparte defizitär ist. Nach Informationen der Zeitung "Schweiz am Sonntag" soll Alstom die Zahlen vor dem Verkauf an General Electric geschönt haben. So hattte Alstom-Konzernleitungsmitglied Philippe Cochet, Chef der größten Sparte für thermische Kraftwerke, Ende 2012 in einem Interview gesagt, dass Alstom einen großen Auftragsbestand habe, der zu einem starken Umsatzwachstum führen werde. Es gebe einen großen Bedarf an Servicedienstleistungen und einen großen Bedarf an Gas- und Kohlekraftwerken in vielen Teilen der Welt. Das stellt sich nun als falsch heraus.

Dazu kommt, dass GE jahrelang im Preiskampf gegen Siemens die Preise für Turbinen gedrückt hatte. Ein Fehler, der GE-Boss Immelt schlussendlich den Job kostete. Im Sommer wurde er von John Flannery abgelöst. Er soll den alten Kahn GE wieder in Schwung bringen. Defizitäre Bereiche weg - Zukunftstechnologien wie Luftfahrt und Medizintechnik fördern, heißt jetzt die Devise. Auch Baker Hughes soll wieder abgestoßen werden.

Hat Siemens den Trend zu Erneuerbaren Energien verpennt? Gewerkschafts-Protest vor der Konzern-Zentrale in MünchenBild: Imago/DeFodi

Auch Siemens sieht sich hier Kritik ausgesetzt. Seit dem Beschluss zum Erneuerbaren Energiegesetz im Jahr 2000 war klar, dass die "grüne Energie" das Zukunftsmodell im Energiesektor sei. Es war absehbar, dass das klassische Turbinen- und Generatorengeschäft auf Sicht zum Problem werde. Das Management von Siemens habe, wie die Konzernlenker bei RWE und E.On, diese Entwicklung schlicht verpennt und strategisch viel zu spät auf die Verschiebung im Energiemarkt reagiert. Es könne nicht sein, dass diese Managementfehler nun zulasten der Belegschaft gehen sollen, so der Mülheimer SPD-Bundestagsabgeordnete Arno Klare.

Besuch bei Zypries

Natürlich klinkt sich auch die Bundespolitik in die Diskussion ein. Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries empfing kürzlich eine Siemens Delegation mit Personalvorstand Janina Kugel an der Spitze. Das Ganze hat etwas von Geschacher. Vielleicht noch einmal Subventionen herausholen, Siemens hat hier Erfahrung. Rund 1,5 Milliarden Euro erhielt das Unternehmen in den vergangenen Jahren. Die Politik mahnt, was soll sie auch sonst tun. Auch die Gewerkschaften äußern sich. Doch eigentlich stehen sie in der globalisierten Konzernwelt auf einsamen Posten. Man könnte unzählige Beispiele wie Opel oder Bombardier aufzählen.

Am Ende bleiben die Mitarbeiter und ihre Betriebsräte einsam zurück. Die Hoffnung auf den nächsten Investor als lebensverlängernde Maßnahme.

Mönchengladbachs Oberbürgermeister Hans Wilhelm Reiners sagte der Rheinischen Post: "Wenn sich das bestätigt, ist das ein herber Verlust für Mönchengladbach. Es geht um viele qualifizierte Arbeitsplätze." Nicht nur das: Auch das Selbstwertgefühl der Leute, der Zusammenhalt einer Region - alles steht auf dem Spiel. Nicht nur in Mönchengladbach,  auch in Görlitz, Mannheim und an allen anderen Standorten.

 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen