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Musik

Kraftwerk-Gründer Ralf Hütter wird 75

19. August 2021

Ralf Hütter war der Antriebsmotor der Band Kraftwerk. Mit ihr kam die elektronische Musik in die Charts und beeinflusste sogar US-Musiker.

Kraftwerk auf der Bühne, vier Musiker stehen an ihren Keyboards, im knallroten  Hintergrund das Konterfei von Ralf Hütter als Roboter
Ralf Hütter als RoboterBild: Sandro Campardo/dpa/picture alliance

Januar 1975: Aus dem Radio erklingen fremdartige elektronische Töne, ein Männergesang im Unisono gibt ein sphärisches und eintöniges "Wir fahr'n fahr'n fahr'n auf der Autobahn" von sich. Dieses Lied lässt aufhören, sticht heraus aus den anderen Hits der damaligen Zeit von Suzi Quatro, Slade, The Rubettes, Sweet und den vielen erfolgreichen deutschen Schlagern.

Hinter dieser merkwürdig faszinierenden neuartigen Musik, in der zudem noch deutsch gesungen wird - was damals nur in den Schlagern vorkommt - stecken vier junge Männer aus Düsseldorf.

Ein Kunstprojekt entsteht

Antriebsmotor dieses neuartigen Elektro-Kraftwerks ist von Anfang an Ralf Hütter. Der hat bereits 1968 zusammen mit Florian Schneider und verschiedenen weiteren Musikern ein Projekt gegründet, das sich "Organisation zur Verwirklichung gemeinsamer Musikprojekte", kurz "Organisation", nennt. Man experimentiert mit Sounds und Stilrichtungen, mit Design, mit Kleidung und Frisuren, mit Namen. Man trifft sich in der Düsseldorfer Kneipe "Creamcheese" - einem Schmelztiegel der ansässigen Kunst- und Musikszene. Früh ist klar: Das, was hier entstehen soll, wird keine normale Band, es wird ein Kunstprojekt.

Tatsächlich gelingt es der "Organisation", einen Plattenvertrag in England zu bekommen und ein erstes Album zu veröffentlichen. Mit mäßigem Erfolg. 1970 geben Kraftwerk ein Livekonzert in der Rockpalast-Reihe des Westdeutschen Rundfunks (WDR). Die irritierten Blicke der Zuschauer sprechen Bände. Das ist wirklich sehr, sehr neue Musik.

"Ruckzuck" in die Charts

Das nächste Album erhält den Titel "Kraftwerk" - und ein erster kleiner Hit findet sich darauf. In "Ruckzuck" ertönen verschiedene Querflöten, die Florian Schneider sammelt und spielt, eingerahmt in dynamisch-tanzbare Elektronik-Klänge. Der Song wird zur Titelmelodie des in Deutschland populären TV-Politmagazins "Kennzeichen D". Das Album erreicht Platz 30 in den deutschen Charts.

Fieberhaft wird an weiteren Platten gearbeitet. "Hütter war ein Freund der klaren Töne, schiefe oder unsauber gesetzte Töne konnte er nicht haben," erinnert sich der ehemalige Kraftwerker Eberhard Kranemann in einem Interview mit dem WDR. Die Liaison aus echten und elektronischen Instrumenten gibt dem Quartett um Hütter und Schneider noch nicht den richtigen Kick. Immer noch klingt es zu sehr nach den psychedelischen Klängen des Krautrock, nach verzottelten Langhaarfrisuren und Dauernebel im Gehirn.

Die Kraftwerk-Musiker 1973 im Kling-Klang-Studio (v. links: Ralf Hütter, Florian Schneider und Emil Schult)Bild: Brigitte Hellgoth/akg-images/picture alliance

Geschickt eingefädelt: "Autobahn"

Dann bringen die Musiker 1974 die LP "Autobahn" heraus. Und plötzlich wird alles anders. Hütter zieht alle Naturinstrumente aus dem Bandequipment, alle Mitglieder müssen sich rasieren und sich die Haare kurz schneiden. Jeder bekommt einen Anzug verpasst und verschwindet fortan hinter seinem Instrument - einem Synthesizer. Denn nahezu alle Klänge, die es bei Kraftwerk zu hören gibt, werden von nun an synthetisch hergestellt. Außer der menschlichen Stimme. Ralf Hütter singt klar, fast zart und wirkt dabei auch stimmlich untrainiert, doch genau das macht die Faszination Kraftwerk aus.

Das Cover der LP "Autobahn" wird auch auf der Bühne benutztBild: Boettcher

Das audiovisuelle Gesamtkunstwerk

Mit diesem Musikkonzept folgt ein Album nach dem anderen. Alles entsteht im bandeigenen "Kling-Klang-Studio". In einem DW-Interview erzählt das ehemalige Kraftwerk-Mitglied Karl Bartos, dass es oft sehr lustige Sessions waren: "Wir improvisierten, sahen uns dabei an, lachten uns kaputt und nahmen auf. Aus diesen Sessions entstand das Rohmaterial für unsere Kompositionen."

Songs wie "Radioaktivität", "Wir sind die Roboter", "Mensch-Maschine" und schließlich "Computerwelt" lassen keine Fragen offen: Hier geht es um Technik, deren Fortschritt und Wirkung auf die Menschheit. Fun fact am Rande: Der größte Hit vom Kraftwerk ist "Das Model". Hier geht es tatsächlich um eine unerfüllte Liebe zu einem Model und nicht um Maschinen und Computer. Der Song wurde unter anderem von Rammstein gecovert.

Das Multimedia-Erlebnis "Kraftwerk" auch live auf die Bühne zu bringen, und das möglichst minimalistisch - das erfordert viel Tüftelei. Die Entwicklung von Sequencern,  Computerisierung und schließlich die Digitalisierung machen es möglich, dass Kraftwerk als audiovisuelles Gesamtkunstwerk auf der Bühne erscheint, eine Verschmelzung aus Mensch und Maschine - die Vision von Gründungsmitglied Ralf Hütter ist spätestens Anfang der 1990er-Jahre Realität geworden.

Ralf Hütter am SynthesizerBild: Herbert P. Oczeret/dpa/picture alliance

Ein guter Jahrgang

Am 20. August feiert Hütter seinen 75. Geburtstag. Und gehört damit zu einem illustren Club - der Jahrgang 1946 hat viele große Musiker hervorgebracht: Dolly Parton, Cher, Freddie Mercury, Billy Preston, Marianne Faithful, Udo Lindenberg, Keith Moon, Jan Akkerman - sie alle haben in der Popgeschichte ihre Marker gesetzt.

Bereits 1997 hat die "New York Times" den Elektronikern aus Düsseldorf ein Prädikat verpasst: die "Beatles der elektronischen Tanzmusik". Techno-DJs, HipHop-Künstler und Produzenten zählen Kraftwerk zu ihren wichtigsten Inspirationen, in der gesamten Popmusik werden sie zitiert. 2014 gibt es den Grammy für das Lebenswerk - und schließlich werden Kraftwerk im Oktober 2021 in die Rock'n'Roll Hall of Fame aufgenommen - für ihren Einfluss auch auf die Rockmusik. So kann Hütter stolz auf seine Karriere und auf das, was er gemeinsam mit dem im April 2020 verstorbenen Florian Schneider erschaffen hat, zurückschauen. In einem Interview mit dem Musikexpress sagte er 2017: "Kraftwerk ist mein künstlerisches Leben."

Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online
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