Krawalle empören deutsche Muslime
14. September 2012 Aufgebrachte Demonstranten, handgreifliche Proteste, brennende Botschaften: Die ganze Welt blickt auf die jüngsten Ausschreitungen in mehreren muslimisch geprägten Ländern. Demonstranten griffen die deutsche Botschaft im Sudan an. Auslöser vieler Proteste war ein in den USA produzierter Amateurfilm, der den Propheten Mohammed verunglimpft.
"Feige Mordtaten"
"Wir als Muslime sind sehr entsetzt, wenn wir uns diesen Film anschauen - das ist eine reine Provokation! Das ist der Versuch, zwischen Muslimen und der Mehrheitsgesellschaft Hass zu schüren", erklärt Benjamin Idriz im Gespräch mit der DW. Er ist Imam und Direktor der islamischen Gemeinde Penzberg im Bundesland Bayern. Über den Film hat er in seiner Freitagspredigt gesprochen - denn die Muslime, sagt er, erwarten von ihrem Imam eine Stellungnahme zu wichtigen Ereignissen. "Obwohl die Welt eigentlich Frieden und Sicherheit braucht, versuchen immer wieder Extremisten, gegen die jeweils anderen Religionsgemeinschaften zu hetzen", kritisiert Idriz. Politiker, Intellektuelle und religiöse Würdenträger müssten die Menschen dazu aufrufen, geduldig und weise auf derartige Provokationen zu reagieren. Die Angriffe auf die westlichen Vertretungen verurteilt der Imam scharf: "Der arabische Frühling - sei es in Libyen oder in anderen Ländern - und das Abschaffen der Diktaturen wurden auch durch den amerikanischen Einsatz erreicht. Die Araber müssten eigentlich dankbar sein, dass die US-Regierung an ihrer Seite geblieben ist."
Auch andere islamische Organisationen in Deutschland missbilligen die gewalttätigen Übergriffe aufs Schärfste. "Hier versuchen Extremisten, die Situation zu instrumentalisieren", sagte Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, im Bayerischen Rundfunk. Er könne die Aufregung um den Film nicht nachvollziehen. Es handele sich um einen schlecht gemachten "Schmuddelfilm". Der türkisch-muslimische Verband DITIB rügt die "feigen Mordtaten und Übergriffe" als islamfeindlich. In einer veröffentlichten Freitagspredigt betont der Verband: "Aufruhr, Spannungen, Streitigkeiten, Verleumdung und Vorurteile in der Gesellschaft sind für den Koran in diesem Rahmen schlimmer und schädlicher noch als ein Krieg."
Die Gewalttäter sind eine Minderheit
Dass Muslime in Deutschland gewalttätige Krawalle anzetteln glaubt aber niemand: Die islamischen Gemeinden und Verbände nicht und die Sicherheitsbehörden auch nicht. Sie verfolgen die Entwicklung zwar, haben aber bislang keine konkreten Anhaltspunkte für geplante Demonstrationen. Eine Sprecherin des niedersächsischen Verfassungsschutzes sagt, die Lage in ihrem Bundesland sei ruhig. Auch aus Sicherheitskreisen des Landes Nordrhein-Westfalen heißt es, dass eine Gefahr nicht erkennbar sei. Herbert Landolin Müller vom Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg bestätigt die Einschätzungen seiner Kollegen. "Es gibt keinerlei konkrete Hinweise auf eine Bedrohung", so der Leiter der Abteilung Internationaler Extremismus und Terrorismus im Gespräch mit der DW. Es sei aber abzuwarten, ob und wie "interessierte Kreise" die Situation für sich nutzen wollten. Das gelte gleichermaßen für Islamisten wie für extremistische Islamhasser. Der Verfassungsschützer warnte in dem Zusammenhang vor einseitigen Erklärungen. Wenn die Medien verbohrte Christen als Urheber des Schmähvideos ausmachten, dann heizten sie damit möglicherweise neue Konflikte an. "Solche Behauptungen müssen im Vorfeld sorgfältig recherchiert werden", betont der Experte.
Imam Benjamin Idriz sieht zwar die Gefahr, dass Ultrakonservative versuchen könnten, Muslime in Deutschland und Europa zu Gewaltaktionen anzustacheln. Aber er glaubt nicht, dass seine Glaubensbrüder so leicht zu verführen sind: "Ich denke, dass die Muslime in Europa rationaler und in religiöser Hinsicht gemäßigter sind als viele Menschen in der islamischen Welt - auch die religiösen Würdenträger." Denn die Mentalität sei doch sehr unterschiedlich und das Bildungsniveau vieler Muslime in Deutschland und Europa vergleichsweise hoch. Außerdem gebe es hier kein Machtvakuum wie in einigen Ländern des islamischen Raums, wo gewaltbereite Gruppen diese Lücke gezielt nutzten. Vor allem aber möchte er jeder Hysterie vorbeugen: "Auch in islamischen Ländern reagiert nur eine Minderheit der Menschen mit Gewalt - auch wenn es in den Medien manchmal so rüberkommt, als wenn die meisten Muslime so denken."