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Politik

Kreislauf der Kinderarmut durchbrechen

2. Februar 2018

Armut unter Kindern ist in Deutschland und Europa erschreckend hoch. Und sie vererbt sich. Eine Umfrage unter Erwachsenen und Kindern zeigt nun: Betroffene fühlen sich vom Staat im Stich gelassen.

Deutschland Kinderarmut Symbolbild
Bild: picture alliance/dpa/C. Hager

Armut ist relativ, je nachdem, wo man lebt. Armut in Zürich ist anders als Armut in Bukarest oder in Sao Paolo. Trotzdem haben internationale Organisationen wie die OECD oder die EU einen einheitlichen Maßstab für Armut entwickelt. Als arm gilt demnach, wer weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung hat. Dazu gehören auch Transferleistungen wie Kinder- oder Wohngeld.

In Deutschland bedeutet das, in absoluten Zahlen ausgedrückt: Eine vierköpfige Familie gilt dann als arm, wenn sie - je nach Alter der Kinder - zwischen 1.978 und 2.355 Euro netto zur Verfügung hat - ein Vermögen für sehr viele Menschen auf der Welt.

Besonders häufig armutsgefährdet sind Ein-Eltern-FamilienBild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Die meisten Armutsforscher benutzen statt eines rein materiellen einen breiteren Armutsbegriff, besonders wenn es um Kinder geht. Zumindest in den Industrieländern leiden die wenigsten Kinder existenzbedrohende materielle Not. Sie müssen meist weder hungern noch frieren. Die Folgen von Armut sind oft nicht auf den ersten Blick sichtbar.

Armut kann zum Beispiel fehlende gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe bedeuten. Kinder, die in armen Familien aufwachsen, können sich vielleicht keinen Kinobesuch leisten, kein Instrument spielen lernen, keinen Nachhilfeunterricht bekommen oder Freunde zu einem Kindergeburtstag einladen, weil das zu teuer wäre. In vielen Fällen werden solche Kinder weniger selbstbewusst, sie finden nicht so leicht Freunde, sie schöpfen später auch im Beruf ihr Potential nicht aus. Deswegen verdienen sie dann auch relativ wenig und 'vererben' damit Armut an ihre eigenen Kinder.

Bertelsmann-Langzeitstudie: Viele Familien, die zeitweilig arm sind, bleiben es dauerhaft

Das ist auch das Ergebnis der jüngsten Bertelsmann-Studie zur Kinderarmut in Deutschland vom Oktober 2017. Danach lebt im wohlhabenden Deutschland etwa jedes fünfte Kind längere Zeit in Armut - und bleibt oft dort gefangen, warnt die Studie. Bertelsmann-Stiftungsvorstand Jörg Dräger erläutert: "Wer einmal arm ist, bleibt lange arm. Zu wenige Familien können sich aus Armut befreien."

Europäischer Vergleich: Spitzenreiter Dänemark, Schlusslicht Rumänien

Dabei ist die Situation für Kinder in Deutschland im europäischen Vergleich noch gut, von Entwicklungs- und Schwellenländern ganz zu schweigen. 2016 waren nach der EU-Statistikbehörde Eurostat mehr als ein Viertel aller Kinder in der EU "durch Armut oder soziale Ausgrenzung gefährdet". Schlusslicht ist Rumänien, wo beinahe jedes zweite Kind betroffen ist, gefolgt von Bulgarien.

Selbst in den Ländern mit der geringsten Armutsgefährung sind noch etwa 15 Prozent der Kinder betroffen

Am anderen, dem positiven Ende finden sich nicht nur die üblichen Verdächtigen Dänemark (Platz 1) oder Finnland (Platz 2). Auch einige mittelosteuropäische Länder (Slowenien an 3., Tschechien an 4. Stelle) schneiden gut ab. Deutschland kommt auf Platz sieben der Tabelle, die auch die beiden EFTA-Länder Norwegen und Schweiz und den EU-Beitrittskandidaten Serbien einschließt. Aber wenn man bedenkt, dass selbst im Spitzenreiterland Dänemark fast 14 Prozent aller Kinder armutsgefährdet sind, wird deutlich, vor welchem Problem selbst reiche Länder stehen.

Bildung ist wichtiger als Geld

Das Deutsche Kinderhilfswerk liefert mit seinem jüngsten "Kinderreport 2018" keine neuen Armutszahlen. Stattdessen hat es Kinder und Erwachsene nach ihrer Meinung über Ursachen und Lösungsansätze gefragt. Wichtigstes Ergebnis: Kinder und Erwachsene fühlen sich vom Staat im Stich gelassen. Drei Viertel meinen, Staat und Gesellschaft täten "eher wenig" oder "sehr wenig" gegen die Armut. Gegenüber dem Kinderreport 2017 hat die Zustimmung zu dieser Aussage noch einmal um neun Prozentpunkte zugenommen. Offenbar glauben viele, dass hier die Politik trotz großer Ankündigungen nicht "geliefert" hat.

Als wichtigste Gründe für Armut nennen die Befragten neben einem empfundenen Desinteresse der Politik vor allem, dass "viele Einkommen in Deutschland einfach zu gering sind" und dass "Alleinerziehende zu wenig unterstützt werden, z.B. finanziell oder durch Kinderbetreuung". So sehen es Erwachsene und Kinder gleichermaßen.

Wenn es um Maßnahmen gegen die Armut geht, wird nicht in erster Linie mehr Geld in Form einer Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze für Kinder oder mehr Kindergeld gefordert, sondern vor allem mehr und bessere Kinderbetreuung in Schulen und Kitas sowie bessere und kostenlose Bildungsangebote. Hier schließt sich der Kreis zur breiten Definition von Armut, die mehr ist als materielles Wohlergehen und die sich offenbar die Gesellschaft weitgehend zueigen gemacht hat.

Kinder gegen Steuererhöhung, Erwachsene dafür

Als Schlussfolgerung an die Politik fordert das Kinderhilfswerk ganz grundlegend, Eltern sollten "in die Lage versetzt werden, die ökonomische Existenz ihrer Familie durch Erwerbsarbeit zu bestreiten". Könnten sie dies nicht, "muss der Staat Kinder materiell absichern und ihre Teilhabe an der Gesellschaft gewährleisten". Grundsätzlich setze man sich auch für die Einführung einer Kinder-Grundsicherung ein, "die das Existenzminimum von Kindern unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten der Familie, der Familienform und dem bisherigen Unterstützungssystem gewährleistet". Das dürfte jedoch im Moment politisch schwer umzusetzen sein.

Auffällig ist bei der Studie unter anderem, dass die gut 600 befragten Kinder und Jugendlichen zwischen zehn und 17 Jahren in fast allen Punkten sehr ähnlich geantwortet haben wie die tausend repräsentativ befragten Erwachsenen - mit einer großen Ausnahme: Während 64 Prozent der Erwachsenen die Frage bejahten, ob Steuern erhöht werden sollten, um Kinderarmut zu bekämpfen, waren nur 27 Prozent der Kinder dafür, aber 73 Prozent dagegen, obwohl sie selbst noch gar keine Steuern zahlen. Die Autoren der Studie mutmaßen, die Kinder und Jugendlichen hätten die Frage wohl missverstanden und seien "möglicherweise mit dem Konzept von Steuern noch nicht hinreichend vertraut".

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