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Mit Kreislaufwirtschaft die Welt retten?

Tim Schauenberg
22. November 2021

Die Umstellung auf eine "Kreislaufwirtschaft" ist entscheidend beim Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit, sagen Experten. Aber was ist damit eigentlich gemeint und kann das im großen Stil funktionieren?

Hände zeigen geschredderte PET-Flocken
Aus alt mach neu: Geschreddertes PET kann vielfältig eingesetzt werden Bild: picture-alliance/dpa/H. Schmidt

Was bedeutet Kreislaufwirtschaft?

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Ob gigantische Müllinseln im Meer oder ein vom Weltall aus sichtbarer Friedhof für rund 40 Millionen Altreifen in der Wüste Kuwaits: Die Welt erstickt im Müll, mit verheerenden Folgen für das Klima, die Ökosysteme und die Gesundheit der Menschen.

Wir leben derzeit in einem linearen Wirtschaftssystem, "das darauf ausgelegt ist, Rohstoffe zu gewinnen, sie zu brauchbaren Gütern zu verarbeiten, und sie dann letztendlich entweder auf eine Mülldeponie oder in eine Verbrennungsanlage zu kippen, sie zu recyceln oder in der Natur zu entsorgen", sagt Leyla Acaroglu, Designerin, Sozialwissenschaftlerin und Nachhaltigkeitsexpertin.

Das Gegenkonzept dazu nennt sich Kreislaufwirtschaft. Die Idee dahinter ist, Müll, wo es geht, zu vermeiden, und Ressourcen immer wieder für neue Produkte zu nutzen – praktisch so wie in der Natur.

Produkte vom Ende her denken

Beispiel Kaffeebecher "To-go": Er ist zwar aus organischer Pappe - aber mit einer Plastikschicht überzogen. Das macht das Recyceln fast unmöglich oder zumindest unprofitabel. Produkte sollten "so konstruiert werden, dass sie zurückgewonnen, wiederverwendet und recycelt werden können", so Acaroglu. 

Dazu gehört auch, die Reparierbarkeit von Geräten und Maschinen zu verbessern. Ist der Handyakku kaputt, braucht man oft ein neues Gerät, weil die Reparatur zu kompliziert oder so teuer ist, dass es sich kaum lohnt.

Kreislaufwirtschaft bedeutet mehr als Recycling

Jährlich werden mindestens 1 Milliarde Altreifen weggeworfen. Das Gummi ist aus Rohöl hergestellt und extrem schwer wiederzuverwerten. Reifen werden deshalb in Zementwerken oder in Kraftwerken verbrannt oder zu minderwertigen Gummimatten verarbeitet. Ziel einer Kreislaufwirtschaft wäre es dagegen, den Wert des Produkts zu erhalten. Recycling zu minderwertigen Produkten, sogenanntes "Downcycling", sollte vermieden werden. 

Das Ende der linearen Wirtschaftskette: ein riesiger Autoreifenfriedhof in KuwaitBild: Faisal Alnomas/AA/picture alliance

Wie das gehen könnte, zeigt Pyrum Innovations aus dem Saarland. Das Unternehmen hat vor einigen Jahren eine Technologie entwickelt, mit der die Bestandteile von Altreifen fast komplett wiedergewonnen werden. Das Öl hat dieselbe Qualität wie Rohöl. Die Industrie von dem Produkt zu überzeugen hat lange gedauert. Das hat sich inzwischen geändert. "Mir fällt fast kein Land auf der Welt ein, von dem wir nicht schon eine Anfrage hatten", sagt Pascal Klein, Mitgründer von Pyrum. Bis 2025 will man 50 Werke in Europa bauen und 100.000 Tonnen Öl an den Chemiegiganten BASF liefern. Auch in Outdoor-Textilien der Marke Vaude wird es bereits verwendet.

Das "gläserne Produkt" wäre nachhaltiger 

92 Millionen Tonnen alter Textilien landen jährlich im Müll - nur ein Prozent davon wird recycelt. Nach dem Sammeln von Altkleidern fehlen Recyclern oft Informationen drüber, welche Stoffe sich in der Kleidung befinden. Eine hochwertige Verwertung für die Modeindustrie ist nicht möglich, wertvolle Ressourcen gehen verloren.

Enorme Mengen an Textilien werden weggeworfen, doch bisher ist das Recycling nur eingeschränkt möglich Bild: picture-alliance/dpa/Soex Group

Das Berliner Start-up circular.fashion arbeitet an einer intelligenten Sortiermaschine, die die Fasern der Textilien automatisch anhand einer Circular-ID erkennt und vorsortiert. "So können wir schnell berechnen, welche Art von Wiederverwertung oder Recycling die beste für dieses Produkt ist", sagt Mario Malzacher von circular.fashion.

Das Konzept der Circular-ID nennt sich auf europäischer Ebene "Produktpass" und ist im Circular Economy Action Plan der Europäischen Union ein wesentlicher Aspekt für eine ressourcenschonende Wirtschaft der Zukunft. Darin sollen Informationen zu Herkunft, Zusammensetzung von Produkten, ihren Reparaturmöglichkeiten sowie Informationen enthalten sein, wie man am Ende der Lebensdauer mit ihnen umgeht.

Kreislaufwirtschaft: keine magische Formel?

Eine Studie der Universität Yale könnte allerdings den Kreislauf-Enthusiasmus dämpfen. Die Wissenschaftler warnen vor der Möglichkeit eines "Rebounds". Damit ist der Effekt gemeint, wenn effizienter hergestellte und billigere Produkte zu mehr Konsum führen. Wenn beispielsweise durch den geringen Stromverbrauch einer LED-Lampe das Licht den ganzen Tag brennt. Was bei der Produktion eingespart wird, könnte durch das Wachstum des Marktes zunichte gemacht werden. Wichtig beim Recycling ist, dass es weniger Ressourcen verbraucht als die Gewinnung und Entsorgung, da es sonst den Fußabdruck noch erhöht, statt zu reduzieren, warnen einige Wissenschaftler. Damit das nicht passiert, müssten die Forschung weiter vorangetrieben und Kreislaufansätze sorgfältig umgesetzt werden. 

Unterschied zwischen herkömmlicher und der Kreislaufwirtschaft

Von einer Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft sind wir allerdings noch weit entfernt, sie hat gerade erst begonnen. Heute entsprechen 8,6 Prozent der weltweiten Wirtschaft den Kreislaufprinzipien, bei gleichzeitig steigendem Abbau von Ressourcen, steigendem Konsum und geringer Weiterverarbeitung von Produkten, die nicht mehr genutzt werden. Vor zwei Jahren waren es laut dem Circular Economy Gap Report noch 9,1 Prozent. Die Entwicklung ist damit sogar rückläufig.

Dabei könnte die Umstellung auf Kreislaufwirtschaft laut dem World Economic Forum einen wirtschaftlichen Nutzen von weltweit 4,5 Billionen Dollar haben – pro Jahr.

Die Ellen MacArthur Foundation rechnet damit, dass eine Umstellung die bis 2050 prognostizierten globalen Treibhausgasemissionen um ein Fünftel reduzieren würde. Damit sei die Kreislaufwirtschaft entscheidend für die Begrenzung der Klimakrise und dem Erreichen des Ziels weltweiter Klimaneutralität.

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