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PolitikLitauen

Kreml-Propaganda bei den Wahlen in Litauen?

12. Oktober 2024

Wie wird das kleine Land an der Grenze zu Belarus künftig regiert? Bei den Parlamentswahlen in Litauen könnte die "Morgenröte", eine neue fremdenfeindliche und russlandfreundliche Partei, zu den Gewinnern zählen.

Familiär: Ein Wahlplakat an einer Bushaltestelle in Vilnius zeigt Litauens Premierministerin Ingrida Simonyte (Mitte) mit ihrer Familie unter einem Regenschirm
Familiär: Ein Wahlplakat an einer Bushaltestelle in Vilnius zeigt Litauens Premierministerin Ingrida Simonyte (Mitte) mit ihrer Familie unter einem RegenschirmBild: Janis Laizans/REUTERS

Erst seit neun Monaten gibt es die Partei, doch bei den litauischen Parlamentswahlen dürfte sie außerordentlich erfolgreich sein: "Nemuno aušra", auf Deutsch "Morgenröte von Nemunas".

Die nach Litauens längstem Fluss benannte Partei könnte laut Umfragen mit knapp zwölf Prozent der Stimmen auf Platz zwei bei den Wahlen landen, was eine Sensation wäre.

Die Wahllokale sind bereits seit dem 9. Oktober geöffnet, am 13. Oktober endet der erste Wahlgang. Zwei Wochen später fällt das Votum über einzelne Kandidaten in den Wahlkreisen. Wahlberechtigt sind 2,4 Millionen Menschen.

Laut Verfassung hat das Parlament, der Sejm, 141 Sitze. In der ersten Runde stimmen die Bürger über Parteilisten (70 Sitze) ab. Im zweiten Wahlgang geht es um die einzelnen Kandidaten aus den Wahlkreisen (71 Sitze).

An erster Stelle stehen mit 18 Prozent die oppositionellen Sozialdemokraten unter Vilija Blinkeviciute. Auf dem dritten Platz liegt das Zugpferd der regierenden konservativ-liberalen Koalition, die Partei "Vaterlandsunion-Christdemokraten" mit Außenminister Gabrielius Landsbergis an der Spitze.

Andrang: Vor den Wahllokalen, die seit dem 9. Oktober geöffnet haben, warten Wahlberechtigte geduldig in der SchlangeBild: picture alliance/Sipa USA

Politiker mit antisemitischer Vorgeschichte

Die bisherigen Umfragen bilden eher die Ergebnisse der ersten Runde und weniger das Gesamtergebnis der Wahlen ab. Doch schon jetzt ist abzusehen, dass die "Morgenröte" viele Abgeordnete ins Parlament schicken wird.

Der Gründer und Anführer der Partei, der 42-jährige Remigijus Zemaitaitis, gehörte bereits schon einmal dem Sejm an. Zu Beginn der jetzigen Legislaturperiode war er Abgeordneter der kleinen Mitte-Rechts-Partei "Freiheit und Gerechtigkeit". Doch 2023 trat er nach einem Skandal zurück.

Zemaitaitis, bekannt für sein starkes Interesse am palästinensisch-israelischen Konflikt, hatte auf Facebook den Abriss einer palästinensischen Schule durch die israelischen Behörden verurteilt und zudem die Juden in Litauen beschuldigt, während der sowjetischen Besatzung mit den Kommunisten paktiert zu haben. 

Nach einer Klage von empörten Abgeordneten und Vertretern jüdischer Organisationen entschied ein Gericht, dass man Zemaitaitis wegen Antisemitismus und des Verstoßes gegen die parlamentarische Ethik sein Mandat entziehen könne. Dem kam er jedoch mit einem Rücktritt  zuvor.

Schon im Januar 2024 meldete Zemaitaitis seine eigene Partei "Morgenröte von Nemunas" an. Im Mai nahm er bereits an den Präsidentschaftswahlen teil, bei denen er aber chancenlos war. Doch er nutzte den Wahlkampf, um für seine neue Partei und sich selbst zu werben. In den sozialen Medien ist er damit allerdings nicht erfolgreich, bei X hat er weniger als zehn Follower. 

Favoritin: Die sozialdemokratische Kandidatin Vilija Blinkeviciute, hier auf einem Wahlplakat an einer Bushaltestelle, führt die Umfragen mit 18 Prozent anBild: Mindaugas Kulbis/AP Photo/picture alliance

Werte und Wirtschaft

Die meisten Beobachter in Litauen sind sich einig: Zemaitaitis und seine "Morgenröte" wollen vor allem die Stimmen der Litauer auf dem Land holen. Es sind die Stimmen von der Bevölkerung, die meist gegen die "reichen" und "zu liberalen" Großstädter wettert, womit insbesondere die Einwohner von Vilnius und Kaunas gemeint sind.

"Bei diesen Parlamentswahlen spielen wirtschaftliche Fragen erstmals seit langem keine große Rolle", sagt Vladas Gaidys, Leiter des soziologischen Forschungszentrums Vilmorus. Diesmal würden LGBT-Rechte, Migration und andere "Werte-Themen" im Vordergrund stehen, was Zemaitaitis geschickt ausnutze.

Der Politikwissenschaftler Vincentas Vobolevicius, Professor an der ISM-Universität in Vilnius, ist mit dieser Einschätzung nicht ganz einverstanden. "Die litauische Gesellschaft war in den letzten Jahrzehnten, was moralische Werte betraf, rechts-konservativ, in ihren wirtschaftlichen Ansichten jedoch eher Mitte-links", sagt er.

Ihm zufolge gehen die Menschen nicht nur zur Wahl, weil sie beispielsweise für oder gegen eine Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare eintreten wollen. Sie seien unzufrieden mit der Steuerlast und den Preissteigerungen, mit denen ihre Löhne nicht mithalten würden.

Ukrainekrieg reduziert Handel mit Russland 

Die litauische Wirtschaft war weitgehend vom Warentransit aus der Europäischen Union nach Russland, Belarus und in weitere Länder im postsowjetischen Raum abhängig. Die Folgen der Unterdrückung der demokratischen Protestbewegung in Belarus im Jahr 2020 und der russischen Invasion der Ukraine haben Litauen hart getroffen.

Für die Wirtschaftsprobleme des Landes ist in den Augen der Wähler die jetzige Regierungskoalition aus Christdemokraten, der "Liberalen Union" und der "Freiheitspartei" verantwortlich. Die Enttäuschung über die Regierung bei einem Teil der Wählerschaft will die Partei "Morgenröte" ausnutzen.

Ihr Programm gibt sich vielseitig. Einerseits vertritt sie linke Positionen wie Steuervorteile für kinderreiche Familien, die Schaffung einer mächtigen Staatsbank sowie Preisregulierungen bei Strom und Gas. Auf der anderen Seite wirkt sie eher rechts, so werden die "grünen" Agrarprogramme der EU abgelehnt und Vergünstigungen für kleine und mittlere Unternehmen befürwortet.

Auf der Seite der Ukraine: Litauens Präsident Gitanas Nauseda (l.) mit Selenskyj (m.), Kroatiens Premier Andrej Plenkovic (r.) und Lettlands Ministerpräsidentin Evika Silina beim Krim-Plattform-Gipfel im September in Kiew Bild: Anatolii Stepanov/AFP/Getty Images

Verpackte Kreml-Propaganda?

In der Außenpolitik sind sich die Parteien der jetzigen Koalition und die Opposition einig, was die Unterstützung der Ukraine, neue Sanktionen gegen Russland und die Solidarität mit den USA und anderen NATO-Verbündeten angeht. Doch die "Morgenröte" schert hier aus.

Sie betont in ihrem Programm, Außenpolitik müsse zuerst der Sicherheit des eigenen Landes und den Interessen seiner Bürger dienen. Hilfen für die Ukraine lehnt die Partei nicht direkt ab, wirft aber den US-Amerikanern und Westeuropäern vor, weiter mit Russland Handel zu treiben. Ihre Botschaft lautet schlicht: "Warum dürfen sie das, aber Litauen nicht?"

"Litauen will heute in der internationalen Anti-Putin- und Anti-Autoritarismus-Koalition ganz vorne stehen", sagt der Politologe Vobolevicius. Ferner unterstütze die jetzige Regierung Taiwan, was die Beziehungen zu China faktisch eingefroren habe.

Die Menschen auf dem Land würden oft glauben, es sei falsch, die Wirtschaft zugunsten politischer Ziele zu opfern. Ein kleines Land wie Litauen sollte bescheidener sein und vor allem an seine eigenen Interessen denken. Genau solche Menschen wolle die "Morgenröte" erreichen.

Der Journalist Vytautas Bruveris meint, das Gerede vom "kleinen Land", kombiniert mit Fremdenfeindlichkeit, sei typisch für die Kreml-Propaganda, die für ein bestimmtes litauisches Publikum so verpackt werde. "Das ist potenziell gefährlich", warnt er.

Dies hält der Soziologe Vladas Gaidys jedoch für übertrieben: "Unsere Umfragen zeigen seit vielen Jahren, dass die meisten Litauer unerschütterlich zu Demokratie, Marktwirtschaft sowie zur Mitgliedschaft in EU und NATO stehen. Niemand konnte dies bisher ändern und auch der 'Morgenröte' wird das nicht gelingen."

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

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