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ReiseGlobal

Kreuzfahrten nach dem Katastrophenjahr

Felix Schlagwein
8. Januar 2021

Die Kreuzfahrtbranche erlebte einen jahrelangen Boom. Dann kam die Corona-Pandemie. Kann sich die Kreuzfahrt in diesem Jahr davon erholen?

Hamburg | Mein Schiff 2: Erste Tui-Kreuzfahrt seit Corona gestartet
Bild: picture-alliance/dpa/D. Bockwoldt

2020 war eine Vollbremsung für die Kreuzfahrtindustrie. Jahrelang boomte das Geschäft: mehr Gäste, mehr Umsatz, immer neuere und größere Schiffe. Dann kam Corona. Seitdem liegen die meisten der rund 400 Kreuzfahrtschiffe weltweit an der Kette. Ältere Modelle wurden verkauft oder verschrottet, um Kosten zu sparen. Denn der Unterhalt der Schiffe ist teuer und die Einnahmen der Reedereien lagen monatelang annähernd bei Null. Die Kreuzfahrindustrie erlitt Milliardenverluste, der Reisekonzern TUI sprach von einem "Katastrophenjahr". Allein in Europa gingen laut Branchenverband CLIA seit März über 200.000 Jobs, die direkt oder indirekt an der Branche hängen, verloren. Zehntausende Mitarbeiter sind immer noch in Kurzarbeit.

Haben die Reedereien ihre Hausaufgaben gemacht? Schifffahrtsexperte Thomas P. Illes, ist optimistischBild: Udo Geisler

Doch nun stehen die Reedereien wieder mit etwas mehr Optimismus in den Startlöchern. Wie der Rest der Reisebranche, blicken sie mit großen Erwartungen vor allem auf den Impfstoff. Sollte der wie erhofft wirken, könnte man im Frühjahr bis Sommer wieder vermehrt die Leinen losmachen. "Im Hintergrund passiert da aktuell sehr viel", sagt der renommierte Branchenberater, Hochschuldozent und Kreuzfahrtanalyst Thomas P. Illes im DW-Gespräch. Etliche Schiffe könnten innerhalb weniger Wochen einsatzbereit gemacht werden, einige sogar innerhalb von ein paar Tagen.

Mit überarbeiteten Hygienkonzepten bereit für die Saison

Damit an Bord alles glatt läuft, haben die Reedereien strenge Hygienekonzepte entwickelt. Corona-Ausbrüche, wie es sie noch zu Beginn der Pandemie auf zahlreichen Kreuzfahrtschiffen gab, sollen unbedingt vermieden werden. Deshalb wird jeder, der auf ein Kreuzfahrtschiff möchte, zuvor getestet. Die Kosten dafür übernehmen mehrheitlich die Kreuzfahrtanbieter. Auch an Bord herrschen strenge Auflagen: eine Maskenpflicht gilt für Gäste und Personal gleichermaßen.

Kreuzfahrten haben zudem den Vorteil, dass sie ein geschlossenes System sind. Anders als in den Hotels an Land, können die Gäste hier nicht nach Belieben ein und aus gehen. An Bord werden sie außerdem ständig digital überwacht, was bei einem möglichen Ausbruch die Kontaktnachverfolgung erleichtern könnte. "Auf dem Schiff hat das Tracking, ohne dass die Passagiere davon viel mitbekommen, fast schon totalitäre Züge. Solche Möglichkeiten der Kontaktnachverfolgung würden sich Epidemiologen an Land gerade ebenfalls wünschen", sagt Kreuzfahrtexperte Illes.

"Kreuzfahrten ins Nirgendwo" sollen Vertrauen herstellen

Dass Kreuzfahrten auch in Zeiten der Corona-Pandemie funktionieren, sollten in den vergangenen Monaten sogenannte "Fahrten ins Nirgendwo" zeigen. Hinter dem fast romantisch anmutenden Namen verbergen sich ernüchternde Auflagen: Maximal 60 Prozent Passagierauslastung und strenge Hygieneauflagen. Bei den ersten Fahrten nach Nordeuropa, auf dem Mittelmeer oder vor Singapur durften die Gäste das Schiff zudem nicht verlassen. Mittlerweile sind Landgänge, dort wo es die lokalen Behörden zulassen, wieder möglich. Allerdings müssen die Kreuzfahrer in ihrer Gruppe zusammenbleiben. Wer sich unerlaubt entfernt, darf nicht wieder zurück aufs Schiff.

Kein Konzept für die Zukunft: Passagiere nach einer Reise ohne Landgang auf der "Mein Schiff 2" im Sommer 2020Bild: picture-alliance/dpa/D. Bockwoldt

Die Reedereien sind von dem Konzept überzeugt. "Seit Juli haben wir auf über 50 Kreuzfahrten über 50.000 Gäste an Bord und bewiesen, dass Kreuzfahrten auch in Zeiten von Corona möglich sind", erklärt TUI Cruises auf DW-Anfrage. Branchenführer AIDA wollte sich trotz mehrfacher Anfrage nicht äußern. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, war das Experiment tatsächlich erfolgreich, denn die meisten Fahrten verliefen ohne Zwischenfälle.

Langfristig wird sich das Konzept wohl jedoch nicht halten können. Für die Reedereien ist es wegen der geringen Auslastung ein Verlustgeschäft. Außerdem stehe für die überwiegende Mehrheit der Gäste das Entdecken fremder Destinationen in Kombination mit dem Reisen auf dem Meer nach wie vor im Vordergrund, sagt Branchenanalyst Illes. Auf den "Fahrten ins Nirgendwo" seien die Gäste aber so sehr in ihrer Individualität eingeschränkt, dass viele eine Reise unter diesen Umständen gar nicht erst antreten wollen würden.

Ohne Impfung kein Aufschwung

Ob die Branche 2021 wieder richtig Fuß fassen kann, wird vor allem auf die Effektivität der Impfung ankommen. Bislang sind die Geldgeber der Branche noch an Bord, denn sie wissen wie profitabel das Kreuzfahrtgeschäft unter normalen Umständen ist. Und auch die Kunden blieben treu. "Die Nachfrage nach Kreuzfahrten ist nach wie vor da", bestätigt TUI Cruises gegenüber der DW.

In Deutschland liegen die Schiffe coronabedingt in den Häfen fest, wie hier in Sassnitz auf der Insel RügenBild: Stefan Sauer/dpa/picture alliance

Doch ohne ein Entgegenkommen der Gesundheitsbehörden wird sich ein "Neustart" der Kreuzfahrt wohl weiter verschieben. Länder wie Griechenland, die USA und Spanien haben ihre Häfen bis auf weiteres für Kreuzfahrtschiffe gesperrt. Nur die Kanarischen Inseln können aktuell angefahren werden. Doch auch hier steigen die Infektionszahlen: Das Auswärtige Amt hat mittlerweile eine Reisewarnung für die spanische Inselgruppe ausgesprochen. Auch die deutschen Häfen bleiben bislang für Kreuzfahrtschiffe geschlossen. "Politisch war und ist es hierzulande nicht durchsetzbar, dass sich Tausende auf Kreuzfahrt begeben während alle anderen nicht in Hotels und Restaurants dürfen", sagt Kreuzfahrtexperte Illes.

Kein Geld mehr für Umweltschutz?

Schon vor Corona-Pandemie hatten Kreuzfahrten nicht den besten Ruf. Vor allem beim Umweltschutz stand die Branche in der Kritik - und wurde schließlich, wenn auch nur zögerlich, zur Vorreiterin in Sachen Nachhaltigkeit in der gesamten Schifffahrt. Milliarden wurden in sauberere Antriebstechnik, Schadstofffilter und effizientere Schiffe investiert. Doch lässt sich dieser Trend aufrechterhalten in Anbetracht der massiven Verluste durch die Corona-Pandemie? Wird nun als erstes beim Umweltschutz gespart? Die Reedereien verneinen das. "Wir sind davon überzeugt, dass das Thema Umwelt- und Klimaschutz weiterhin an Relevanz gewinnen wird. Entsprechend sind wir während des Stillstands nicht von unserer Strategie abgewichen und werden das auch in Zukunft nicht tun", erklärt TUI Cruises.

Auch Kreuzfahrtexperte Illes gibt vorsichtig Entwarnung: "Kreuzfahrten, die den Aspekt Nachhaltigkeit ignorieren, werden nur noch bedingt funktionieren können". Die Branche habe gar keine andere Wahl, als sich trotz der angespannten Lage der Kritik zu stellen und weiterhin in Nachhaltigkeit zu investieren. Zu viele Reedereien hätten das Thema zu lange nicht ernst genug genommen, so Illes.

Wie wird Venedig sich positionieren? Alles wie gehabt, oder werden sich neue Tourismuskonzepte durchsetzen?Bild: AFP/M. Medina

Reedereien stehen 2021 weiter unter Druck

Tatsächlich ist der öffentliche Druck enorm. Überall werden Stimmen laut, dass Milliarden-Hilfen vom Staat, von denen auch die Kreuzfahrt-Anbieter profitiert haben, nachhaltig investiert werden sollen. Dabei geht es nicht nur um Umweltschutz. Auch beim Thema Overtourism standen Kreuzfahrtschiffe jahrelang in der Kritik. Die Ozeanriesen vor Venedig, Dubrovnik und Barcelona wurden zum Symbol des Massentourismus - auch wenn sie vielerorts nur für einen Bruchteil der Besucherzahlen verantwortlich waren.

Einige Destinationen werden nun erkennen, welche Vorteile die Kreuzfahrtschiffe ihnen gebracht haben. Andere könnten die Pandemie nutzen, um eigene nachhaltigere Tourismuskonzepte zu entwickeln, auch um sich von den bei einem Teil der lokalen Bevölkerungen eher unbeliebten Kreuzfahrern unabhängig zu machen.

Das könnte Reedereien unter Druck setzen und letztendlich dazu führen, dass sie in Zukunft ihren Kritikern entgegenkommen. Zusammen mit den Städten - und deren Einwohnern - könnte nach der Pandemie ein nachhaltigerer Kreuzfahrttourismus entstehen, von dem alle Seiten gleichermaßen profitieren. Dann würden die Ozeanriesen vielleicht wieder mit offenen Armen empfangen und nicht, wie noch vor der Corona-Pandemie, aus immer mehr Städten verbannt.

Initiativen und Visionen in Berlin, Amsterdam und Venedig

26:06

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