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PolitikEuropa

Solidarität ist ein Kernwert der EU

Cristian Stefanescu
23. Juli 2020

"Wir können nur gemeinsam bestehen im Zeitalter der Globalisierung", sagt der deutsche Abgeordnete Gunther Krichbaum im DW-Gespräch. Krichbaum, CDU, ist Vorsitzender des Europa-Ausschusses im Bundestag.

Gunther Krichbaum, MdB, in Brasov/Kronstadt, Rumänien
Gunther Krichbaum, MdB, in Brasov/Kronstadt, RumänienBild: DW/C. Ștefănescu

DW: Just an dem Tag, an dem die Europäische Union auf ihrem Gipfeltreffen in Brüssel ein Zeichen der Solidarität setzte, haben Sie, Herr Krichbaum, einen Hilfstransport aus Deutschland für ein Covid-Krankenhaus in der rumänischen Stadt Brasov (Kronstadt) begleitet. Was bedeutet diese europäische medizinische Zusammenarbeit im gegenwärtigen Corona-Kontextfür?

Gunther Krichbaum: Ich glaube, dieses Projekt kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, denn es zeigt den Bürgern, dass in der Europäischen Union niemand alleine gelassen wird und niemand alleine gelassen werden darf. Es ist wahre europäische Solidarität, und die europäische Solidarität ist einer unserer Kernwerte in der EU. Gerade zu Beginn der Krise war dieser europäische Gedanke wenig spürbar. Es war vielmehr so, dass jeder Mitgliedsstaat glaubte, für sich alleine diese Krise bewältigen zu können. Das war ein großer Trugschluss. Länder wie Spanien, Italien und Frankreich wurden anfangs auch alleine gelassen. Das kann mich natürlich als Vorsitzender des Europa-Ausschusses im Bundestag nicht glücklich stimmen. Heute ist das anders. Tatsache ist allerdings, dass für die Europäische Kommission kaum eine Handlungsgrundlage besteht, weil die Gesundheitspolitik - im Unterschied beispielsweise zur Landwirtschaftspolitik - nicht vergemeinschaftet ist. Das heißt, die einzelnen nationalen Mitgliedsstaaten müssen hier der EU auch tatsächlich Kompetenzen übertragen, damit sie in Zukunft anders und kraftvoll handeln kann. Die Solidarität, die ich vorhin angesprochen habe, setzte auch in Deutschland ein, als zum Beispiel Patienten aus Frankreich, Spanien, Italien aufgenommen wurden, um sie in deutschen Kliniken zu behandeln. Eine davon ist das Krankenhaus in Pforzheim, aus dem jetzt das Team von Herrn Dr. Weerawarna hier vor Ort ist. Aus diesem Projekt soll auch eine Klinik-Partnerschaft entstehen.

Bringt diese Krise Europa näher zusammen?

Ich halte dies für unerlässlich. Wir haben ja jetzt den Brüsseler Gipfel beendet, der einer der längsten in der Geschichte der EU war. Und da ging es natürlich um die finanziellen Ausstattungen auch für die Länder, die von der Krise ganz besonders betroffen waren. Wir haben zum einen den Wiederaufbau-Fonds, den Recovery-Fund, den wir jetzt in einer Größenordnung von 750 Milliarden Euro mit Krediten und Zuschüssen ausgestattet haben. Und zweitens ist da noch der sogenannte mehrjährige Finanzrahmen mit einem Volumen von über einer Billion Euro für die nächsten sieben Jahre. Das wird sicherlich helfen, Staaten dann auch gezielt zu unterstützen, damit diese Solidarität auch greift. Wir können nur gemeinsam bestehen im Zeitalter der Globalisierung gegenüber Ländern und Regionen wie Japan, China, USA, um nur einige wenige zu nennen. Und deswegen war auch die finanzielle Ausstattung vor allem bei dem Wiederaufbau-Fonds so wichtig.

In verschiedenen EU-Hauptstädten wurde das gemeinsame finanzielle Projekt mit Widerwillen gesehen: es waren keine leichten Verhandlungen, um alle Regierungen zu einer Einigung zu bringen. Geht ein Bruch durch Europa?

Das würde ich nicht sagen. Ich glaube, der Brüsseler Gipfel hat bewiesen, dass wir uns am Ende immer zu einem Kompromiss zusammenfinden können. Das war wichtig. Ich bin sehr dankbar, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel eben diesen Kompromiss hat ermöglichen können. Ich glaube, das ist auch ein großer Erfolg für sie persönlich, aber auch für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft selbst. Wahrscheinlich war das der größte Brocken unserer Ratspräsidentschaft in diesem zweiten Halbjahr 2020. Ich bin froh, dass wir den Ländern, die jetzt von der Corona-Krise ganz besonders betroffen sind, eine echte Perspektive geben können.

Nicht nur die jüngste Präsidentschaftswahl in Polen hat gezeigt, wie Europa zwischen Populisten und Demokraten hin und her balanciert. Gibt es ein Risiko, dass sich diese Tendenz europaweit entwickelt?

Die Kräfte aus Sektierern, aus Nationalisten gibt es schon seit längerer Zeit. Schaut man nur einmal nach Frankreich, auf den dortigen Front National - der wird ja sozusagen in zweiter Generation der Familie geführt. Insoweit sind diese Tendenzen leider nicht ganz neu, waren aber in der Vergangenheit vielleicht nicht ganz so stark wie heute. In der Tat gibt es Länder, die uns schon ein Stück weit Kopfzerbrechen bereiten. Für mich persönlich besteht eine rote Linie darin, dass, wenn der EuGH ein Urteil gefällt hat, dieses Urteil auch befolgt wird. Das ist, glaube ich, das Wichtige. Wenn wir das infrage stellen, dann würden wir in der Tat Europa selbst infrage stellen und auch den Zusammenhalt in der Europäischen Union.

Wie wichtig ist der Rechtsstaats-Mechanismus, der jetzt vom Brüsseler Gipfel etabliert wurde?

Das wird sicherlich noch für Diskussionen sorgen. Das sieht so aus, dass innerhalb des Europäischen Rates im Ernstfall eine Mittelkürzung mit einer qualifizierten Mehrheit beschlossen werden müsste. Qualifizierte Mehrheit im europäischen Kontext heißt, dass eine Mehrheit von 55 Prozent der Mitgliedsstaaten, die über 65 Prozent der Bevölkerung in Europa verfügen, dann auch für eine solche Maßnahme stimmen müssten. Da kann ich mir noch nicht vorstellen, dass das Europäische Parlament hier ohne weiteres mitmacht. Die Dinge sind jetzt natürlich noch sehr frisch und noch nicht ganz in trockenen Tüchern. Wichtig aber ist in jedem Fall, dass die Entscheidung im Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit ein klares Bekenntnis ist und ein klarer Mechanismus schon jetzt vereinbart wurde.

Kommen wir zurück zur Corona-Krise und die abstrusen Verschwörungstheorien, durch die versucht wird, die EU zu schwächen. Glauben Sie, dass es sich um dieselben Quellen handelt wie bei der Migrationskrise? Dieselben Stimmen, die auch jetzt die Europäische Union immer wieder in Frage stellen?

Das kommt natürlich aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Verschwörungstheorien finden einen fruchtbaren Boden bei jenen Menschen in der Bevölkerung, die durch viele politische Prozesse verunsichert sind und die hinter vielen Dingen irgendwelche bösen Geister vermuten. Das ist in der Tat in der letzten Zeit sehr gestiegen. Es wird aber dann zu einer ganz anderen Dimension, wenn solche Dinge per Fake News aus anderen Staaten befeuert werden. Und hier wissen wir, dass gerade auch in den sozialen Netzwerken sogenannte Trolle unterwegs sind, die dann oft aus Russland und aus anderen Ländern organisiert werden. Denn die haben mit Sicherheit kein Interesse an einer funktionierenden Europäischen Union. Man muss immer wissen, welches unsere Grundwerte sind, wie Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie. Herrschaft des Volkes ist aus Sicht von Herrn Putin eine Bedrohung. Denn die Demokratie möchte er im eigenen Land verhindern, und das hat er bis zum heutigen Tag auch kraftvoll unter Beweis gestellt. Ich erinnere nur an das nach wie vor bestehende Problem der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim. Wir sind eine Friedensgemeinschaft. All das passt natürlich nicht jedem auf dieser Welt. Aber umso wichtiger ist es zu zeigen, dass wir zusammenstehen als Europäer.