Hotspots der Welthungerhilfe: Gaza, Sudan, Syrien
24. Juli 2025
Aus dem Jahresbericht 2024 der Deutschen Welthungerhilfe, der am Donnerstag (24.07.) in Berlin vorgestellt wurde: "Jeder elfte Mensch weltweit hungert. Klimakrise, Kriege, Ungleichheit und gekürzte Mittel gefährden zudem bisherige Erfolge." Klingt pessimistisch, fast schon verzweifelt.
Trotz aller Widrigkeiten versucht die auf staatliche Unterstützung und Spenden angewiesene private Hilfsorganisation, Zuversicht zu verbreiten: "Unser Ziel einer Welt ohne Hunger bleibt erreichbar - wenn es priorisiert, politisch gewollt und ausreichend finanziert wird."
733 Millionen Menschen sind chronisch unterernährt
Ein Blick auf die Realität zeigt allerdings, dass der Trend schon seit Jahren dramatisch in die andere Richtung geht: Weltweit leiden aktuell 733 Millionen Menschen an chronischer Unterernährung. Seit 2019 ist die Zahl um 152 Millionen gestiegen. Und die Lage wird sich wohl weiter zuspitzen, weil mit den USA und Deutschland die wichtigsten Geberländer ihre Budgets für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe massiv reduzieren.
Bedeutet weniger Geld mehr Tote?
"Kürzungen kosten Menschenleben. Was auf dem Papier wie ein Sparkurs aussieht, bedeutet für Millionen Menschen Hunger, Flucht oder sogar den Tod", befürchtet Welthungerhilfe-Präsidentin Marlehn Thieme. Die Beseitigung des Hungers müsse politische Priorität bleiben, fordert sie mit Blick auf die Folgen von immer mehr Kriegen und Krisen.
Besonders stark betroffen sind die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen und die Menschen im Sudan. Dort, aber auch in anderen Regionen werde Hilfsorganisationen der Zugang immer stärker eingeschränkt, kritisiert Welthungerhilfe-Generalsekretär Mathias Mogge. Die humanitäre Lage in Gaza gehöre zum Schlimmsten, was er in über 30 Jahren gesehen habe.
25 Kilo Weizen für 520 Dollar
Über 90 Prozent der Menschen wurden laut Bericht seit Beginn des Kriegs zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel vertrieben. Fast zwei Millionen waren Ende 2024 auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, 345.000 standen unmittelbar am Rand des Hungertods. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Welthungerhilfe hätten kaum mehr etwas zum Essen, sagt Mogge. Ein Sack mit 25 Kilo Weizen koste 520 Dollar. "Das ist ein Zeichen dafür, dass es einfach nichts mehr gibt."
Anders als in Gaza sind vom Leid der Menschen im Sudan nur wenige Bilder zu sehen. "Da kommt keiner hin, deswegen hört man auch relativ wenig", beschreibt Mogge den Unterschied in der medialen Berichterstattung. Die wiederum ist oft der Auslöser dafür, dass Organisationen wie die Welthungerhilfe aktiv werden.
Sudan: Hälfte der Bevölkerung benötigt humanitäre Hilfe
Seit April 2023 liefert sich die sudanesische Armee verheerende Kämpfe mit der paramilitärischen Gruppe "Rapid Support Forces". Über elf Millionen Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht. Rund 25 Millionen benötigen nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) humanitäre Hilfe - das ist etwa die Hälfte der Bevölkerung.
Im Sudan ist die Arbeit Mogges Schilderungen zufolge so gefährlich wie an kaum einem anderen Ort: "Wir haben nach wie vor Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort, die sich teilweise in Dörfern und der Umgebung verstecken müssen. Und immer, wenn wir an Nahrungsmittel herankommen, die wir verteilen können, dann sammeln sich die Mitarbeiter und versuchen, eine Verteilung zu organisieren."
Katastrophen früher erkennen, schneller helfen
Aber nicht nur im Sudan sei man bei sich abzeichnenden Katastrophen oft zu spät gekommen, blickt der Generalsekretär selbstkritisch zurück. Deshalb habe man eine vorausschauende humanitäre Hilfe etabliert, um schneller auf Krisen und Kriege, aber auch die Folgen des Klimawandels reagieren zu können.
Dann zahle man vorab Hilfsgelder aus, erläutert Mogge: "Damit die Menschen nicht alles, was sie besitzen an Vieh und Geld und landwirtschaftlichen Geräten verlieren. Sondern dass sie das möglichst behalten können und wenn die Katastrophe vorüber ist, nicht bei null wieder anfangen müssen."
Syrien: Fast 15 Millionen Menschen sind in Not
Ein weiterer Hotspot der Welthungerhilfe ist Syrien, wo die humanitäre Lage auch nach dem Machtwechsel im Dezember 2024 katastrophal ist. Annähernd 15 Millionen Menschen könnten sich ohne Hilfe nicht ausreichend ernähren. Die Wirtschaft liegt nach 14 Jahren Bürgerkrieg am Boden. Es fehlt an allem: Wasser, Nahrungsmittel, Strom, Gesundheitsdienste, Schulen.
Ende des Jahres sei der Brotpreis in Aleppo innerhalb eines Monats um bis zu 900 Prozent gestiegen, wie man im Jahresbericht der Welthungerhilfe nachlesen kann. Um die Versorgung sicherzustellen, werden Bäckereien unterstützt. Davon profitieren rund 40.000 Bedürftige.
Welthungerhilfe erhielt fast 87 Millionen Euro Spenden
Syrien gehört zu den 37 Ländern und Regionen, in denen die Welthungerhilfe aktuell aktiv ist. Vor Ort kooperiert sie mit über 300 Partnern. Für ihre Arbeit standen der 1962 gegründeten Organisation im Jahr 2024 rund 384 Millionen Euro zur Verfügung. Davon wurden knapp 87 Millionen gespendet.
Der größte Zuschuss stammte mit 147 Millionen Euro aus dem deutschen Entwicklungsministerium. Den Rest steuerten internationale Institutionen bei, darunter das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen und die Europäische Kommission.
"Investitionen in Waffen allein schaffen keine Sicherheit"
Ein zentraler Satz im Jahresbericht lautet: "Hunger und gewaltsame Konflikte sind eng verknüpft: Ohne gesicherte Nahrungsversorgung bleibt Frieden schwer erreichbar, und ohne Frieden lässt sich Hunger kaum überwinden." Vor diesem Hintergrund appelliert Welthungerhilfe-Präsidentin Marlehn Thieme an die internationale Gemeinschaft und die Bundesregierung, Konflikte mit politischen Initiativen und diplomatischen Lösungen zu beenden.
"Investitionen in Waffen allein schaffen keine Sicherheit", betont sie unter Anspielung auf die weltweit massiv steigenden Militär-Ausgaben. Auch Deutschland plant, seinen Wehrhaushalt von zwei auf fünf Prozent, gemessen an der nationalen Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt), zu erhöhen. Während dieser Etatposten mittelfristig deutlich mehr als verdoppelt wird, soll die vom Auswärtigen Amt finanzierte humanitäre Nothilfe für das Jahr 2025 auf eine Milliarde Euro halbiert werden.
"Politische Abkehr von internationalen Verpflichtungen"
Gleichzeitig sinken die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit unter das als Selbstverpflichtung gesteckte Niveau von 0,7 Prozent. "Damit kündigt die Bundesregierung nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine politische Abkehr von internationalen Verpflichtungen an", kritisierte die Welthungerhilfe gemeinsam mit dem Kinderhilfswerk Terre des Hommes bereits im Juni. Anzeichen für eine Umkehr sind bislang nicht zu erkennen.