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Krieg in der Ukraine: Mit "Counter-Strike" gegen Fake News

15. Mai 2023

Eine finnische Zeitung geht gegen Desinformation vor. Sie hat im PC-Spiel "Counter-Strike" Nachrichten platziert, die in Russland üblicherweise zensiert werden.

Screenshot der "Counter-Strike"-Map "de_voyna" zeigt Bildschirme in einem Kellerraum, die Bilder der Massengräber von Butscha und Irpin zeigen
Die "Counter-Strike"-Map "de_voyna" umgeht die russische Zensur und kämpft gegen Fake News anBild: Helsingin Sanomat/Reuters

Seit Kriegsbeginn hat die russische Regierung fast 500 Webseiten blockiert, um die freie Berichterstattung zu unterdrücken. Darunter viele Nachrichtenportale, zum Beispiel die Deutsche Welle oder die BBC, Websites von Menschenrechtsorganisationen sowie soziale Netzwerke wie Instagram oder Soundcloud. Daher sind kreative Lösungen gefragt, um der russischen Bevölkerung Informationen über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zugänglich zu machen. Genutzt wurden in den ersten Kriegswochen zum Beispiel Google-Bewertungen oder Bewertungsportale wie Tripadvisor. Doch statt Tipps für den besten Friseur im Viertel oder den nächsten Restaurantbesuch fanden sich dort Informationen über die russische Invasion - bis die US-Unternehmen dies stoppten.

Die finnische Zeitung "Helsingin Sanomat" hat nun eine Map für das weltweit beliebte Computerspiel "Counter-Strike: Global Offensive" programmiert, das in Russland rund vier Millionen Anhänger hat. Als Map (dt. Karte) wird in Multiplayerspielen ein Level bezeichnet, also der Ort, an dem das Spielgeschehen stattfindet. In dem taktischen Online-Shooter treten Spielerinnen und Spieler als Terroristen oder Antiterroreinheit gegeneinander an. Die finnische Zeitung baute für das Spiel eine slawische Stadt nach und nannte die Map "de_voyna". "Voyna" ist russisch und heißt übersetzt Krieg. Ein Wort, das russische Medien nicht verwenden dürfen. Wer es dennoch benutzt, kann ins Gefängnis kommen.

Online-Games werden in Russland bislang nicht blockiert

Dass die Map so heißt, ist kein Zufall, sagt Antero Mukka, Chefredakteur von "Helsingin Sanomat". Die Zeitung habe seit Beginn des Krieges über die Entwicklungen berichtet und Nachrichten in russischer Sprache auf der eigenen Website veröffentlicht. Auch "Helsingin Sanomat" ist in Russland längt verboten, die Website blockiert.

"Ende letzten Jahres haben wir angefangen zu diskutieren, was unser nächster Schritt sein wird. Dann kam uns plötzlich die Idee, dass Online-Spiele in Russland noch nicht verboten sind. Und 'Counter-Strike' ist in Russland enorm populär." Also haben die Zeitungsmacher professionelle Designer engagiert, die die Map in sechs Monaten entwickelt haben, zu ihrem eigenen Schutz aber anonym bleiben wollen.

Antero Mukka, Chefredakteur der finnischen Zeitung "Helsingin Sanomat", kämpft für die PressefreiheitBild: Anne Kauranen/Reuters

Veröffentlicht wurde die Map dann am 3. Mai, dem internationalen Tag der Pressefreiheit. Die Spielerinnen und Spieler kämpfen sich durch Straßenzüge, die von grauen Plattenbauten gesäumt sind; dazwischen ein paar Bäume und abgestellte Autos. Auffällig ist das Denkmal der ewigen Flamme, das es in ähnlicher Ausprägung in vielen Städten Russlands gibt. In einem virtuellen Keller, auf den eben jenes Denkmal und ein brennendes Auto hinweisen, befindet sich ein versteckter Raum. Darin finden Spielerinnen und Spieler Nachrichten in russischer Sprache über den Krieg gegen die Ukraine, die von finnischen Kriegsreportern zusammengetragen wurden. Die im virtuellen Keller hinterlegten Nachrichten berichten in Texten und Bildern von dem Massaker in Butscha, von einem Vater dessen Baby, Frau und Schwiegermutter in Odessa von einem russischen Marschflugkörper getötet wurde, während er einkaufen war - und von 70.000 gefallenen russischen Soldaten.

Die Map "de_voyna" in der Vogelperspektive: Das brennende Auto neben dem Denkmal der ewigen Flamme weist auf einen geheimen Ort hinBild: Helsingin Sanomat

Mit Augenzeugenberichten Fake News über den Krieg aufdecken

Den Machern war es wichtig, mit dieser Auswahl verschiedene Blickwinkel auf den Krieg zu ermöglichen. "Außerdem wollten wir etwas zeigen, das unsere Reporter und Fotografen in der Ukraine mit eigenen Augen gesehen und dokumentiert haben." Die Brutalität des Krieges sollte deutlich werden und die Wahrheit ans Licht kommen. "Offiziell behauptet Russland, dass die Massaker in Butscha und Irpin frei erfunden und Fake News seien. Wir wollen den Russen auf jeden Fall sagen, dass sie leider wahr sind, dass sie alle wahr sind."

Die Map sei ein Beweis dafür, dass es in einer modernen Gesellschaft und einer digitalisierten Welt schwer ist, eine Gesellschaft abzuschotten, sagt Antero Mukka. "Natürlich ist es nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Trotzdem wollen wir unseren Beitrag leisten." Der finnischen Zeitungsredaktion ist es sehr wichtig, die unabhängigen russischen Medienmacher zu unterstützen. "Wir glauben auch, dass es in Russland Menschen gibt, die bereit sind, eine andere Position einzunehmen, um die Bemühungen der freien Welt zu unterstützen, die Ukraine als unabhängiges Land zu erhalten."

An der Wand des virtuellen Kellerraums hängt eine Karte der Ukraine, auf der russische Angriffe auf Zivilisten markiert sindBild: Helsingin Sanomat/Reuters

Selbstverständlich stehe nicht die gesamte russische Bevölkerung hinter dem Krieg, sagt Antero Mukka. "Um der staatlichen Medienpropaganda etwas entgegenzusetzen, denken wir, dass es sehr wichtig ist, die Russen mit verlässlichen Informationen über die Geschehnisse in der Ukraine zu versorgen. Sie haben auch das Recht, es zu wissen, um ihre eigene Entscheidung zu treffen, in was für einem Land sie leben wollen." Unter den vier Millionen "Counter-Strike"-Spielenden hätten viele junge Männer zudem eine unmittelbare Verbindung zum Krieg. Denn viele seien in einem Alter, in dem sie von der russischen Armee eingezogen werden und selbst ihr Leben im Krieg verlieren könnten.

Videospiele erreichen breite Zielgruppen

Dass Spiele die staatliche Zensur umgehen, kommt selten vor, ist aber nicht neu. 2020 errichtete die Nichtregierungsorganisation "Reporter ohne Grenzen", die sich weltweit für die Pressefreiheit einsetzt, in dem Computerspiel "Minecraft" die "Uncensored Library" (dt. unzensierte Bibliothek). Die verschiedenen Räume widmen sich jeweils einem Land, darunter Russland, Vietnam und Saudi-Arabien, und enthalten journalistische Texte in Englisch und der Landessprache, die von Zensur und autoritärer Politik handeln. Die russische Journalistin Yulia Berezovskaia sagte damals zu dem Projekt: "Der einzige Weg, Zensur zu bekämpfen, ist, was zensiert wurde, wieder zu teilen und zu verbreiten." Ein Satz, der bis heute gültig ist.

Die "Uncensored Library" im Spiel "Minecraft" ermöglicht Spielenden, zensierte Texte zu lesenBild: ROG

Wie oft die Map mit den in Russland zensierten Nachrichten und Informationen bislang heruntergeladen und gespielt wurde, verrät Antero Mukka nicht. Aber sie habe wohl auch in Russland ziemlich viel Aufmerksamkeit erregt und sei in Telegram-Kanälen geteilt worden. 

Zensur kann auf vielen digitalen Kanälen durchbrochen werden

Womöglich werden wir in Zukunft häufiger erleben, dass Spiele dazu genutzt werden, die staatliche Zensur zu umgehen. Doch Antero Mukka betont, dass Spiele nur ein Kanal sind, um Informationen zu verbreiten. In der digitalen Welt gebe es viele Möglichkeiten, die Zensur zu durchbrechen und wichtige Informationen zu vermitteln.

Hier wird die Geschichte eines Mannes illustriert, dessen Familie im Krieg getötet wurdeBild: Helsingin Sanomat/Reuters

Um Blockierungen von Websites zu umgehen, können sich Menschen zum Beispiel via VPN ("Virtual Private Network") ins Internet einwählen. Ein VPN-Zugang verbirgt den Standort der Internetnutzer, so dass sie in Russland gesperrte Seiten trotzdem aufrufen können. 

Manche Spieler kritisieren daher in dem unter Gamern beliebten Online-Forum Reddit die Überheblichkeit westlicher Staaten. Alle könnten sich frei informieren und benötigten dafür keine Hilfe aus dem Westen. Antero Mukka sieht das anders. "Jeder neue undichte Stelle in der geschlossenen Welt der Zensur ist wichtig", sagt er. "Es gibt viele intelligente Menschen in Russland, die genau verstehen, was vor sich geht. Wir wollen nicht arrogant sein oder ihnen etwas beibringen. Wir wollen ihnen nur die Möglichkeit geben, Informationen zu erhalten und die Kanäle offen zu halten."

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