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Politik

"Rücksichtnahme auf Moskau fehl am Platz"

Daniel Heinrich
10. April 2018

Konten schließen und keine Geschäfte mehr mit dem russischen Waffengigant Rosoboronexport: Angesichts des mutmaßlichen Chemieangriffs in der syrischen Stadt Duma fordert Human Rights Watch von Berlin Taten statt Worte.

Syrien Ost-Ghoua Duma Artilleriebeschuss
Bild: picture-alliance/Xinhua/A. Safarjalani

Deutsche Welle: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat kaum noch Zweifel daran, dass es sich bei dem Angriff am Wochenende auf die syrische Stadt Duma um einen Chemiewaffeneinsatz gehandelt hat. Sie fordert eine "sehr, sehr deutliche Sprache". Welche Schritte erwarten Sie von der deutschen Regierung?

Wenzel Michalski: Wir erwarten, dass sich die Bundesregierung entschlossen für die Aufklärung dieser Angriffe einsetzt und zwar ohne falsche Rücksichtnahme auf den Iran oder Russland. Weder das Atomabkommen mit dem Iran noch die potentielle politische Annäherung an Russland darf dabei eine Rolle spielen. Falsche Rücksichtnahme ist völlig fehl am Platz. Das laute Schweigen, das Kopfschütteln, das bisherige Achselzucken der Bundesregierung im Syrienkonflikt hat gar nichts bewirkt. In Syrien geht es immer so weiter wie bisher, ein Ende ist nicht in Sicht. Selbst wenn der Konflikt in irgendeiner Form befriedet werden sollte, weil man alle Oppositionellen niedergemacht hat und dann dort wieder einen Polizeistaat aufbauen kann, bedeutet das noch lange nicht, dass dort auch innerer Frieden einkehrt.

Regierungssprecher Steffen Seibert hat erklärt, Russland dürfe eine Untersuchung von Chemiewaffeneinsätzen in Syrien nicht länger blockieren. Reicht Ihnen das?

Nein. Man muss Russland in dieser Hinsicht unter Druck setzen, und zwar viel stärker, als das bisher der Fall gewesen ist. Die einzigen Mittel, die wir bisher gegen Moskau ergriffen haben, sind die Sanktionen wegen der Krimbesetzung und des Ukrainekonflikts. In Sachen Syrien haben wir in dieser Hinsicht noch gar nichts erlebt. Alle Sanktionen, die wir bisher gesehen haben, sind geopolitisch begründet, nicht aufgrund von Menschenrechtsverletzungen. Der russische Waffengigant Rosoboronexport beispielsweise kann auch weiterhin auf westlichen Waffenmessen seine Produkte ausstellen und weltweit verkaufen. Dem muss ein Ende gesetzt werden. Das kann nur gelingen, indem man auf einzelne Personen Druck ausübt, die an der Macht sind und ständig verhindern, dass Menschenrechtsverletzungen wie die in Syrien nicht nur an den Pranger gestellt werden, sondern auch geahndet werden.

Im UN-Sicherheitsrat haben sich die Vertreter der USA und Russland einen Schlagabtausch geliefert. Können Sie nach acht Jahren Bürgerkrieg in Syrien solche Debatten noch ernst nehmen?

Sich diese Debatten ansehen zu müssen, ist unglaublich frustrierend. Es ist bestürzend, wie wenig die Internationale Gemeinschaft in der Lage ist, solche Attacken zu verurteilen und die Täter zu benennen. Eigentlich dürfte es nicht erlaubt sein, dass man bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit im UN-Sicherheitsrat ein Veto einlegt, um diese aufzuklären. An diesem Beispiel zeigt sich die ganze Dysfunktionalität der Vereinten Nationen und des UN-Sicherheitsrates.

Der syrische Präsident Baschar al-Assad hat inzwischen die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) in das Land eingeladen um den Angriff zu untersuchen. Sehen Sie die Schuld für den mutmaßlichen Chemieangriff beim Assad-Regime?

Wenzel Michalski: Keine falsche RücksichtnahmeBild: DW

Wir haben bei den Giftgasangriffen, die wir bisher untersucht haben, immer nachweisen können, dass es sich um Angriffe durch das Assad Regime gehandelt hat. Wir haben das anhand von Videoforensik nachweisen können. Wir hatten Bildmaterial, mit dem wir nachweisen konnten, aus welcher Richtung die Raketen, mit denen das Giftgas abgefeuert wurde, abgeschossen wurden. Unsere Waffenexperten sind bisher immer zu dem Schluss gekommen, dass diese Attacken von einer gut ausgerüsteten Armee durchgeführt worden sind. Guerilla-Einheiten verfügen weder über Kenntnisse noch über entsprechende Technologie, um solche Chemiewaffenangriffe durchzuführen.

US-Präsident Donald Trump und der französische Präsident Emanuel Macron haben eine geschlossene Reaktion der internationalen Gemeinschaft gefordert. Die syrische Armee und ihre Verbündeten sind schon in "höchste Alarmbereitschaft" versetzt worden. Der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura warnt vor einer Eskalation der Lage. Haben Sie die Befürchtung, dass am Ende wieder die Zivilbevölkerung leidet? 

Diese Gefahr besteht natürlich bei einer militärischen Intervention. Ich glaube, de Mistura denkt, dass eine militärische Intervention dazu führt, dass der Krieg noch weiter ausartet und die letzten verbliebenen Menschen, die in den Trümmern oder in den bisher verschonten Gebieten von Syrien leben, darunter zu leiden haben. In dieser Hinsicht ist es verständlich, dass er davor warnt. Allerdings gibt es auch andere Arten einer robusten Antwort, um die Täter zu bestrafen. Ich denke zum Beispiel daran, die Konten derjenigen Leute zu schließen und zu konfiszieren, die Geldflüsse von denjenigen einzufrieren, die in entsprechen Positionen sind, um solche Giftgasangriffe zu befehligen, zu dulden oder gut zu heißen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es die Militärmachthaber trifft, die den Knopf selber drücken oder die den Befehl zum Knopf drücken geben – oder ob es die Schreibtischtäter im Hintergrund sind.  

Wenzel Michalski ist der Direktor von Human Rights Watch Deutschland

Das Gespräch führte Daniel Heinrich