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PolitikAfrika

Krieg in Tigray: Humanitäre Lage spitzt sich zu

Martina Schwikowski
13. Januar 2021

Der Konflikt zwischen Äthiopiens Regierung und der TPLF im Norden schürt die Not der Bevölkerung. Die UN befürchten einen Anstieg von Corona-Infektionen. Experten sehen bei der Regierung keinen Willen zur Versöhnung.

Äthiopien Tigray Konflikt Panzer
Bild: Eduardo Soteras/AFP/Getty Images

Die humanitäre Lage im äthiopischen Krisengebiet Tigray ist äußerst angespannt. Krankenhäuser in der Region im Norden des Landes sind in den vergangenen zwei Monaten bei Kämpfen zwischen der Regierungsarmee und abtrünnigen Truppen unter Führung der regionalen TPLF-Partei geplündert oder zerstört worden. Das Gesundheitswesen ist zusammengebrochen, Lebensmittel und Medikamente sind knapp. Internationale Hilfsorganisationen schlagen Alarm: Die Vereinten Nationen (UN) befürchten, dass ein massiver Anstieg der Übertragungen des Coronavirus die ohnehin schwierige Situation verschärfen könnte.

Flüchtlingscamps befeuern COVID-19-Pandemie

Sie fordern von der äthiopischen Regierung unter Premierminister Abiy Ahmed ungehinderten Zugang zu der gesamten Region. Nach UN-Angaben brauchen 2,3 Millionen Menschen, die Hälfte der Einwohner von Tigray, dringend humanitäre Hilfe. "Nur fünf von 40 Krankenhäusern in Tigray sind zugänglich", heisst in einem aktuellen UN-Bericht: "Es wird befürchtet, dass die Unterbrechung der Überwachungs- und Kontrollaktivitäten für COVID in der Region über mehr als einen Monat, die starken Bevölkerungswanderungen und überfüllten Flüchtlingslager eine massive Übertragung der Pandemie möglich gemacht haben."

Flüchtlinge aus der Tigray Region an der Grenze zum benachbarten SudanBild: Mohamed Nureldin Abdallah/REUTERS

Gleichzeitig meldete die äthiopische Armee vor wenigen Tagen einen "Erfolg" im andauernden Krieg zwischen der Zentralregierung und der regionalen Partei TPLF (Tigray-Volksbefreiungsfront) um die Kontrolle der Nordregion: Vier TPLF-Führer sollen getötet und neun weitere verhaftet worden sein. Unter den Toten befänden sich demnach Seyoum Mesfin, der bis 2010 Außenminister Äthiopiens war, der TPLF-Sprecher Sekoture Getachew und Daniel Assefa, der ehemalige Leiter des Finanzbüros von Tigray, sowie der ehemalige Chef der äthiopischen Rundfunkbehörden (EBA), Zeray Asgedom, und der Journalist Abebe Asgedom. Die Angaben konnten zunächst nicht unabhängig verifiziert werden.

Rebellengruppe geschwächt

"Das wird große Auswirkungen auf einen Versöhnungsprozess haben", sagt Annette Weber, Ostafrika-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), im DW-Interview. "Obwohl: Das war ja von Premier Abiy gar nicht angedacht. Er hat die TPLF als Gesamtgruppe zur terroristischen Vereinigung erklärt und möchte sich darauf verlassen, dass die von ihm in Tigray bestimmte Regierung die Belange der Bevölkerung vertritt." Schon zu Beginn des bewaffneten Konflikts hatte das äthiopische Parlament eine Übergangsregierung für Tigray eingesetzt. Weber fügt hinzu: "Die Ereignisse werden die TPLF weiter schwächen. Man muss sich von den Vorstellungen von vor zwei Monaten verabschieden. Damals glaubten viele noch, die TPLF werde im Guerillakrieg gewinnen."

Äthiopiens Premierminister Abiy Ahmed spricht im Parlament über den Konflikt in TigrayBild: Amanuel Sileshi/AFP

Für William Davison hingegen, Analyst bei der International Crisis Group (ICC), stellt der Regierungsschlag keinen Einschnitt dar: "Es ist ein militärischer Konflikt, - und somit keine Überraschung, dass einige Anführer der TPLF getötet wurden", so Davison. Es sei unwahrscheinlich, dass der Vorgang neuen Widerstand bei der TPLF wecke - der sei ja bereits vorhanden. "Die Tötungen sind kein immenser Schlag, denn es handelt sich nicht um hochrangige, aber doch wichtige Anführer. Das zeigt, dass die TPLF unter großem Druck ist, den die Regierungstruppen gegen ihre Gegner einsetzen."

"Herausforderungen für Helfer sind extrem"

Die Kämpfe in Tigraydauern an, bestätigt auch die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF). Die Instabilität erschwere den Zugang zu Menschen und Flüchtlingslagern. "Es gibt massive Hürden für unsere Arbeit. Die Menschen haben Angst, denn es wird gekämpft und die meisten Gebiete in Tigray sind unsicher", sagt Mari Carmen Viñoles, Sprecherin der Notfall-Einheit von MSF, im DW-Interview. "Dazu kommt, dass Medikamente fehlen, Sauerstoff, Nahrung, Wasser, Unterkünfte. Tausende sind vertrieben worden. Die Herausforderungen sind extrem".

Die Kämpfe in der Region Tigray zwischen Regierung und Rebellen dauern anBild: Ethiopian News Agency/AP/picture alliance

Auch Banken seien geschlossen, Menschen könnten kein Geld erhalten, um mit ihrem Leben fortzufahren. Es gebe kaum Mitarbeiter in den wenigen funktionsfähigen Krankenhäusern - sie seien aus Angst vor Gewalt geflohen. "Wir sind in einer Phase, in der Millionen Menschen keine Gesundheitsversorgung erhalten. Alle Versuche, die Übertragung von Corona zu verhindern, sind daher sehr begrenzt." 

Etwas Hoffnung in Mekelle

Etwas Hoffnung keimt allerdings in der Regionalhauptstadt Mekelle auf: "Dort ist die Situation - bei aller Vorsicht - ein wenig besser geworden. Es gibt Wasser, Elektrizität, auch das Internet funktioniert wieder. Langsam öffnen einige Geschäfte, das Leben scheint sich zu normalisieren", sagt Viñoles. "Aber Mekelle ist nur eine Stadt in der Region, in der momentan Millionen Menschen keine Möglichkeit der Gesundheitsversorgung haben. Die Situation ist entsetzlich."

Hilfsorganisationen fordern mehr Zugang für die Gesundheitsversorgung in TigrayBild: ICRC

Die Konfrontationen in Tigray hatten am 4. November begonnen, als TPLF-Einheiten eine Basis der äthiopischen Armee besetzten und Äthiopiens Premierminister Luft- und Bodenangriffe anordnete. Die TPLF-Regierung wurde abgesetzt, Äthiopiens Armee marschierte in Tigray ein, unterstützt von Milizen der Amhara-Region sowie mutmaßlich Truppen des Nachbarlandes Eritrea. Allerdings hat Premier Abiy bereits vor sechs Wochen den Sieg in Tigray verkündet.

Die Krise droht eines der bevölkerungsreichsten Länder Afrikas zu destabilisieren und Nachbarn wie den Sudan mit hineinzuziehen. Annette Weber kritisiert den mangelnden Zugang zum Konfliktgebiet: "Jetzt wäre es dringend nötig, der Bevölkerung in Tigray zu signalisieren, dass sie ein Teil von Äthiopien sind, aber das findet nicht statt."