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Krieg und Klimawandel fördern Hunger

Helle Jeppesen
15. Oktober 2019

Der neue Welthungerindex zeigt: Eigentlich müsste kein Mensch hungern. Und doch hat jeder neunte Mensch auf der Erde nicht genug zu Essen. Schuld daran sind unter anderem der Klimawandel und bewaffnete Konflikte.

Zentralafrikanische Republik Flüchtlinge
Bild: Getty Images/A. Huguet

Die gute Nachricht: Wir haben das Wissen und die technischen und finanziellen Möglichkeiten, den Hunger weltweit abzuschaffen.

"Seit 2000 werden auf globaler Ebene sukzessive Fortschritte in der Reduzierung des Hungers erzielt, der Hunger ist weltweit um 31 Prozent zurückgegangen", betont Fraser Patterson von der Welthungerhilfe (WHH). "Wir sehen Fortschritte in fast allen Ländern, allen Regionen der Welt".

Fraser Patterson verantwortet den Welthungerindex und stellt in enger Kooperation mit der Partnerorganisation Concern Worldwide den jährlichen Index und den Bericht der Welthungerhilfe zusammen.

2016 gab es kein einziges Land auf der Welt, in dem die Hungersituation als so gravierend eingestuft wurde, dass ein Land rot eingezeichnet werden musste.

Doch seit 2017 wird der Hunger in der Zentralafrikanischen Republik wieder mit rot markiert: Die allgemeine Ernährungssituation in dem von bewaffneten Konflikten zerrissenen Land ist verheerend. Unterernährung ist in der gesamten Bevölkerung eher die Regel als die Ausnahme. Jedes achte Kind stirbt vor seinem fünften Geburtstag. Die Kinder, die überleben, sind viel zu klein für ihr Alter, leiden an Auszehrung und Wachstumsverzögerung. Anhand dieser vier Faktoren wird die Hungersituation in der Zentralafrikanischen Republik im Index als "gravierend" eingestuft.

In vier weiteren Ländern gilt die Situation als sehr ernst – im Tschad, Madagaskar, Jemen und Sambia. 43 der insgesamt 117 bewerteten Länder fallen in die Kategorie "ernst". Insgesamt, so der Bericht, hungern 822 Millionen Menschen weltweit. Das ist jeder neunte Mensch auf der Erde. Vor drei Jahren lag die Zahl unter 800 Millionen.

"Für den Anstieg in den letzten drei Jahren spielen vor allem zwei Faktoren eine Rolle: Einer ist die Auswirkung des Klimawandels, aber auch die Zunahme von bewaffneten Konflikten weltweit", sagt Patterson im DW-Gespräch. Kriege und bewaffnete Konflikte bräuchten politische Lösungen und die vom Klimawandel am stärksten gefährdeten Gruppen dringend Unterstützung, um sich an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen.

"Der Welthungerindex 2019 zeigt, dass es durch menschliches Handeln immer schwieriger wird, die Bevölkerung angemessen und nachhaltig zu ernähren."

Den Welthungerindex gibt es seit 2006. Die aktuellen Zahlen, deren Berechnungen vor allem auf Quellen der Vereinten Nationen über Hunger, Ernährung und Kindersterblichkeit beruhen, werden mit den Ergebnissen vergangener Jahre verglichen. Das Ergebnis: "Der Klimawandel hat negative Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit. Nicht nur auf die Landwirtschaft, sondern auf alle Aspekte des Ernährungssystems, einschließlich Verfügbarkeit, Zugang und Qualität von Nahrung sowie auf die Stabilität der Produktion."

Weniger Nährstoffe durch Klimawandel

Seit Anfang der 1990er Jahre haben sich die Extremwetterereignisse weltweit verdoppelt, so Patterson. Das führe zu Ernteverlusten durch Dürren, Überflutungen, Bodenerosion und Stürme. Am schlimmsten vom Klimawandel betroffen seien die ärmsten Länder, wo der Hunger ohnehin am größten sei und wo es keine soziale Absicherung gibt. Doch auch ein anderes Problem treibt den Hunger durch den Klimawandel an:

Seit 1990 haben sich Extremwetterereignisse wie Dürre und Überflutungen verdoppeltBild: picture-alliance/Zuma/A. Gupta

"Höhere CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre führen zu geringeren Mikrostoffen in Nutzpflanzen, zu weniger Eiweiß, Zink oder Eisen", erklärt Patterson. Vor allem seien Grundnahrungsmittel wie Weizen, Reis, Mais und Soja von den schlechteren Nährwerten betroffen. "Das trifft die ärmsten Menschen am stärksten, da sie hauptsächlich diese Pflanzen als Hauptnahrungsmittel nutzen."

Klima-Apartheid

Philip Alston, der UN-Sonderberichterstatter zu extremer Armut und Menschenrechten, nennt es unverblümt "Klima-Apartheid". "Wir riskieren eine Situation der Klima-Apartheid, wo sich die Reichen leisten können vor der Hitze, dem Hunger und den Konflikten zu entfliehen, während der Rest der Weltbevölkerung unter den Folgen des Klimawandels leiden muss", sagte Alston bei der Veröffentlichung seines Berichts über extreme Armut und Menschenrechte.

Philip Alston, UN-Sonderberichterstatter über extreme Armut und Menschenrechte, kritisiert die Klima-ApartheidBild: picture-alliance/B. Khawaja

Der Bericht wurde im Sommer 2019 dem UN-Menschenrechtsrat vorgelegt. Der unabhängige Experte für Völkerrecht und Menschenrechte kritisierte, dass die Folgen des Klimawandels auf politischer Ebene zwar Versprechen, aber keine Veränderung in Bezug auf das zugrunde liegende System finden.

"Klimawandel bedroht die Zukunft der Menschenrechte. Er droht alle erreichten Fortschritte der vergangenen 50 Jahre in Bezug auf Entwicklung, Gesundheit und Armutsbekämpfung zu vernichten", so Alston in seinem Bericht. Er geht davon aus, dass auch im günstigsten Fall, nämlich wenn es gelingt, bis zum Jahr 2100 die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, die Folgen verheerend sein werden. "Hunderte von Millionen Menschen werden Hunger, Flucht, Krankheiten und Tod ausgesetzt sein."

Politische Ursachen

Hunger habe vor allem strukturelle Ursachen, sagt auch Philipp Mimkes von FIAN, dem internationalen Netzwerk für das Menschenrecht auf Nahrung. "Hunger ist kein Schicksal", heißt es auf der Homepage von FIAN.

"Wenn man sich mal die Gegenwart anschaut: Es gibt heute deutlich mehr Nahrungsmittel pro Person als vor 20, 30, 40 Jahren", betont Philipp Mimkes, der Geschäftsführer vonFIAN Deutschland. "Das heißt, wir haben im Prinzip kein Problem zu geringer Produktion, sondern wir haben ein Verteilungsproblem."

Mimkes weist im DW-Interview darauf hin, dass weniger als die Hälfte der weltweiten Agrarproduktion direkt als Lebensmittel genutzt wird. "Der Rest landet ganz woanders: bei Bioplastik, bei der Energiegewinnung, bei Futtermitteln."

Bioplastik soll Umwelt und Klima schonen, verdrängt jedoch den Anbau von NahrungsmittelnBild: Getty Images/AFP/U. Ruiz

Da helfe es auch nicht, nur Geld zu geben, wie es die Industrieländer seit Jahrzehnten versprechen, um den Hunger weltweit zu bekämpfen:

"Zu den wichtigsten Hungerursachen gehören eigentlich politische Fragen wie Diskriminierung, wie soziale Ungerechtigkeit und auch ungerechte Handelsstrukturen", so Mimkes.

Mehr Produktion verursacht mehr Hunger

Er weist darauf hin, dass es zum Beispiel in Südamerika trotz mehr Anbauflächen immer mehr Menschen gibt, die hungern müssen: "In den vergangenen Jahrzehnten ist die Agrarfläche dort fast explodiert und damit ist auch die Agrarproduktion stark gestiegen", sagt Mimkes. "Trotzdem, trotz deutlich höherem Output, haben wir dort in den letzten fünf Jahren rund 60 Prozent mehr Hungernde."

Das, was angebaut werde, diene kaum der Ernährung der Lokalbevölkerung, sondern vor allem dem Export von Futtermitteln oder der Energiegewinnung. Das stehe im krassen Widerspruch zu den Vorschlägen, die immer wieder gerne von den Industriestaaten gemacht werden: Einfach mehr produzieren.

Auch Fraser Patterson von der Welthungerhilfe sieht den Hunger als Verteilungsproblem. Wenn wir jetzt nicht entschlossen handeln, besteht die Gefahr, dass die Zahlen weiterhin steigen, so Patterson:

"Armut ist und bleibt immer noch der Hauptgrund für Hunger in der Welt. Oft leiden Menschen an Hunger, nicht weil es kein Essen vor Ort gibt, sondern weil das Essen, was da ist, einfach zu teuer ist. Und das können sie sich nicht leisten."

 

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