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KonflikteUkraine

Kriegsbeute: Russland greift nach ukrainischen Bodenschätzen

26. August 2023

Als "Kornkammer Europas" ist die Ukraine weltweit bekannt. Doch die Reichtümer des Landes liegen auch unter Tage. Große Teile davon kontrolliert der Besatzer Russland - ein Würgegriff für die ukrainische Wirtschaft.

Eisenbahnwaggons mit Kohle beim Kohlebergwerk Beloretschenska in der Ukraine (Archiv)
Bis zu 80 Prozent der ukrainischen Kohle werden in den Regionen Donezk und Luhansk gefördert, die Russland 2022 annektierteBild: Sputnik/dpa/picture alliance

Mit mehr als 60 Prozent Eisengehalt sind die Erze, die bei Dniprorudne in der südukrainischen Region Saporischschja aus rund einem Kilometer Tiefe aus der Erde geholt werden, begehrt. Der Löwenanteil von jährlich 4,5 Millionen Tonnen des strategisch wichtigen Rohstoffes wurde vor dem Krieg ins europäische Ausland exportiert - in die Slowakei, nach Tschechien und Österreich. Die Minen von Dniprorudne brachten der Ukraine Devisen im Wert von rund 200 Millionen Euro pro Jahr. Etwa ein Drittel des geförderten Eisens wurde in einer Stahlhütte in der Regionalhauptstadt Saporischschja verarbeitet und als Stahl ebenfalls exportiert.

Doch seit Sommer 2022 ist damit vorerst Schluss: Dniprorudne, die Arbeiterstadt südlich des inzwischen ausgetrockneten Kachowka-Stausees, ist von russischen Truppen besetzt. Die strategisch wichtigen Ressourcen gehen nun nach Russland. Ukrainische, slowakische und tschechische Investoren des Unternehmens wurden durch die russische Besatzungsbehörde de facto enteignet.

Ohne Rohstoffe keine Devisen

Die Exporte von Erzen für die Metallurgie gingen nach Angaben der ukrainischen Zollbehörde 2022 im Vergleich zum Vorjahresniveau um beinahe 60 Prozent zurück, auf weniger als drei Milliarden US-Dollar, so eine Analyse des Brancheninformationsdienstes GMK Center. Zum Teil geht dieser Rückgang auf die russische Besetzung von Abbaugebieten zurück. Insgesamt schätzen die Experten der kanadischen Denkfabrik SecDev den Gesamtwert der besetzten ukrainischen Rohstoffvorkommen auf ca. 12 Billionen US-Dollar. Neben Eisenerzen sind es vor allem andere kritische Rohstoffe für die Metallurgie wie Steinkohle, Titan und Mangan. Aber auch Gold, Erdgas, Erdöl, Kaolin, Salz, Gips, Zirkonium und Uran.

Zerstörte Werke, teure Rohstoffe, erschwerte Logistik: Die ukrainischen Stahlexporte sind um 80 Prozent eingebrochenBild: Sasha Gusov/Axiom Photographic/Design Pics/picture alliance

Das größte Eisenerzvorkommen - das Krywyj-Rih-Becken - und die Aufbereitungskombinate bleiben zwar unter Kontrolle der Regierung in Kiew, werden aber aus den angrenzenden von Russland besetzten Gebieten im Südosten des Landes heraus systematisch beschossen. "Das politische Kalkül Moskaus liegt vor allem darin, das wirtschaftliche Potenzial der Ukraine zu zerstören. Dafür ist es unerheblich, ob man die Ressourcen vereinnahmt oder durch Beschuss zerstört", sagt Jaroslaw Schalilo vom Nationalen Institut für strategische Studien in Kiew.

Der Wirtschaftsexperte spricht von dramatischen Folgen für die ukrainische Stahlproduktion durch die Verknappung von Ressourcen. Während die Ukraine im Jahr 2021 knapp 20 Millionen Tonnen metallurgische Produkte exportierte, waren es im ersten Halbjahr 2023 nur noch 2,5 Millionen Tonnen - aufs Jahr gerechnet ein Rückgang von fast 80 Prozent. Große ukrainische Stahlhütten in Mariupol wurden von russischen Truppen zerstört. Verbleibende Produktionsstätten kämpfen ums Überleben.

Russische Blockade: Rohstoffe schwer zu beschaffen

Bis zu 80 Prozent der ukrainischen Kohle liegen in den von Russland besetzten Gebieten im Osten des Landes. Energetisch besonders wertvolle Anthrazitkohle ist sogar zu 100 Prozent unter russischer Kontrolle und muss aus Ländern wie USA oder Südafrika importiert werden. Diese Importe sind wegen der russischen Blockade ukrainischer Häfen am Schwarzen Meer besonders kostspielig. Die Rohstoffe müssen über die Häfen in den Nachbarländern wie Polen oder Rumänien importiert werden, dann werden sie auf der Schiene transportiert.

Das gleiche Problem hat die ukrainische Schwerindustrie auch beim Export der Produktion, was die Konkurrenzfähigkeit ukrainischer Industrieprodukte infrage stellt. "Russland will die Ukraine wirtschaftlich ausbluten lassen und das Land in der Propaganda als 'failed state' darstellen, der ohne Russland nicht überlebensfähig ist", so der Wirtschaftsexperte Schalilo.

Konkurrenz um die Rohstoffe der Zukunft?

Olivia Lazard von der Brüsseler Denkfabrik Carnegie Europe sieht den Griff nach ukrainischen Rohstoffen als eines der wichtigsten Motive für die russische Invasion. Strategische Ressourcen mit Gewalt zu sichern - die Politikwissenschaftlerin sieht darin ein Muster der russischen Politik. "Mit Hilfe der Wagner-Söldner sichert sich Moskau in Afrika seit Jahren nicht nur Gold und Diamanten, sondern auch Rohstoffe, die für die grüne Transformation notwendig sind, wie Lithium, Kobalt und andere seltene Erden", so Lazard im Gespräch mit der DW.

Wenige Monate vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine - im Juli 2021 - schloss die Europäische Union eine strategische Rohstoff-Partnerschaft mit Kiew. Auf der EU-Liste der für ihre "grüne Transformation" benötigten kritischen Rohstoffe stehen 30 Materialien. Zwei Drittel davon gebe es in der Ukraine, sagen Experten. Angesichts der Risiken des Klimawandels weckt der Reichtum der Ukraine aber auch Begehrlichkeiten Moskaus. "Russland sieht sich vor dem Hintergrund der Verknappung von Ressourcen zunehmend als einen Schlüsselakteur sowohl bei der Versorgung mit Energieressourcen als auch bei der Lebensmittelsicherheit und Wasserversorgung. Wir sehen jetzt am Beispiel des ausgesetzten Getreideabkommens, wie globale Versorgungssicherheit zu einer Geisel russischer Machtambitionen wird. Für Russland sind alle Ressourcen auch ein Instrument, um die EU und die NATO herauszufordern", so Lazard.

Kampf ums Lithium

Einer der begehrtesten Bodenschätze weltweit ist Lithium, das man für Handyakkus und Autobatterien braucht. Die Ukraine lockt ausländische Investoren mit den "größten Lithium-Vorräten Europas". Doch konkrete Zahlen sind wohl zu brisant für die Öffentlichkeit. "Das ist ein Staatsgeheimnis, das wird Ihnen keiner sagen", so Dmytro Kaschtschuk von der ukrainischen Geological Investment Group gegenüber der DW.

Fakt ist: Nach zwei von vier bekannten ukrainischen Lithiumvorkommen streckte Moskau bereits seine Fühler aus. Das Vorkommen Kruta Balka im Gebiet Saporischschja ist bereits seit Frühjahr 2022 von Russland besetzt, ein weiteres - Schewtschenkowe in der Region Donezk - liegt nur wenige Kilometer von der Frontlinie entfernt. Ein Investor aus Australien, der sich kurz vor dem Krieg um eine Abbaulizenz in Schewtschenkowe bemühte, legte das Projekt auf Eis. "Lithium-Förderung in der Ukraine wird angesichts der geologischen Beschaffenheit der Vorkommen voraussichtlich teurer sein als in Südamerika oder anderen Teilen der Welt. Wenn zusätzliche Risikofaktoren dazu kommen, ist die Sache aus wirtschaftlicher Sicht fragwürdig", so Kaschtschuk.

In Südamerika (wie auf dem Bild in Argentinien) ist Lithiumförderung günstiger als in der Ukraine. Dennoch hat der Rohstoff strategische Bedeutung, so ExpertenBild: AIZAR RALDES/AFP

Neben einem Lithium-Vorkommen kontrollieren russische Besatzer auch drei Lagerstätten seltener Erden, so der Experte von Geological Investment Group. Von den kritischen Rohstoffen sieht Kaschtschuk Potenzial bei Zirkonium, Uran, aber vor allem bei Graphit und Titan. "Graphit wird bei der Batterieproduktion verwendet und ist ein gefragter Rohstoff", so der Experte. Zwei Graphit-Vorkommen sind zwar unter russischer Kontrolle, von den anderen vier wird aber in einem bereits erfolgreich abgebaut, betont Dmytro Kaschtschuk. Die besten Aussichten für die Ukraine sieht er beim Schlüsselrohstoff Titan. Mit sieben Prozent der weltweiten Förderung gehört die Ukraine zu den Top-5 Produzenten. Tendenz: steigend.

Wie der Krieg in der Ukraine das Autofahren verteuert

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In einer früheren Version des Artikels wurde die Stadt Dniprorudne mit Dobropillja verwechselt. Dies wurde korrigiert. Die Redaktion bittet, den Fehler zu entschuldigen.

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