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PolitikUkraine

Worüber Kiew und Moskau verhandeln

Roman Goncharenko
18. März 2022

Während Russlands Krieg gegen die Ukraine andauert, verhandeln Kiew und Moskau. Ist ein Kompromiss möglich? Wann und zu welchen Bedingungen? Experten warnen: Ein schnelles Ende sei nicht in Sicht.

Ukraine-Krieg | zerstörte russische Panzer
Zerstörte russische Panzer in der ukrainischen Region von SumyBild: IRINA RYBAKOVA/UKRAINIAN GROUND FORCES/REUTERS

Der russische Krieg gegen die Ukraine geht in die vierte Woche. Neben den Nachrichten über Kämpfe und Opfer gibt es auch Berichte über Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew. Nach einigen Treffen in Belarus sprechen die Unterhändler nun per Videoschalte. Bislang ohne Ergebnis. Russlands Präsident Wladimir Putin sagte, Moskau werde seinen "Plan" nicht aufgeben, bis Kiew seine Schüsselforderungen erfüllt: "Entmilitarisierung", "Entnazifizierung" sowie ein "neutraler Status der Ukraine". Früher forderte Moskau auch, Kiew müsse die annektierte Krim als Teil Russlands sowie die "Volksrepubliken" in Donezk und Luhansk als unabhängig anerkennen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seinerseits zeigte sich bereit, auf die angestrebte NATO-Mitgliedschaft zu verzichten.

Die russische (links) und die ukrainische Delegation bei Verhandlungen in Belarus, 28. Februar 2022Bild: Sergei Kholodilin/BELTA/AFP

Während wenig Konkretes über die Unterredungen nach draußen dringt, sorgte diese Woche ein Artikel in der "Financial Times" für Aufsehen. Es gebe "substantiellen Fortschritt" bei den Verhandlungen, ein 15-Punkte-Plan sei im Gespräch. Kiew soll angeblich bereit sein, seinen NATO-Wunsch aufzugeben und keine Waffensysteme auf ausländischen Militärstützpunkten im Land zu stationieren. Als Absicherung gegenüber Russland möchte die Ukraine angeblich Sicherheitsgarantien von USA, Großbritannien und der Türkei. Ukrainische Vertreter sagen, Kiew brauche rechtlich bindende Zusagen.

Kiews Zugeständnis: Neutralität statt NATO

Aljona Hetmantschuk, Leiterin der Kiewer Denkfabrik New Europe, nennt die Lage "absurd": "Zunächst muss man einen Waffenstillstand vereinbaren und dann konkrete Verhandlungen führen. Heute ist es so: Je intensiver Verhandlungen geführt werden, desto mehr wird geschossen."

Hetmantschuk beschreibt die Bereitschaft der Ukraine, einem neutralen Status zuzustimmen, als das größte Zugeständnis: "Nicht nur, weil die NATO-Mitgliedschaft als Ziel in der Verfassung steht, sondern weil es von einer nie dagewesenen Mehrheit unterstützt wird." Das Angebot sei an Sicherheitsgarantien gebunden, die faktisch Artikel 5 des NATO-Vertrags über kollektive Sicherheit ersetzten. Diese Idee sei "ziemlich illusorisch", denn es gebe keine Bereitschaft der NATO-Länder, der Ukraine solche Garantien zu geben. Auch Russland dürfte darauf kaum eingehen. Als rote Linien für Kiew beschreibt Hetmantschuk die Anerkennung der Krim und des Donbass: "Das wäre eine komplette Kapitulation."

Die Expertin bezweifelt, dass Verhandlungen zum Erfolg führen werden, hält sie jedoch für richtig, um "die humanitäre Lage zu verbessern und der Welt zu zeigen, dass die Ukraine zu bestimmten Kompromissen bereit ist".

Moskau: Selenskyjs Absetzung kein Thema mehr

Bei den Verhandlungen mit der Ukraine, bei denen zunächst über humanitäre Korridore gesprochen wurde, "beginnt offenbar ein Gespräch über grundlegendere Fragen", sagt Andrej Kortunow, Direktor des Russischen Rats für außenpolitische Fragen (RSMD). Bei bestimmten Fragen sieht will er eine "Dynamik" in der russischen Haltung ausgemacht haben. "Es gab Äußerungen, die 'Entnazifizierung' würde einen Neustart des Staatsprojekts Ukraine erfordern, vielleicht Neuwahlen, die Entfernung nationalistischer rechter Kräfte aus der politischen Arena", sagt Kortunow. "Jetzt gibt es eine reduzierte Agenda. Über eine Absetzung Selenskyjs wird nicht mehr gesprochen."

Moskaus Kernforderung betreffe die von Kiew angestrebte Mitgliedschaft in der NATO sowie die Zusammenarbeit mit der Allianz, sagt Kortunow. Was die Anerkennung von Donezk und Luhansk angeht, so könne man diese Frage auf unbestimmte Zeit ausklammern. Einen Abzug russischer Truppen aus den seit Kriegsbeginn eroberten Gebieten hält Kortunow für möglich. 

Keine verbrieften Sicherheitsgarantien

Robert Brinkley, ehemaliger britischer Botschafter in der Ukraine, erwartet keinen Durchbruch bei Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew. Das sei nur zu erwarten, wenn "beide Seiten dazu bereit sein werden". Noch würden sie versuchen, "ihre Stellungen am Boden zu verbessern". Auf die Frage, ob Großbritannien der Ukraine Sicherheitsgarantien geben würde, ging Brinkley nicht direkt ein. Er erinnerte an die negativen Erfahrungen der Ukraine mit dem Budapester Memorandum aus dem Jahr 1994, als die Atommächte Russland, USA und Großbritannien der Ukraine versicherten, ihre Souveränität und Grenzen zu achten, als Gegenleistung für einen Verzicht auf Atomwaffen, die das Land von der UdSSR geerbt hatte. "Jenes Dokument hat keine Garantien vorgesehen, deshalb denke ich, dass die Ukraine sehr genau schauen wird", was in einem neuen Abkommen stehen werde, so Brinkley.

Der ehemalige britische Diplomat verwies ebenfalls auf die Haltung der NATO, die keine Truppen in die Ukraine schicken und keine Flugzeuge zur Verfügung stellen will, um eine Flugverbotszone durchzusetzen, wie die Ukraine sie fordert.

Putin: Täuschungsmanöver, um Zeit zu gewinnen?

Brinkleys ehemaliger Kollege, der frühere deutsche Botschafter in Kiew Hans-Jürgen Heimsoeth, erwartet ein Ergebnis der Verhandlungen erst in ein paar Wochen. Beide Seiten würde "aus gewissen PR-Gründen" Gespräche führen, doch gebe es Unterschiede. Während die russische Führung sich kompromisslos zeige, sei die Ukraine offen in der Frage der Neutralität und ausländischer Militärstützpunkte.

Der Publizist Winfried Schneider-Deters, der lange in der Ukraine gelebt hat, ist der einzige unter den befragte Experten, der die Verhandlungen als "Nebelkerze" beschreibt. "Es ist ein Täuschungsmanöver von Putin. Er möchte den Westen einlullen, in Sicherheit wiegen, am Horizont Frieden auftauchen lassen, damit der Westen aufhört, die Ukraine mit Waffen zu unterstützen", so der Experte. "Es ist auch ein Manöver, um Zeit zu gewinnen. Nachdem die erste Offensive so kläglich gescheitert ist, muss er seine Kräfte für eine zweite Angriffswelle sammeln."

Putin strebe eine "militärische Lösung" an, meint Schneider-Deters. Dabei brauche auch Kiew diese Verhandlungen, "um sich zu sammeln und um die Freiwilligen, die sich melden, an der Waffe auszubilden". Die Ukraine solle sich nicht auf Sicherheitsgarantien einlassen, sagt Schneider-Deters und erinnert an das Budapester Memorandum. Der Westen werde in der Ukraine zwar nicht kämpfen, könne aber "Waffen liefern und nochmals Waffen liefen". Seine Prognose: Der Krieg werde noch "sehr lange dauern".