1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Todesstrafe für die Kriegsgefangenen aus dem Asow-Stahlwerk?

Alexandra Ivanova
19. Mai 2022

In der russischen Staatsduma werden Stimmen laut, die für die Kämpfer des ukrainischen Asow-Regiments die Todesstrafe fordern. Was denkt man darüber in Deutschland und welche Folgen hätte dies für Russland?

Ukraine-Krieg Mariupol | Abtransport von Kriegsgefangenen aus dem Asow-Stahlwerk
Hoffen auf einen Gefangenenaustausch - die Kriegsgefangenen aus dem Asow-StahlwerkBild: Leon Klein/AA/picture alliance

Über 1700 ukrainische Soldaten, die das Asow-Stahlwerk in Mariupol verteidigten, haben sich laut russischem Verteidigungsministerium seit dem 16. Mai in russische Gefangenschaft begeben. Unter ihnen auch Verwundete, von denen ein Teil zur Behandlung nach Nowoasowsk gebracht wurde, das in dem von der selbsternannten Volksrepublik Donezk kontrollierten Gebiet liegt.

Die stellvertretende ukrainische Verteidigungsministerin Hanna Maljar sprach von einer Evakuierung der Soldaten aus dem Stahlwerk und versicherte, dass sie über ein Austauschverfahren nach Hause zurückkehren würden. Auch Präsident Wolodymyr Selenskyj äußerte die Hoffnung, das Leben der Soldaten zu retten. "Die Ukraine braucht lebende ukrainische Helden", betonte er.

Todesstrafe für Asow-Kämpfer?

Die russische Seite beeilt sich jedoch nicht, über einen Austausch zu verhandeln. Der Vorsitzende der russischen Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin, erklärte sogar, die Gefangenen, die er als "Nazi-Verbrecher" bezeichnet, dürften nicht an die Ukraine zurückgegeben werden. Am 26. Mai will das Oberste Gericht der Russischen Föderation über die Einstufung des Asow-Regiments als "terroristische Organisation" und damit über ein Verbot in Russland entscheiden. Über den Antrag der russischen Generalstaatsanwaltschaft soll hinter verschlossenen Türen beraten werden.

Abtransport von ukrainischen Kriegsgefangenen aus dem Asow-Stahlwerk in Mariupol am 17. Mai 2022Bild: Valentin Sprinchak/Tass/IMAGO

Der Vorsitzende des Duma-Ausschusses für internationale Angelegenheiten und Mitglied der russischen Delegation bei den Gesprächen mit Kiew, Leonid Sluzkij, schlug seinerseits vor, eigens für einen Prozess gegen die Soldaten des Asow-Regiments das in Russland seit 1996 faktisch geltende Moratorium zur Todesstrafe aufzuheben. "Der ganzen Welt soll gezeigt werden, dass ukrainische Nationalisten nur die Todesstrafe verdienen", drohte er.

Völkerrechtliche Garantien

Laut dem deutschen Militärexperten und ehemaligen NATO-General Egon Ramms wäre die Verurteilung ukrainischer Gefangener in Russland zur Todesstrafe ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht. "Die Soldaten, die aus Mariupol evakuiert worden sind, einschließlich der Verwundeten, gehen in Kriegsgefangenschaft. Das richtet sich nach dem Genfer Abkommen von 1949. Wenn ich höre, dass es Duma-Abgeordnete gibt, die auf einmal laut sagen, denen droht die Todesstrafe, dann haben offensichtlich mal wieder russische Vertreter die rechtliche Grundlage nicht richtig interpretiert oder sie fangen erneut an, ein Kriegsverbrechen zu begehen", sagte Ramms im ZDF.

Die Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen wurde im August 1949 verabschiedet. Artikel 13 besagt: "Die Kriegsgefangenen sind jederzeit mit Menschlichkeit zu behandeln. Jede uner­laubte Handlung oder Unterlassung seitens des Gewahrsamsstaates, die den Tod oder eine schwere Gefährdung der Gesundheit eines in ihrem Gewahrsam befindli­chen Kriegsgefangenen zur Folge hat, ist verboten und als schwere Verletzung des vorliegenden Abkommens zu betrachten."

Ein russischer Soldat in dem zerstörten Asow-Stahlwerk, 18. Mai 2022Bild: Olga Maltseva/AFP

Andreas von Arnauld, Institutsdirektor und Prodekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel unterstreicht in diesem Zusammenhang gegenüber der DW, dass Kriegsgefangene wegen ihrer Konfliktteilnahme nicht bestraft werden dürften, wohl aber für Kriegsverbrechen. Hierfür stehe ihnen ein Recht auf ein ordnungsgemäßes und faires Gerichtsverfahren zu.

Verfahren gegen Russland vor dem EGMR?

Christina Binder, Professorin für Internationales Recht und Internationalen Menschenrechtsschutz an der Universität der Bundeswehr in München, weist gegenüber der DW darauf hin, dass Russland zwar das 13. Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention, in dem sich Staaten zur völligen Abschaffung der Todesstrafe in Friedens- wie in Kriegszeiten verpflichten, nicht ratifiziert, aber ein entsprechendes Moratorium dekretiert habe.

"Generell gilt und galt Europa, also im Sinne der 47 Mitgliedstaaten des Europarats, einschließlich Russland und ohne Belarus, als todesstrafenfreier Raum. Die Nichtexekution der Todesstrafe ist heute gleichsam Bedingung für eine Aufnahme in den Europarat", so Binder.

Der Expertin zufolge hat Russland nun aber am 16. März 2022 den Europarat "verlassen" beziehungsweise Russland wurde aus ihm ausgeschlossen. Das impliziere auch einen Rückzug Russlands aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, der aber erst nach sechs Monaten wirksam werde. "Menschenrechtsverletzungen, die bis Mitte September 2022 begangen werden und für die Russland verantwortlich ist, das heißt, die an Individuen verübt werden, die sich 'in der Hoheitsgewalt Russlands' befinden, könnten also vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gebracht werden", erläutert Binder. Das würde auch auf eine Folter und sogar Hinrichtung der Kämpfer des Asow-Regiments zutreffen.

Folgen der Verletzung der Genfer Konvention

Schwere Verstöße gegen die Genfer Konvention werden der Expertin zufolge in Artikel 130 beschrieben. Dazu zählen absichtliche Tötung, Folterung oder unmenschliche Behandlung, einschließlich biologischer Experimente, vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwere Beeinträchtigung der körperlichen Integrität oder der Gesundheit.

Bei entsprechenden Verstößen käme eine Staatenverantwortlichkeit Russlands sowie eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit einzelner Täter in Betracht, betont Binder und fügt hinzu: "Russland verletzt im Fall der Hinrichtung ohne entsprechendes Gerichtsverfahren das humanitäre Völkerrecht. Allerdings gibt es im Völkerrecht keine zwangsweise Rechtsdurchsetzung, keine 'Polizei'. Daher läuft es auf Sanktionen durch andere Staaten hinaus, beispielsweise Wirtschaftssanktionen."

Einzelpersonen können laut der Expertin vor nationalen Gerichten für schwere Verletzungen der Genfer Konventionen individuell haftbar gemacht werden. Allerdings genieße Wladimir Putin in diesem Fall als amtierendes Staatsoberhaupt Immunität. Auch eine Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs käme gegebenenfalls in Betracht. "Weder Russland noch die Ukraine sind zwar Vertragsparteien des Römer Statuts, allerdings hat die Ukraine die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs für Verletzungen des Statuts - hier Kriegsverbrechen, die auf ukrainischem Territorium nach 2014 verübt werden - anerkannt. Hier ist eine allfällige Immunität amtierender Staatsoberhäupter unbeachtlich", betont Binder.

Ukrainische Menschenrechtler verfolgen unterdessen mit Sorge das Schicksal ihrer Landsleute. Die Leiterin des "Zentrums für bürgerliche Freiheiten in der Ukraine", die Rechtsanwältin Oleksandra Matwijtschuk, forderte die UNO in einem Interview mit dem britischen Online-Portal iNews auf, für zusätzliche Garantien zu sorgen, dass Moskau die Bestimmungen des Völkerrechts einhält und ukrainische Kriegsgefangene mit Würde behandelt. Ihrer Meinung nach verdient die Geschichte der Verteidiger des Asow-Stahlwerks, dass über sie in Zukunft Bücher geschrieben und Filme gedreht werden. "Diese Geschichte muss ein glückliches Ende nehmen", sagte sie.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen