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Kriegstreiber auf der Suche nach Gründen

Kersten Knipp,29. August 2014

Wer Kriege beginnt, muss Gründe dafür nennen. Gibt es keine, werden sie erfunden. Ein ungeschriebenes Gesetz, dem schon Hitler am 1. September 1939 folgte - und das bis heute angewandt wird.

Polen Deutschland Geschichte Jahrestag Überfall auf Polen Angriff auf Warschau
Bild: ullstein bild - SV-Bilderdienst

Gleiwitz am 31. August 1939. Gegen Abend dringt ein Trupp bewaffneter Männer in den Radiosender des deutschen Ortes direkt an der Grenze zu Polen ein. Die Angestellten werden gefesselt. Dann wird über den Sender eine angebliche Botschaft polnischer Aufständischer verlesen. Anschließend ziehen die Angreifer sich wieder zurück. Auf dem Gelände des Senders hinterlassen sie die Leiche eines Deutschen, der lange in Polen lebte und mit dem Land politisch sympathisiert. Der Tote soll beweisen: Der Sender wurde tatsächlich von Polen überfallen. Tatsächlich waren SS-Männer dort eingedrungen. Sie hatten auch die Leiche hinterlassen, und zwar auf Befehl Adolf Hitlers. Der brauchte für den Krieg gegen Polen eine Rechtfertigung.

Seine Männer lieferten sie ihm. Und so ließ Hitler seine Medien noch in derselben Nacht über den angeblichen polnischen Überfall berichten. Ebenfalls in dieser Nacht ließ er deutsche Flieger die polnische Stadt Wielún angreifen - 1200 Menschen starben. Und am folgenden Tag hielt er jene Rede, die den Zweiten Weltkrieg einleitete: "Polen hat heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch mit bereits regulären Soldaten geschossen. Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen. Und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten."

Hitlers Rede zeigt: Selbst der ruchloseste Politiker braucht für einen Angriff einen Vorwand, auf den er sich berufen kann. Ein Angriff auf einen anderen Staat erfordert eine Rechtfertigung – hinter diesen vornehmsten Grundsatz des Völkerrechts kann selbst Hitler nicht zurück, jedenfalls nicht in seiner Propaganda. Nach innen, im Kreis der Vertrauten sieht es freilich ganz anders aus. Eine gute Woche vor dem Angriff auf Polen hatte Hitler den obersten Militärkommandeuren sein geplantes Vorgehen so erläutert: "Die Auslösung des Konfliktes wird durch eine geeignete Propaganda erfolgen. Die Glaubwürdigkeit ist dabei gleichgültig, im Sieg liegt das Recht."

Flüchtlinge mit Pferdewagen und ihrem ViehBild: ullstein bild

Ein Schlag mit dem Fächer

Trotzdem, für den ersten Moment muss eine Begründung her, irgendetwas, das zumindest den Anschein der Legitimation erweckt. Denn grundlose Aggression ist bis heute geächtet. Selbst die brutalsten Schlächter der Gegenwart, die Kämpfer der Terrororganisation "Islamischer Staat", geben für ihren tausendfachen Mord Begründungen an – in diesem Fall eine höchst willkürliche Lesart des Koran.

Die jüngere Geschichte kennt zahlreiche Beispiele willkürlich begründeter Kriege. Während der französischen Revolution bezog Frankreich Weizen aus Algerien. Die Zahlungen wurden immer wieder aufgeschoben, die Summe der Schulden wuchs. Darüber kam es Jahrzehnte später, 1827, zu einer erregten Debatte zwischen dem algerischen Herrscher Hussein und dem französischen Konsul Pierre Deval. Im Laufe der Diskussion schlug Hussein dem Konsul mit einem Fächer an die Wange. Das nahm der französische König Charles X 1830 zum Anlass, nach Algerien einzumarschieren. Über 130 Jahre blieb das Land unter französischer Kolonialherrschaft.

Der Konflikt wäre lösbar gewesen. Doch Frankreich wollte ihn nicht beilegen. Der Vorwand, so dürftig er war, sollte den Einmarsch legitimieren. Ernst nahm ihn zwar niemand. Aber Charles X hatte, was er so dringend brauchte: ein Motiv.

„Aufräumen, aufhängen, niederknallen“

Auch Deutschland bediente sich als Kolonialmacht fragwürdiger Motive, um anderen den Krieg zu erklären oder sie zumindest anzugreifen. Seit 1884 war das heutige Namibia zunächst "Schutzgebiet", dann Kolonie des Deutschen Kaiserreichs. Deutsche Siedler breiteten sich immer weiter aus, was die ursprünglichen Bewohner des Gebiets, die Hereros, 1904 dazu brachte, sich gegen die Besatzer zu erheben. Unter ihrem Kommandanten Lothar von Trotha nahmen diese das zum Anlass, die Hereros möglichst vollständig zu vernichten. Darum trieben sie sie in die glühend heiße und wasserlose Omaheke-Wüste. Die Wüste, so ein Zeitzeuge, sollte fortsetzen, "was die deutschen Waffen begonnen hatten: die Vernichtung des Hererovolkes." Die Deutschen beanspruchten das Gebiet für sich. Entsprechend gingen sie vor. Man müsse "aufräumen, aufhängen, niederknallen bis auf den letzten Mann, kein Pardon (geben)", empfahl ein deutscher Missionar.

Lothar von TrothaBild: picture-alliance/akg
Bild: AFP/Getty Images

Vorgeschobene Kriegsgründe der Gegenwart

Vorgeschobene Kriegsgründe spielen bis heute eine große Rolle. Die Sowjetunion begründete den Einmarsch nach Afghanistan 1979 mit dem Hilferuf der dortigen kommunistischen Partei – so irrelevant der auch gewesen sein mag.

Die USA bereiteten seit 2003 den Krieg gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein vor. Auch sie bedienten sich vorgeschobener Gründe. Sie beschuldigten Hussein, im Besitz von Massenvernichtungswaffen zu sein. Die Behauptung stellte sich nach der Invasion als unbegründet heraus.

Die damalige Regierung George W. Bush bereitete den Krieg trotz der immer offensichtlicher werdenden Haltlosigkeit der vorgetragenen Argumente vor. So wiederholte der damalige Außenminister Colin Powell im Februar 2003 vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Vorwurf der Massenvernichtungswaffen.

Bis heute ist ungeklärt, inwieweit die Mitglieder der Bush-Regierung ihren Behauptungen Glauben schenkten. Nach dem Krieg erklärte der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld dem Journalisten Bob Woodward, er habe immer wieder einmal an den Behauptungen gezweifelt. Aber, so Rumsfeld weiter: "Mit der Zeit fasste ich Vertrauen und war von der Richtigkeit der Informationen überzeugt. Ich glaube, das ging allen so."

Kriege brauchen Begründungen. Die mögen willkürlich, haltlos, zynisch sein. Aber sie werden gebraucht. Damit wenn schon nicht die Weltgemeinschaft, dann doch zumindest der Aggressor glauben darf, im Recht zu sein.

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