"Kriegswirtschaft": Europa will aufrüsten
1. April 2025
Es gibt keine offizielle Definition einer Kriegswirtschaft, aber ein Blick in die Vergangenheit zeigt, worum es dabei geht. Im Zweiten Weltkrieg bedeutete das in Deutschland, dass sich das Land in einem "totalen Krieg" befand. Alle volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Anstrengungen sollten ausschließlich dazu dienten, die Wehrkraft zu steigern.
So weit sind die europäischen NATO-Staaten nicht. Wird jetzt von Kriegswirtschaft gesprochen, heißt das zunächst nur, dass ein signifikanter Teil von Ressourcen, Produktionskapazitäten und Arbeitskräften eingesetzt wird, um die militärische Vorbereitung und Produktion im Vorfeld oder - wie gegenwärtig bei der Unterstützung der Ukraine - auch während eines Krieges zu unterstützen.
Das kann dann auf lange Sicht dazu führen, dass die Produktion von Konsumgütern eingeschränkt wird. Stattdessen würde der Herstellung von Waffen, Munition und anderer militärischer Ausrüstung Priorität eingeräumt.
Neben traditioneller militärischer Hardware erfordern moderne Waffen Investitionen in Technologie und digitale Dienste wie Software, Datenanalyse, Satellitensysteme und zuverlässiges Internet, sagt Penny Naas, Politikexpertin beim German Marshall Fund of the United States in Washington.
Um all dies bewältigen zu können, müsse es eine zentralisierte staatliche Kontrolle über notwendige Industrien und die Ressourcenzuweisung geben. Diese ermögliche es, Rohstoffe zu priorisieren und für verteidigungsrelevante Industrien und Güter umzulenken. Güter wie Treibstoff oder Lebensmittel könnten in einer Kriegswirtschaft rationiert werden, um dem Militär Vorrang zu geben.
Kriegswirtschaft als Katalysator
"In einer echten Kriegswirtschaft werden alle Elemente der Gesellschaft auf die Verteidigung des Heimatlandes ausgerichtet", so Naas. Eine solche Neuausrichtung ist kostspielig, und die Staatsausgaben steigen in der Regel stark an. Dies kann zu mehr Kreditaufnahme, Inflation, höheren Steuern und geringeren Sozialausgaben führen.
Armin Steinbach, Fellow beim Brüsseler Thinktank Bruegel und Professor an der HEC Paris Business School, sagt, dass Unternehmen, die auf Militärgüter, digitale Technologien, Information und Geheimdienstarbeit sowie Pharma- und Medizintechnik spezialisiert sind, die großen Gewinner sind.
"Die Hinwendung zur Kriegswirtschaft kann Katalysator für wissenschaftliche und technologischen Fortschritte sein", so Steinbach gegenüber der DW. Die Hersteller "neuer Kommunikationssysteme, Düsentriebwerke, Radareinrichtungen und Geheimdienstausrüstungen profitieren - und deren Technologien beeinflussen wieder andere Branchen."
Übergang zur Kriegsökonomie
Der Übergang von einer zivilen Wirtschaft zu einer Kriegswirtschaft erfolgt je nach Situation langsam oder schnell. Im Zweiten Weltkrieg wusste Deutschland, wann es wen angreift und hatte so einen Vorsprung. Die überfallenen Länder hatten kaum Vorwarnung und mussten hektisch reagieren.
Russland und die Ukraine befinden sich heute in einer ähnlichen Lage. Russland hatte schon vor Beginn des Krieges die Militärausgaben deutlich erhöht, die Produktion von Rüstungsgütern angekurbelt und Kapitalkontrollen eingeführt, um den Geldabfluss aus dem Land zu verlangsamen. Die Inflation ist gestiegen, und die Regierung hat die öffentlichen Ausgaben erhöht, um die Zivilwirtschaft am Laufen zu halten.
Die Ukraine wurde angegriffen und musste ums Überleben kämpfen, ohne sich darauf vorbereiten zu können. Sie musste deutlich mehr in die Kriegsanstrengungen investieren. Heute gebe die Ukraine 58 Prozent ihres Haushalts für das Militär aus, so Steinbach.
Wie Russland hat auch die Ukraine Arbeitskräfte mobilisiert, um die militärischen Bemühungen zu unterstützen, was viele erfahrene Arbeitskräfte aus der zivilen Wirtschaft herausgenommen hat. Auf Anweisung der Regierung wurden viele Fabriken zur Herstellung von Waffen und Munition verpflichtet und umgerüstet.
Kriegswirtschaften in Asien und Afrika
Es gibt noch weitere Länder, die sich aufgrund anhaltender militärischer Konflikte fast im Kriegswirtschaftsmodus befinden, darunter Myanmar, Sudan und Jemen. Die anhaltenden Konflikte in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten, in Syrien sowie in Äthiopien und Eritrea haben ebenfalls zu wirtschaftlichen Störungen geführt, da sich die dortigen Regierungen auf militärische Anstrengungen konzentrieren.
Israel hat seine Verteidigungsausgaben erhöht und produziert jetzt mehr Militärgüter. Viele Arbeiter wurden zum Militärdienst eingezogen und fehlen nun auf dem zivilen Arbeitsmarkt. Um dies zu finanzieren, hat die Regierung Steuern, einschließlich der Mehrwertsteuer, erhöht.
Die EU ist bereit
Die Europäische Union wird aktuell durch die nachlassende US-Unterstützung für die Ukraine, die Zweifel an der Bündnistreue der USA und die zunehmende Entfremdung Washingtons von Europa zum Handeln gezwungen. Diese Kehrtwende nach Jahrzehnten der US-Unterstützung und die Annäherungsversuche von US-Präsident Donald Trump an den russischen Präsidenten Wladimir Putin sind besonders beunruhigend für die transatlantischen Sicherheitsgarantien.
Die NATO-Mitglieder - von denen 23 Teil der Europäischen Union sind - hatten zuvor Mühe, zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Nun wird selbst diese Zahl als nicht ausreichend angesehen. Am 4. März kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen Verteidigungsplan in Höhe von 800 Milliarden Euro an.
Der Plan trägt den Titel "ReArm Europe" und soll die militärischen Fähigkeiten der EU stärken. Er sieht Kredite in Höhe von insgesamt 150 Milliarden Euro für EU-Mitglieder vor. Die Lockerung der strengen Haushaltsdefizitvorschriften ermöglicht es den Ländern zudem, mehr Geld auszugeben. Die Militärausgaben könnten sich in den nächsten Jahren auf weitere 650 Milliarden Euro belaufen.
Deutschland ändert Verfassung
Deutschland betrat mit der Verabschiedung aktualisierter Haushaltsregeln am 21. März Neuland. Die Regierung wird künftig mehr Spielraum für Rüstungsmaßnahmen haben, da die meisten Verteidigungsausgaben nicht mehr durch Haushaltsdefizitregeln eingeschränkt werden.
Dieser Schritt ist so einschneidend, dass er die Sicherheitspolitik des Kontinents grundlegend verändern könnte. In Berlin beschloss der Bundestag dafür sogar eine Änderung im Grundgesetz des Landes.
Für Deutschland und Europa insgesamt ist die Bereitschaft, mehr Geld auszugeben, ein wichtiger erster Schritt. Penny Naas ist überzeugt, dass auch auf europäischer Ebene ein besserer Zugang zu Energie und mehr Koordination zur Bewältigung des Flickenteppichs nationaler Fähigkeiten erforderlich sind. Gemeinsame Beschaffung sowie gemeinsame Forschung und Entwicklung sollen die Kosten senken.
"Auf politischer Ebene wird viel über die Stärkung der militärischen Fähigkeiten Europas gesprochen, aber das steht noch ganz am Anfang", sagte Naas, fügte aber hinzu: "Europa startet aus einer starken Position mit starken Haushaltsmitteln und Produktionskapazitäten."
Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert.