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Politik

Neuer Schwung in altem Ideologiestreit

Richard A. Fuchs
5. Februar 2018

Noch gilt in Deutschland ein striktes Cannabis-Verbot. Gekifft wird trotzdem. Darum will der Deutsche Bundestag bald über eine Legalisierung abstimmen. Für Furore sorgt, dass selbst Kriminalbeamte für eine Freigabe sind.

Hanfparade 2016 Berlin
Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

André Schulz bringt Bewegung in eine ideologische Debatte, in der sich konservative und linke Politiker seit Jahren feindlich gegenüberstehen. Im Interview mit der "Bild"-Zeitung forderte der Vorsitzende des Bundes der Deutschen Kriminalbeamter (BDK) ein Ende des Cannabis-Verbots in Deutschland. Die bisherige Regel sei "historisch betrachtet willkürlich erfolgt und bis heute weder intelligent noch zielführend". Es habe in der Menschheitsgeschichte noch nie eine Gesellschaft ohne Drogenkonsum gegeben, das müsse man akzeptieren. Schulz forderte den Bundestag auf, die Konsumenten zu "entkriminalisieren". Bislang führt selbst der Besitz von kleinsten Mengen zu einer strafrechtlichen Verfolgung.

Für den Chef der Kriminalbeamten-Gewerkschaft würden so "kriminelle Karrieren erst befördert". Zudem sorge der Schwarzmarkt dafür, dass die Polizei zeitraubende, kostspielige und wenig effektive Maßnahmen gegen Kleinsttäter einleiten müsse. Es gebe bessere Möglichkeiten in der Drogenpolitik als vor allem auf Repression zu setzen, so Schulz weiter. Dazu gehöre, Anreize für einen verantwortungsvollen Drogenkonsum zu schaffen und einen funktionierenden Kinder- und Jugendschutz aufzubauen.

Er bringt Schwung in eine alte Debatte: André Schulz, Chef des Bundes Deutscher KriminalbeamterBild: picture-alliance/dpa/M. Schutt

Applaus kam von zahlreichen Menschenrechtsorganisationen, von denen viele die bisherige Rechtslage für rückwärtsgewandt halten. Auch die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin hat sich der Forderung jüngst angeschlossen.

Grüne: "Regulieren statt kriminalisieren"

"Wir sollten auf unsere Polizeiexperten hören", twitterte Grünen-Politiker Cem Özdemir erfreut. "Besseren Jugendschutz gibt es nur bei Cannabis-Entkriminalisierung". Er hatte die geschäftsführende Regierung von Union und SPD zuletzt in einem Offenen Brief zu einem Richtungswechsel in der Drogenpolitik aufgerufen. Der Schwarzmarkt liege in den Händen der organisierten Kriminalität, beklagen die Grünen. Jugendschutz sei in diesem Dunkelfeld nicht durchsetzbar. Noch im Februar wollen die Grünen im Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf zur Abstimmung bringen.

Unter dem Motto "Regulieren statt Kriminalisieren" fordern sie, die offensichtlich wirkungslose Verbotspolitik zu beenden. Laut des Gesetzesentwurfs sollen Erwachsene über 18 Jahren bis zu 30 Gramm Cannabis besitzen und konsumieren können - straffrei. Anbau, Verarbeitung, Transport und Verkauf von Cannabis soll nach dem Willen der kleinsten Bundestagsfraktion gesetzlich geregelt und mit Meldepflichten versehen werden. Der Verkauf solle über staatlich zugelassene Cannabis-Fachgeschäfte abgewickelt werden, so der Vorschlag.

Die Liberalen im Bundestag hatten zuletzt für eine kleine Lösung geworben. Sie wollen Cannabis im Rahmen von Modellprojekten im streng kontrolliertem Rahmen freigeben. Auch über diesen Gesetzesvorschlag, der von Grünen und Linkspartei prinzipiell unterstützt wird, soll noch im Februar abgestimmt werden. Der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte, erklärte dazu: Modellprojekte seien kleine Schritte nach vorne, "deshalb ist es gut, sie zu machen".

Dass etwas geschehen muss, scheint indes allen politischen Kräften in Deutschland klar. Der Grund: Die Zahl der Cannabis-Konsumenten ist seit vielen Jahren gleichbleibend hoch – trotz der Androhung strafrechtlicher Verfolgung. Schätzungen zufolge konsumieren derzeit rund vier Millionen Menschen hierzulande regelmäßig "Gras". Das sind vier Millionen potentieller Strafverfahren. Erhältlich ist die Droge besonders in Ballungsgebieten an beinahe jeder Straßenecke, obwohl das laut Betäubungsmittelgesetz eigentlich ausgeschlossen sein sollte.

"Anders als Bill Clinton habe ich zwar auch inhaliert, aber es hat bei mir nicht gewirkt, deshalb bin ich beim Gerstensaft geblieben", sagte der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, beim Grünen-Parteitag in Hannover. Bild: picture-alliance/dpa/M. Murat

Nur bei der medizinische Nutzung von Cannabis gab es Änderungen: Im März 2017 hatte der Bundestag der Regelung zugestimmt, wonach bestimmte Patienten Cannabis auf Rezept als Schmerzmittel bekommen können. Bundesärztekammer und auch die Ärztegewerkschaft "Marburger Bund" warnen jedoch vor weiteren Legalisierungsschritten. "Dauerhafter Gebrauch kann abhängig machen", sagte ein Sprecher des Marburger Bunds gegenüber der DW. Stark angestiegene THC-Gehalte der verwendeten Pflanzen hätten die Suchtgefahr zusätzlich erhöht, weshalb Kiffen nicht verharmlost werden dürfe. "Eine Legalisierung könnte den Weg für eine Ausbreitung des Konsums bahnen und die Anzahl der behandlungsbedürftigen Konsumenten erhöhen", so der Sprecher weiter.

Und wieder geht es ums Kiffen im Deutschen Bundestag. Im Gebäude herrscht allerdings ein striktes Rauchverbot. Bild: Colourbox/B. Bechard

Union und SPD wollen von Entkriminalisierung nichts wissen

In den laufenden Koalitionsverhandlungen für eine Neuauflage der Großen Koalition spielt das Thema Cannabis-Legalisierung eine untergeordnete Rolle. Allerdings zeigen sich insbesondere die Sozialdemokraten offen für einen Politikschwenk. Frank Schwabe, SPD-Sprecher für Menschenrechte, twitterte: "Die Kriminalisierung des Cannabiskonsums ist innen- wie gesundheitspolitisch falsch".

Gegenwind kommt dagegen aus der konservativen Politikecke. "Der Staat kann nicht als Dealer auftreten", verwirft der bayrische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) die Vorschläge von Grünen und FDP. Angesichts des bunten Meinungsspektrums, auch unter den potentiellen Regierungsparteien, sprechen sich Grünen-Politiker für eine Aufhebung des Fraktionszwangs bei der bevorstehenden Abstimmung im Parlament aus. Umgesetzt werden dürfte dies allerdings nicht.  

Auch die Liberalen wollen einen "liberalen" Umgang mit dem Kiffen. Bild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Europäischer Trend: Auch Frankreich will Cannabis-Regeln lockern

International gewinnt die Legalisierungs-Debatte rund um Cannabis allerdings an Fahrt. Bereits vor knapp sieben Jahren forderte die "Global Commission on Drug Policy" um die früheren Spitzenpolitiker Kofi Annan und Javier Solana eine radikale Wende in der Drogenpolitik. Dazu zählte das Gremium auch eine Entkriminalisierung von weichen Drogen. Und selbst beim europäischen Nachbarn Frankreich, einst besonders hart im Umgang mit Drogenkriminalität, sollen Gesetze angepasst werden. Das französische Innenministerium kündigte an, Cannabis-Besitz künftig nicht mehr mit Haftstrafen von bis zu einem Jahr zu ahnden. Vielmehr sollen die Behörden nur noch Bußgelder verhängen können, über die im Einzelfall entschieden werde. Zwar plant Frankreich damit keine vollständige Entkriminalisierung. Aber der bislang besonders rigide Umgang soll deutlich laxer werden. Präsident Macron will damit ein Wahlkampfversprechen umsetzen, um Polizei und Gerichte von Kleinstdelikten zu entlasten. Eine Entscheidung, die auf andere Länder ausstrahlen dürfte. Für den Bundesvorsitzender der Kriminalbeamten, André Schulz, steht deshalb fest: "Cannabis, so meine Prognose, wird in Deutschland nicht mehr allzu lange verboten sein."

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