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"Kriminalität macht an Grenzen nicht halt"

Kersten Knipp4. Februar 2016

Der Vizevorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, plädiert für eine engere Zusammenarbeit der Polizei auf europäischer Ebene. Nur dann seien Erfolge wie die aktuellen Festnahmen möglich.

Polizisten bei einer Razzia gegen Islamisten am 04.02.2016 in Berlin (Foto: dpa)
Bild: Reuters/P. Zinken

DW: Herr Fiedler, am Donnerstag sind vier mutmaßliche Terroristen verhaftet worden. Haben diese Festnahmen Sie überrascht?

Sebastian Fiedler: Idealerweise sollen ja diese Festnahmen überraschen, weil die Ermittlungen natürlich in weiten Teilen verdeckt ablaufen. Aber natürlich haben wir erhebliche Ermittlungskapazitäten in gerade diesen Bereich überführt. Die fehlen uns anderswo.

Wie sehen Sie generell die polizeilichen Kapazitäten im Angesicht der Flüchtlingskrise?

Der Bundesinnenminister hat am Mittwoch sehr gut noch einmal deutlich gemacht, dass es bestimmte Flüchtlingsgruppen gibt, die insbesondere aus den Kriegsgebieten kommen, die aus Sicht der Kriminalpolizei nicht ganz so viele Sorgen bereiten. Syrer sind in der Regel seltener kriminell. Probleme hingegen bereiten die Zuwanderer, die aus der Balkanregion, aus Georgien oder den nordafrikanischen Staaten kommen. Die treten überproportional in Erscheinung und machen uns bei der Kriminalpolizei leider gehörig Arbeit. Die Ressourcen sind da mehr als begrenzt.

Wie beurteilen Sie die Terrorgefahr insgesamt?

Das ist ein komplexes Gefüge, da wir uns die gesamte Sicherheitsarchitektur anschauen müssen - etwa die Geheimdienste. Im aktuellen Fall haben ja Hinweise des Verfassungsschutzes eine relevante Rolle gespielt. Gerade in diesem Bereich der Kriminalität vermisse ich eine Diskussion über die europäische Zusammenarbeit. Islamistischer Terrorismus und organisierte Kriminalität, Geldwäsche, Wirtschaftskriminalität: Da gibt es kein Verfahren mehr, das ausschließlich auf Deutschland beschränkt wäre. Dabei bleibt die Polizei immer noch an den Schlagbäumen der Schengen-Staaten stehen, während ansonsten Freizügigkeit herrscht. Wir wünschen uns eine europäische Strafprozessordnung für schwerwiegende Delikte, operative Befugnisse für Europol, einen echten europäischen Staatsanwalt und eine Anklageinstanz beim Europäischen Gerichtshof. Zudem brauchen wir Personal, in quantitativer Hinsicht ebenso wie in qualitativer.

Sebastian FiedlerBild: picture alliance/Eventpress Stauffenberg

Was heißt "qualitativ" in dieser Hinsicht?

Derzeit werden wieder mehr Polizisten auf die Straße geschickt. Das ist aber nur eine vermeintliche Sicherheit in den Kriminalitätsbereichen, die uns tatsächlich zu schaffen machen. Denn kriminelle Banden zerschlagen wir nicht mit dem Kollegen auf der Straße, auch wenn der Streifendienst ein sehr komplexer Beruf ist. So brauchen wir etwa Leute, die sich insbesondere für die kriminalpolizeiliche Arbeit interessieren. Da ist die Personalpolitik sehr veraltet. Auch Migranten mit entsprechenden Fremdsprachenkenntnissen können wir sehr gut gebrauchen. Die Berufsbilder bei der Polizei haben sich dermaßen spezialisiert, dass wir Wert auf eine gesteigerte Qualität legen müssen.

Wie sehen Sie die Zusammenarbeit mit den Gerichten?

Differenziert. Wir pflegen eine sehr gute Zusammenarbeit. Unser erster Ansprechpartner sind die Staatsanwälte. Gerade in größeren Verfahren arbeiten wir eng zusammen. Probleme entstehen bei den Staatsanwaltschaften und den Gerichten mindestens so stark wie bei uns. Denn auch die Staatsanwälte haben ihre Tische voll. Nicht selten wollen sie aus der Not heraus Verfahren schnell vom Tisch haben und stellen sie deshalb früher ein als das mit intensiveren Ermittlungen noch möglich wäre. Es gibt zu wenige Richter - auch das wirkt sich aus. Entsprechende Terminierungen etwa sind gar nicht möglich. Das wird am augenfälligsten in Fällen von Korruption und Wirtschaftsqualität. Da vergehen teilweise Jahre bis zu einer Hauptverhandlung. Das führt dann dazu, dass dies in der Strafbemessung der Täter entsprechend berücksichtigt wird. Wir Polizisten wünschen uns, dass die Justiz in die kriminalpolitische Diskussion enger eingebunden wird. Dazu gehört auch die Diskussion darüber, wie Verfahren in der Bundesrepublik besser zusammengetragen werden können. Denn Kriminalpolitik funktioniert nur im Zusammenspiel zwischen Polizei und Justiz.

Innenminister de Maizière sprach diese Woche davon, man habe sich bislang wohl zu sehr auf die freundlichen Seiten des Polizeiberufs konzentriert. Nun müsse man sich womöglich wieder auf die weniger schönen Aspekte konzentrieren. Wie sehen sie das?

Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Zum einen hat er zweifellos recht. Die immer wieder aufkeimenden Debatten, in denen Polizisten als Personen erscheinen, die in die Freiheitsrechte der Bürger eingreifen, waren häufig von einer Abwehrhaltung dem Staat gegenüber geprägt. Und der Innenminister hat recht damit, dass man nun erkennen muss, dass die Polizei erstens für ein gerechtes und soziales Gesellschaftsgefüge geradestehen muss. Darauf haben wir, haben ich und jeder meiner Kollegen einen Eid auf die Verfassung geleistet. Und jeder geht mit einem entsprechenden Berufsethos in den Alltag.

Aber?

Aber der Minister und seine Kollegen in den Ländern können sich hier keinen schlanken Fuß machen. Denn zum vollständigen Bild der Wahrheit gehört auch, dass auch die Politik ein Stück Verantwortung trägt. Denn in den letzten 20 Jahren hat die Politik die Kriminalitätslage zu positiv dargestellt. Dies oft vor dem Hintergrund, ihre eigene Amtszeit als erfolgreich darzustellen. Das hat oft zu dem Problem geführt, dass derselbe Innenminister, der heute erklärt, warum die Statistik gar nicht so schlimm ist oder sogar erfolgreich aussieht, am nächsten Tag seinem Finanzminister nicht erklären kann, warum er in Wahrheit aber doch mehr Leute bräuchte. Ich nenne das ein sicherheitspolitisches Paradoxon. Diesem muss sich die Politik stellen - und deutlich machen, dass sie den Hebel umlegt.

Sebastian Fiedler ist Vizevorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter.

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