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Politik

Brasilien: Kriminelle kämpfen mit US-Waffen

Anabel Hernández
11. September 2019

Es ist ein Skandal, woher die Organisierte Kriminalität in Brasilien ihre Waffen bezieht und wer alles davon weiß. Der dritte Teil einer Serie unserer Kolumnistin Anabel Hernández über die Drogenmafia in Brasilien.

USA Waffe Kalaschnikow AK47
Bild: Getty Images/G. Frey

Aus den USA bezogene schwere Maschinengewehre ermöglichen es kriminellen Banden und Milizen in Brasilien den Drogenmarkt des Landes zu kontrollieren, der inzwischen der zweitgrößte Kokainmarkt der Welt ist. Im vergangenen Jahr zählte Brasilien 60.000 Drogentote.

Laut dem brasilianischen Forscher und Drogenexperten Gabriel Feltran waren 2018 in Brasilien 94 Prozent aller Opfer von vorsätzlichen Tötungen Männer. 72 Prozent von ihnen waren Schwarze und 71 Prozent aller Opfer starben durch Schusswaffen.

Ein wenig beachtetes Detail ist die Tatsache, dass die meisten der von den kriminellen Banden in Brasilien benutzten Gewehre AK-47 und AR-15 nicht aus den beiden am nächsten gelegenen Konfliktherden stammen. Das heißt, sie kommen weder aus Venezuela noch von den FARC-Rebellen Kolumbiens, sondern aus den Vereinigten Staaten.

Profitables Geschäft

Nach offiziellen Angaben der brasilianischen Regierung, stammen 24 Prozent der illegalen Waffen, die innerhalb der Gruppen der Organisierten Kriminalität kursieren, aus den USA. Von den Schnellfeuerwaffen wie der AR-15 und AK-47 sind es sogar 100 Prozent. Bei polizeilichen Beschlagnahmungen hat man unter anderem Waffen von in Florida ansässigen Händlern wie Safety Harbor Firearms und Golden State Arms gefunden.

Nach allen Informationen, die ich sowohl von der brasilianischen Regierung als auch aus offenen Kriminalakten in den Vereinigten Staaten zusammentragen konnte, vollzieht sich dieser Waffenhandel von Nord- nach Südamerika recht problemlos. Außerdem ist er auch sehr profitabel. Ein leistungsstarkes Gewehr wie ein AR-15, das Safety Harbor Firearms in den USA für 700 bis 1.200 Dollar verkauft, wird in Brasilien für 15.000 bis 20.000 Dollar auf dem Schwarzmarkt gehandelt.

DW-Kolumnistin Anabel Hernández

"Wie ist es möglich, dass eine einzige Person mehr als tausend Waffen aus den Vereinigten Staaten auf dem Luftweg nach Brasilien bringen kann?", fragt sich der Chef der brasilianischen Bundespolizei in meinem Beisein. Er meint Frederik Barbieri, einen brasilianischen Staatsbürger, der zugleich einen US-Pass besitzt und in Florida lebt. Am Waffenhandel nach Brasilien hat er über drei Millionen Dollar verdient.

Die Verwunderung des Polizeichefs weckte meine Neugier und ich ging dem Fall Barbieri nach. Ich stieß auf die zugängliche Strafakte am Bundesgericht für den südlichen Bezirk von Florida. Barbieri gab sich selbst den Titel "Herr der Waffen". Zwischen 2013 und 2018 verkaufte er eine breite Auswahl schwerer Handfeuerwaffen nach Brasilien. Grundsätzlich wurden die Seriennummern von den Waffen entfernt und diese dann zusammen mit Munition und Zubehör in Heißwasserkochern versteckt, die dann über eine Scheinfirma nach Brasilien exportiert wurden. Mit Maschinen der Fluggesellschaft Air Com International kamen sie stets am Flughafen von Rio de Janeiro an. Über drei Mittelsmänner verkaufte Barbieri die Waffen dann an kriminelle Banden in den Favelas von Rio de Janeiro. Die Erlöse wurden über einen Strohmann nach Florida transferiert. Mitarbeiter des Zolls waren ebenso eingebunden wie ein hoher brasilianischer Beamter, den Barbieri erpresste, um den Waffenhandel nicht auffliegen zu lassen.

Lasche Exportkontrollen

Weil sie Drogenhandel und die Einfuhr von Waffen verhindern will, kontrolliert die US-Regierung normalerweise alle Import-Waren sehr streng. Demgegenüber scheint es ihr relativ egal zu sein, was aus dem Land heraus exportiert wird. Entsprechend waren es auch nicht US-Behörden, die auf Barbieri aufmerksam wurden, sondern die brasilianische Bundespolizei, die Mitte 2017 eine von Barbieris Waffenlieferungen auf dem Flughafen von Rio de Janeiro entdeckte. Die Lieferung von 60 AK-47 und AR-15 Sturmgewehren erwies sich bald als die Spitze eines Eisbergs. Die brasilianische Regierung bat die USA um Hilfe bei der folgenden Untersuchung.

"Im Rahmen der abgehörten Telefongespräche erklärte der Beschuldigte, dass die Schusswaffen an Einzelpersonen in den Favelas verkauft wurden. Bezahlt wurden die Verkäufe in kleinen Stückelungen stets in bar, da die Waffen mit Drogengeld gekauft wurden", heißt es in der Anklageschrift. Das Geld wurde auf Konten bei der Bank of America eingezahlt.

Am 1. März 2018 stellte sich Barbieri der US-Justiz. Von den neun Anklagepunkten, die ihm vorgeworfen wurden, zog die Staatsanwaltschaft am Ende sieben zurück. Barbieri wurde wegen "versuchten Waffenexports" und "Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten" zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt.

"Fast and Furious"

Das schockierendste an diesem Fall ist, dass die mir vorliegenden Gerichtsdokumente belegen, dass der Lieferant, welcher Barbieri über vier Jahre lang in den USA mit Waffen versorgte und von dem er mindestens 1.000 AK-47 und AR-15-Gewehre gekauft hatte, ein Informant der US-Behörden war!

Dies erinnert daran, dass die Obama-Regierung zwischen 2009 und 2011 über das Amt für Alkohol, Tabak, Schusswaffen und Sprengstoffe (ATF) während einer der schlimmsten Zeiten des Krieges gegen die Drogenkartelle einen Waffenhandel nach Mexiko zuließ. Der Deckname des geheimen Programms war "Fast and Furious".

Die US-Behörde erlaubte es lizensierten Waffenhändlern, mehr als 2.000 Waffen auf illegale Weise auf den Markt zu bringen, die dann an mexikanische Drogenkartelle weiterverkauft wurden. Dieser Waffenhandel wurde von den US-Behörden jahrelang überwacht, aber nicht gestoppt. Angeblich wollte man die Wege des Waffenschmuggels verfolgen und in Erfahrung bringen, wie diese verlaufen. Dass diese Waffen in Mexiko Tod und Gewalt brachten, schien niemanden zu interessieren. Das änderte sich erst, als 2010 der US-Grenzbeamte Brian Terry mit einer dieser Waffen getötet wurde. Plötzlich wurde "Fast and Furious" zu einem internationalen Skandal.

Die Journalistin und Buchautorin Anabel Hernández berichtet seit vielen Jahren über Drogenkartelle und Korruption in Mexiko. Nach massiven Morddrohungen musste sie Mexiko verlassen und lebt seitdem in Europa. Für ihren Einsatz erhielt sie beim Global Media Forum der Deutschen Welle in Bonn den DW Freedom of Speech Award 2019.

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