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Politik

Krise in Bolivien spitzt sich zu

Johan Ramírez
6. November 2019

Der schon über zwei Wochen währende Konflikt zwischen Regierung und Opposition hat für den Staat inzwischen Kosten in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar verursacht. Ist Bolivien der nächste große Krisenherd in Lateinamerika?

Bolivien Protest in Santa Cruz City
Bild: AFP/D. Walker

Bolivien erlebt derzeit eine tiefe politische Krise, die jetzt schon in die dritte Woche geht. Präsident Evo Morales wurde am 20. Oktober zum Sieger der Präsidentschaftswahlen erklärt, was ihm eine vierte Amtszeit in Aussicht stellt. Die Opposition erkennt das Ergebnis der Auszählung allerdings nicht an und leistet starken Widerstand. Diese Polarisierung hat sich in den letzten Wochen so weit verschärft, dass kaum noch eine von beiden Seiten getragene Lösung möglich scheint.

Die anhaltenden Proteste haben auch ökonomische FolgenBild: Getty Images/AFP/D. Walker

"Was wir hier sehen, ist der Kampf zwischen einer geschwächten Regierung, die keinen Schritt zurückweichen will, und einer Opposition, die gerade wegen der großen Unterstützung in der Bevölkerung ihre Chance wittert. Doch derzeit eskaliert die Situation in einem Maße, das eine Lösung immer mehr in die Ferne rückt", erklärt der politische Analyst Jorge Abastoflor im Gespräch mit DW.

Wirtschaftliche Kosten der Proteste

Für den Wirtschaftsexperten Gonzalo Chávez sitzt derzeit die Regierung am längeren Hebel: "Sollte das Chaos größer werden, kann sie behaupten, dass die finanziellen Verluste durch die Proteste und Streiks auf Kosten der Opposition gehen. Das heißt, die Zeit spielt gegen die Opposition und die Bürgerkomitees im Land", betont Chávez.

Laut einem Bericht der nationalen Industriekammer hat das Land aufgrund der angespannten Situation bereits Verluste in Höhe von rund zehn Milliarden Pesos Bolivianos (rund 1,5 Milliarden Dollar) zu verkraften. "Die wirtschaftlichen Folgen sind gravierend. Ein Unternehmen, das wegen der Streiks und Proteste vorübergehend schließen muss, generiert ja weiterhin Kosten in Form von Mieten, Löhnen und anderen Verpflichtungen. Die meisten Unternehmen in Bolivien sind in Familienbesitz und haben keine finanziellen Reserven. Wenn sie ihre Produkte und Dienstleistungen nicht anbieten können, müssen sie für immer schließen", sagt Rodolfo Ritcher, Geschäftsführer der Deutsch-Bolivianischen Industrie- und Handelskammer.

Kritik an der OAS

Im Moment wartet die Bevölkerung mit Spannung darauf, wie sich die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) äußern und positionieren wird. Die OAS prüft derzeit, ob der Sieg von Evo Morales rechtmäßig ist, oder ob, wie von der Opposition behauptet, eine Wahlfälschung vorliegt.

Präsident Evo Morales ist von seiner Wiederwahl überzeugt. Bild: Reuters/Bolivian Presidency

"Wir sollten aber nicht leichtgläubig sein, und meinen, die Überprüfung durch die OAS wäre ein transparenter Prozess und dass man uns am Ende die reine Wahrheit sagen wird", führt Gonzalo Chávez aus. "Die OAS ist ein Zusammenschluss von dreißig Ländern und das Urteil dieser Organisation wird das Ergebnis einer Interessensabwägung dieser Länder gegenüber Bolivien sein. Die Leute glauben, dass die Überprüfung des Wahlergebnisses durch die OAS der echten Wahrheitsfindung dient, dabei liegt die Priorität eindeutig bei den multilateralen Interessen", so Chávez.

Die Macht der Bürgerkomitees

Andere Beobachter sind nicht so pessimistisch und sehen in der Überprüfung des Wahlergebnisses die einzige Möglichkeit, eine der wichtigsten Forderungen der Opposition zu erfüllen: die Annullierung der Präsidentschaftswahl.

"Sollte die OAS zum Schluss kommen, dass die Wahl manipuliert wurde, ändert sich alles. In diesem Falle wäre klar, dass die Wahlen vom 20. Oktober angesichts nachgewiesener Unregelmäßigkeiten nichtig wären. Und damit wäre die Wiederwahl von Evo Morales wirkungslos", so Jorge Abastoflor.

Carlos Mesa (rechts) hofft auf eine Annullierung der Wahl. Bild: picture-alliance/AP Photo/J. Karita

Nach über zwei Wochen intensiver innenpolitischer Auseinandersetzungen scheint sich ein Wandel im traditionellen Machtgefüge abzuzeichnen: Der aktuell von den Regierungsgegnern geführte Kampf hat keine politische Partei an ihrer Spitze. Es sind die sogenannten Bürgerkomitees, die hinter den zahlreichen und täglichen Protestaktionen im Land stehen. Der Gegenkandidat von Evo Morales in den Präsidentschaftswahlen, Carlos Mesa, ist zwar derjenige, der sich in den Wahlen dem Präsidenten entgegengestellt hat, aber er kann weder ausreichende Popularität, noch Unterstützung oder Glaubwürdigkeit aufweisen, um die Führung innerhalb der Opposition zu übernehmen. Die Bürgerkomitees hingegen verfügen über eine breite Unterstützung im Land und ihre unverbrauchten Anführer könnten den Weg aus der politischen Krise weisen.

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