Krisenpolitik: "Keine unabgestimmten Schritte"
21. September 2017Zwei große Krisenherde bestimmen die internationalen Debatte rund um die UN-Vollversammlung in dieser Woche: der Konflikt mit Nordkorea und die Zukunft des Atomabkommens mit dem Iran. Dabei beziehen der US-Präsident und die deutsche Bundeskanzlerin fast diametral entgegengesetzte Positionen. Es zeigt sich ein Grund-Gegensatz: Drastische Drohungen hier, die Beschwörung von Dialog da.
Bei seinem ersten Auftritt vor den Vereinten Nationen am East River legte US-Präsident Donald Trump nach. Seine apokalyptisch anmutende Ausmalung von "Feuer, Wut und Macht" gegenüber Pjöngjang von Anfang August verschärfte er nun mit der Ankündigung, die USA stünden bereit, das Reich von Kim Jong-Un "vollständig zu zerstören". Den Diktator bezeichnete er als "Raketen-Mann auf einer Selbstmord-Mission".
"Absolut unangemessen"
Überraschend deutlich distanzierte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel von diesen Ausführungen Trumps (das Artikelbild zeigt beide beim G20-Gipfel im Juli in Hamburg). "Ich bin gegen eine solche Drohung und muss auch sagen, dass ich für mich und für die Bundesregierung sage: Wir halten jede Art von militärischer Lösung für absolut unangemessen und wir setzen auf diplomatische Bemühungen", sagte Merkel im Interview der Deutschen Welle. Sie halte alles andere als Sanktionen "im Zusammenhang mit Nordkorea für falsch, und deshalb gibt es hier einen klaren Dissens mit dem amerikanischen Präsidenten".
Bemerkenswert ist, dass Merkel - noch bevor sie ausdrücklich danach gefragt werden konnte - von der Frage einer politischen Lösung des Nordkorea-Konflikts auf den Iran kommt. Denn auch das Thema Iran und das 2015 erreichte Atomabkommen kam in Trumps Rede bei der UN-Versammlung mit Macht wieder vor. Im Raum steht, ob sich die US-Regierung in einem Monat gegenüber dem Kongress negativ dazu äußert, ob sich der Iran nicht mehr an die Auflagen aus dem Abkommen hält. Trump, der das Abkommen als "schlechten Deal" ansieht, ließ das offen. Sollte die US-Regierung zu dieser Auffassung kommen, wäre das de facto das Ende des Abkommens.
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu wirbt seit Monaten für eine Aufkündigung des Abkommens. Netanjahu, daheim innenpolitisch unter Druck und mit Korruptionsvorwürfen belastet, warb dafür gegenüber US-Gesprächspartnern ebenso wie beim russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Auch zu diesem von ihr selbst aufgebrachten Thema Iran äußerte sich Merkel ausführlich: Sie halte das Atomabkommen mit Teheran "für richtig", es sei "nach wie vor für besser, als kein Abkommen zu haben". Die Verhandlungen hätten "viele Jahre gedauert, aber zum Schluss doch eine Eingrenzung der Möglichkeiten des Iran zu einer nuklearen Aufrüstung gebracht".
Und die Außenminister?
Auf der Ebene der Außenminister geht die Kontroverse bereits weiter. Trumps Außenminister Rex Tillerson sagte gut anderthalb Tage nach Trumps Rede, Washington habe "erhebliche Probleme" mit dem Atomabkommen. Aber er räumte ein, dass Teheran die Auflagen des Abkommens bislang erfülle. Tillerson äußerte sich nach einem Treffen mit seinen Amtskollegen aus dem Iran, Deutschland, Russland, China, Frankreich und Großbritannien - diese sieben Länder hatten das Abkommen mit verhandelt und unterschrieben.
Trotzdem bleibt bemerkenswert, dass sich Tillerson anders äußert als sein Chef. Auch nach Trumps Ausstieg aus dem UN-Klimaabkommen Anfang Juni hatte sich der Außenminister anders geäußert - und noch ist letztlich nicht absehbar, wie sich die USA langfristig verhalten werden. Und noch jemand liest Trump anders als die Beobachter in Europa: Die amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley, die seit ihrem Amtsantritt am East River betont auf Dialog setzt und multilateral arbeitet, sagte, Trumps Rede sei keine Absichtsbekundung gewesen, "dass er aus dem Atomabkommen mit der islamischen Republik aussteigen will". Seine Rede sei ein klares Signal, "dass er mit dem Abkommen nicht zufrieden ist".
"Wir haben jedes Interesse, das Abkommen (…) nicht zu gefährden und erst recht nicht aufzukündigen - nicht jetzt und nicht in der Zukunft", erklärte Deutschlands Chef-Diplomat Sigmar Gabriel. In diesem Sinne hatte sich auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wenige Stunden nach Trumps Rede in der UN-Generalversammlung geäußert. Wie viele im Westen teilen sie wohl die Befürchtung, welche Signalwirkung ein Scheitern des Atomabkommens mit Teheran hätte - zum Beispiel für Nordkorea.
Gabriel liegt - was er in diesen Tagen des Wahlkampfes nicht immer tut und nicht immer will - auf einer Linie mit der Kanzlerin. Merkel, die einzelne Beobachter vor Jahren schon in der Rolle einer UN-Generalsekretärin sahen, erteilt jedem verbalen Säbelrasseln eine Absage und beschwört ihr Mantra des Dialogs und der internationalen Diplomatie - nun auch beim Thema Iran, beim Thema Nordkorea. Deutschland stehe bereit, auch im Streit mit Nordkorea "Verantwortung zu übernehmen" - als Teil der EU und in gemeinsamer Absprache. Auf die Frage, ob sie selbst auch Kim Jong-Un auch anrufen würde, meinte sie, sie habe "nicht vor, unabgestimmte Schritte zu machen. Das sollten wir auch nicht tun, das würde die internationale Staatengemeinschaft schwächen".
Die Rolle der USA im Wandel
Sicher, auf deutscher Seite sind derzeit viele Äußerungen vom Wahlkampf geprägt. Und zum Bundestags-Wahlkampf gehört in Deutschland gerne mal ein Zug Anti-Amerikanismus; auch 2013, zu Zeiten des Demokraten Barack Obama im Weißen Haus, klang das durch, vor allem aber 2002 beim Engagement von Kanzler Gerhard Schröder gegen den US-geführten Feldzug gegen den Irak. Aber offen bleibt, ob die durchaus dramatischen Kontroversen des Westens in diesen Tagen für eine Entfremdung, eine neue Spannung oder eine Abkehr von NATO-Grundsätzen stehen. Politische Beobachter in Berlin bezweifeln das.
Sie sehen aber durchaus einen Wandel in der weltweiten Rolle der USA. Einen Wandel, auf den Merkel bereits vor Monaten in öffentlicher Rede erkennbar reagiert habe - da bezweifelte sie nach dem G7-Gipfel auf Sizilien die Verlässlichkeit der USA. "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt", sagte sie bei ihrer ersten öffentlichen Rede in Deutschland nach ihrer Rückkehr. "Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen." Der große Bruder geht auf Distanz… Das Auftreten diverser Europäer gegenüber Trump in diesen Tagen verdeutlicht das nur.