Krisenzentrum einsatzbereit
13. August 2013Die Zentrale in einem EU-Gebäude im Brüsseler Europaviertel ist unscheinbar: Ein Raum von vielleicht 50 Quadratmetern Fläche mit Glaswänden. Drumherum liegen Büros. Auf einer Seite eine Reihe von elektronischen Landkarten und Fernsehbildschirmen. Im Moment sitzen sieben Mitarbeiter des Zentrums an Computern. Das sind etwas mehr als sonst. Denn im Süden Europas wüten Waldbrände. Das Krisenzentrum hat ein Hilfeersuchen von Bosnien-Herzegowina bekommen, weil das Land mit den Bränden allein nicht fertig wird. Durch Vermittlung hat Bosniens Nachbarland Kroatien zwei Löschflugzeuge geschickt. Bilder von ihrem Einsatz sind auf einem der Bildschirme zu sehen.
Mitgliedsstaaten haben letztes Wort
Peter Billing ist stellvertretender Leiter des ERC (Emergency Response Centre) oder, wie es offiziell auf deutsch heißt, des Notfallabwehrzentrums. Er spricht von drei Hauptaufgaben: Die Mitarbeiter beobachten erstens Naturphänomene weltweit, um möglichst früh auf mögliche Gefahren durch Waldbrände, Überschwemmungen oder Erdbeben aufmerksam zu machen. Auch technische Katastrophen gehören dazu. Zweitens sammelt das Zentrum Informationen über Katastrophen und Krisen und tauscht sie mit den Mitgliedsstaaten aus, damit diese die richtigen Gegenmaßnahmen ergreifen können. Und drittens koordiniert das Zentrum die Einsätze, um zum Beispiel Doppelarbeit zu verhindern.
Das letzte Wort bei jedem Einsatz hat jedoch immer der Mitgliedsstaat. Doch längst nicht bei jeder Naturkatastrophe oder jedem größeren Unfall wird das Brüsseler Zentrum aktiv. Kriterium ist, dass der betroffene Staat überfordert ist. Je nach Staat kann diese Schwelle sehr unterschiedlich hoch sein sein. Jährlich sind es etwa 30 Einsätze, die von Brüssel aus koordiniert werden.
Jede Minute zählt
Zwar hat die EU mehr als zehn Jahre Erfahrung mit dieser Koordination. Doch mit der Einrichtung des ERC im Mai dieses Jahres wurde die Arbeit deutlich aufgewertet, auch personell. "Derzeit haben wir noch ein Standby-System mit zwei Kollegen, die auf Abruf ins Büro kommen müssen", so Peter Billing. So ist das Zentrum bereits jetzt jederzeit erreichbar. Doch da bei der Bekämpfung von Katastrophen jede Minute zählt, wird vom 1. Oktober an umgestellt "auf eine Präsenz von mindestens zwei Kollegen rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr".
Wer hier sitzt, sagt Billing, kann in Sekundenschnelle die nationale Katastropenschutzzentrale von jedem der 32 Mitgliedsstaaten erreichen: "Wenn Sie einen der Telefonhörer in die Hand nehmen, können Sie auf einen Knopf drücken und Sie haben die Finnen dran oder die Franzosen. Das ist alles so programmiert, um im Bedarfsfall sehr schnell und effizient reagieren zu können." Aber Moment mal: 32 Staaten? Die EU hat mit dem Beitritt Kroatiens doch nur 28 Mitglieder. Stimmt, aber Island, Norwegen, Liechtenstein und die frühere jugoslawische Teilrepublik Mazedonien haben sich dem System angeschlossen.
Das System ist noch verbesserungsfähig
Und die Einsätze sind keineswegs auf Europa beschränkt. Jeder Staat der Welt kann Unterstützung anfordern. Sogar der größte Teil der Einsätze findet außerhalb der Europäischen Union statt. Eine Schwäche des Systems sieht Peter Billing noch darin, dass es auf freiwilligen Beiträgen der Mitgliedsstaaten je nach Situation beruht. "Das kann zu Problemen führen, weil wir nie vorhersagen können, ob wir ein Hilfsersuchen tatsächlich bedienen können."
Beim Beispiel Waldbrand in Bosnien konnte das Zentrum also die beiden kroatischen Löschflugzeuge nicht von vornherein einplanen. Deswegen schlägt das ERC auch vor, dass die Staaten einen Pool mit Einsatzkräften, Experten und Gerät bilden, auf den das Brüsseler Zentrum jederzeit zurückgreifen kann. Auch das würde wertvolle Zeit einsparen.
Nachts um drei aus dem Bett geklingelt
Insgesamt arbeiten etwa 40 Leute im Brüsseler Krisenzentrum. Sie kommen aus den unterschiedlichsten europäischen Ländern, schon um verschiedene Sprachen und regionale Besonderheiten abzudecken. Ein Teil von ihnen sind Kommissionsbeamte, andere werden von den Einzelstaaten für eine bestimmte Zeit entsandt. Und auch beruflich kommen sie aus unterschiedlichen Bereichen. Es sind Seismologen darunter, Geographen, Geologen, aber auch Sozialwissenschaftler oder, wie Peter Billing, Politikwissenschaftler. Wichtig ist ihm, dass sie alle mit ihren Kontakten in ihre Länder ein großes Netzwerk bilden.
Die Arbeit findet Peter Billing manchmal anstrengend, aber sie gibt ihm auch eine große innere Befriedigung: "Nachts um drei aus dem Bett geklingelt zu werden, ist nicht unbedingt so lustig. Aber wenn man das Gefühl hat, man kann Opfern von Katastrophen helfen, man kann dazu beitragen, dass Leben gerettet wird, dass auch Kulturgüter geschützt werden, dann denke ich, ist es eine sehr befriedigende Tätigkeit."