Schreiben in einfacher Sprache: Kristof Magnusson
27. Januar 2017Texte ohne komplexe Struktur, mit kraftvollen Verben statt klobigen Hauptwörtern, das ist einfache Sprache. Ein Pionierprojekt des Frankfurter Literaturhauses möchte beweisen, dass Literatur nicht unbedingt schwere Kost sein muss. Sie kann, wenn sie bestimmten Regeln folgt, auch von Menschen verstanden werden, die sich mit dem Lesen schwer tun. Rund 13 Millionen Menschen sind das nach Schätzungen, allein in Deutschland. Immer mehr Projekte gibt es, um Menschen den Zugang zu Informationen zu erleichtern. Aber auch für Deutschlerner kann einfache Sprache interessant sein.
Der deutsch-isländische Schriftsteller und Übersetzer Kristof Magnusson ist ein solcher Pionierautor. Für das Frankfurter Projekt hat er einen Krimi in einfacher Sprache geschrieben.
Deutsche Welle: Herr Magnusson, Sie sind gelernter Kirchenmusiker und Autor. Sollten Buchtexte so leicht zu verstehen sein wie Kirchenmusik?
Kristof Magnusson: Das finde ich schwer vergleichbar, weil Musik ja gerade den Sinn und den Zauber hat, dass sie ohne Sprache auskommt. Und ohne Übersetzung. Das Tolle und auch Schwierige an Sprache ist, dass wir sie dauernd übersetzen müssen. Das ist auf der einen Seite ein Hemmschuh, weil man sie nicht direkt überall verbreiten kann. Aber das ist auch eine große Chance des kulturellen Verstehens und der Annäherung, dass man immer wieder übersetzen muss. So wird aus diesem "Nachteil" eine große Tugend.
Eine Mordsgeschichte, einfach erzählt
Sie haben Romane geschrieben, etwa zur Finanzkrise oder auch einen Ärzteroman. Neuerdings schreiben Sie auch in einfacher Sprache. Was für Texte sind das?
Die Texte, die ich in einfacher Sprache schreibe, haben andere Themen. Das macht den Reiz am Projekt des Frankfurter Literaturhauses aus, dass man jetzt nicht einfach Klassiker her nimmt und vereinfacht, sondern dass wir uns von Anfang an vornehmen, in einfacher Sprache zu schreiben. Ich denke schon anders über die Wahl der Themen nach, wenn ich weiß, dass ich sie in einfacher Sprache erzählen möchte. So habe mich dann beispielsweise für ein Thema entschieden wie den Mord an der Frankfurter Prostituierten Rosemarie Nitribitt in den 1950er Jahren. Das war auf der einen Seite eine sehr interessante Geschichte, zugleich aber eine, die sich in ihren Grundzügen sehr leicht darstellen lässt: Es geht um Sex, um Gewalt, das versteht erst einmal jeder.
Im Zuge der Inklusionsdebatte möchte man auch den Zugang zu Information barrierefrei machen. Was heißt das für Sie: Wie gehen Sie an einen solchen Text heran?
Ich gehe da so heran, dass ich schon versuche, in jedem Satz nur eine Aussage zu haben. Wenn schwierige Wörter wie "Alibi" vorkommen, versuche ich sie zu erklären, ohne dass es zu sehr mit dem Holzhammer daherkommt. Ich versuche, den Text einfach zu erzählen – meistens nur aus einer Perspektive, mit wenig Reflexionen und gucke, was dann an die Stelle tritt.
Bei dem Text über Rosemarie Nitribitt wurden auf einmal Leitmotive ganz stark. Nitribitt hatte einen schwarzen Mercedes mit roten Ledersitzen und weißen Radkappen. Dann noch einen weißen Pudel. Es gab diese Schneewittchen-Methaphorik – weiß wie Schnee, Rot wie Blut, Schwarz wie Zedernholz. Das wurde in diesem Text ganz stark. Auf einmal sprang da immer der weiße Pudel durch diesen Text. Und dann auch dieses Auto: Es war eine der Besonderheiten, dass Nitribitt mit ihrem schicken Mercedes-Cabrio auf Kundenfang gegangen ist. Das war eine Art umgekehrter Straßenstrich: Die Freier stiegen zu ihr ins Auto. Das ist schon sehr besonders.
So etwas finde ich künstlerisch interessant an der Arbeit mit der einfachen Sprache, dass da Dinge dazu kommen können, an die man sonst vielleicht gar nicht gedacht hätte.
Einfache Sprache - ein künsterlisches Experiment
Wenn Sie all diese Regeln beachten, die Sie genannt haben, bleibt da Ihre persönliche Sprache, ihre literarische Sprachkunst auf der Strecke?
Nein, das ist eine gänzlich andere Form des Arbeitens. Künstler haben das im 20. Jahrhundert andauernd gemacht – sich aus Spaß, aus Lust am Spiel oder als künstlerisches Experiment bestimmte Dinge verboten, um mal zu gucken, was dann geschieht. Zum Beispiel die Oulipo-Bewegung in Frankreich mit ihren sich selbst auferlegten Beschränkungen. So schrieb Georges Perec einen Roman ohne den Buchstaben E. Oder bei der Produktion des Films "Dogma" wurde beschlossen, kein künstliches Licht zu verwenden, nur Musik und Requisiten, die es am Set gibt. Das führt natürlich dazu, dass man anders arbeitet, aber es ist kein Verlust, sondern ein Experiment.
Für Sie ist das Schreiben in einfacher Sprache ein künstlerisches Experiment. Wenn Sie schreiben, wen haben Sie dann vor Augen – bestimmte Leser?
Nein, das ist bei der einfachen Sprache gar nicht möglich, da gibt es nicht diese eine Zielgruppe. Sie sollte ja im Prinzip ebenso für Deutschlerner geeignet sein wie für Leute mit kognitiven Schwierigkeiten. Oder für Leute mit Leseschwächen, mit Down-Syndrom. Zum Teil ist es auch für Gehörlose interessant, weil man damit auch zu Lesungen gehen kann, weil die einfache Sprache sich sehr unkompliziert in die Gebärdensprache dolmetschen lässt. Es gibt ganz viele Gruppen, für die das interessant sein kann. Und eine Gruppe besteht aus Literaturinteressierten, die einfach mal gucken wollten, was aus diesem Experiment nun wird.
Einfache Sprache kann man gut oder böse verwenden
Herr Magnusson, nach dem Wahlkampf von Donald Trump in den USA oder den Erfolgen der Rechtspopulisten in Europa – würden Sie sagen, die Zukunft der Sprache liegt im Einfachen, im Vereinfachten?
Nein, das würde ich voneinander trennen. Es geht ja immer darum, dass man so spricht, wie es für die Situation angemessen ist. Als Übersetzer habe ich viele verschiedene Register. Und ich ziehe, was für den jeweiligen literarischen Text, für die Stimmung, die Temperatur des Textes richtig ist. Das mache ich als Autor genauso. Die einfache Sprache ist nur eines dieser Register. Diese Register sind per se weder gut noch schlecht. Sondern es sind Akkorde, die man anschlagen kann.
Komplizierte Sprache kann schön sein kann, aber auch menschenverachtend. Genauso kann auch einfache Sprache zum Guten wie zum Bösen verwendet werden. Für Inklusion, um verstanden zu werden, aber auch um Sachverhalte zu verkürzen und zu lügen. Das ist die Natur der Sprache.
Kristof Magnusson, Jahrgang 1976, ist ein isländisch-deutscher Schriftsteller und Übersetzer. Er lebt in Berlin. Das Gespräch führte Stefan Dege.